Frei gezeichnete Linie bildet 3 übereinanderliegende Bücher und läuft nach außen

Sie wollen mehr über die sechs Titel wissen, die auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022 stehen? Hier finden Sie Buchbesprechungen und Autorengespräche zu den nominierten Titeln zum Reinhören.

Fatma Aydemir: "Dschinns"

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Der Dschinn als "Motiv für das Unausgesprochene"

Buchcover von "Dschinns": Der Schriftzug "Dschinns" steht großgeschrieben auf violettem Hintergrund.
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Dschinns, das sind gefürchtete, geisterähnliche Wesen, wie die Autorin Fatma Aydemir sagt. "Wesen, die wir nicht sehen können, die aber unter uns leben." Mit denen zum Beispiel erklärt werde, wenn jemand nicht mehr der sozialen Norm entspreche, erinnert sich Aydemir. Dieser Aberglaube sei im Nahen Osten weit verbreitet. Menschen hätten Angst davor, sich versehentlich einen Dschinn einzufangen, indem sie zum Beispiel das Wort 'Dschinn' zu oft sagten. "Im Türkischen sagt man das Wort 'Dschinn' oft eher nicht, um eben nicht versehentlich einen zu rufen, sondern man sagt 'Die mit den drei Buchstaben'", erklärt Aydemir im WDR-Gespräch mit Mona Ameziane. "Das ist etwas, das mich viel beschäftigt hat beim Schreiben."

In ihrem zweiten Roman geht es um die Familie Yilmaz: In den 1970er-Jahren als türkischer Arbeitermigrant nach Deutschland gekommen, stirbt plötzlich der Familienvater. Der Dschinn sei das "Motiv für das Unausgesprochene in der Familie", sagt Aydemir mit Blick auf den Romantitel. "Was das mit der Familie zu tun hat, ist, dass diese Familienmitglieder sehr viel voreinander verbergen. Sie kommen aufgrund einer Beerdigung zusammen und im Raum befinden sich einfach super viele unausgesprochene Wahrheiten." Kapitel für Kapitel wechselt die Perspektive in "Dschinns", so wird das Ungesagte erfahrbar.

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Kristine Bilkau: "Nebenan"

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"Ein Gefühl von Leere"

Das Buchcover von "Nebenan": in blau, mit zwei Haftnotizen.
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"Nach dem ersten Lesen bleibt ein Gefühl von Leere", so beschreibt Literaturexpertin Brigitte Neumann im Deutschlandfunk ihren ersten Eindruck von "Nebenan". In dem Roman geht es um die zwei Frauen Julia und Astrid, die wohl unterschiedlicher nicht sein könnten. "Wo Julia träumt, wünscht und zögert, da trifft Astrid klare Entscheidungen", hebt Neumann hervor. Julia widme ihr Leben komplett dem Warten auf ein Kind, doch während in ihrem Umfeld alle bereits Eltern seien, kämpfe sie noch immer um ihren bislang verwehrten Kinderwunsch.

Astrid hingegen ist Ärztin, kurz vor der Rente, taff. Sie wird zunächst zur Sympathieträgerin, wie Neumann sagt. "Als Astrid jede Woche anonyme Drohbriefe bekommt, reagiert auch sie wie nach einem eisernen Lebensplan." Sie will sich keine Angst anmerken lassen und mache alles mit sich selbst aus. "Eine der Figuren Bilkaus ist ganz innerlich, die andere lebt nur im Außen. Beide sind zu sehr Konzept ihrer Autorin, deren Botschaft immer lauter wird: Weder die Bewältigungsstrategie von Julia, noch die von Astrid, führen aus der Leere. Denn die speist sich aus dem Diktat ihrer jeweiligen Lebensprogramme."

"In 'Nebenan' geht es viel um Zögern, Zweifeln, Schweigen und darum, "wie eisern verfolgte Pläne Gefühle lähmen können", resümiert Neumann.

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Daniela Dröscher: "Lügen über meine Mutter" 

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"Die Liebeserklärung einer Tochter"

Buchcover " Lügen über meine Mutter" in pink mit schwarzem Schriftzug
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"Lügen über meine Mutter" ist "letztlich die Liebeserklärung einer Tochter an ihre Mutter". Oder: "Eine verstörende Geschichte, aber absolut lustig", wie Rezensentin Elke Heidenreich für WDR4 bilanziert. Im autobiografischen Roman geht es um Dröschers Vergangenheit: Leser werden in ihre Jugend, in den 1980er-Jahren zurückversetzt. Dröscher heißt in dem Roman "Ela". Zwischen jedem Kapitel reflektiert die Autorin das Geschehene aus ihrer heutigen, erwachsenen Perspektive.

"Es geht um die Mutter, sie ist hübsch, sie ist klug, sie kann was, aber sie ist angeblich zu dick. Das findet der Vater jedenfalls und nörgelt unentwegt an ihr rum, er demütigt sie und macht sie dafür verantwortlich, dass er in seiner Firma nicht befördert würde, bloß weil sie zu dick ist und man sie auf kein Betriebsfest mitnehmen kann", erklärt Heidenreich. "Die Mutter wird dabei von der Tochter als eine ganz wache, clevere Frau beschrieben, die gerne arbeiten möchte, aber er lässt sie nicht. Denn man wohnt in einem spießigen Hunsrück-Dorf."

Dröscher beschreibe das "Leben der kleinen Daniela auf dem Schlachtfeld der Eltern". Erst in "Lügen über meine Mutter" sehe Dröscher, was ihre Mutter alles durchgemacht habe und, "wie großartig sie war und eigentlich ist".

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Jan Faktor: "Trottel" 

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"Zwischen Übermut, Komik, Albernheit und einer tiefen Trauer"

Buchcover "Trottel"
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Wer "Trottel" nur aufschlägt, kann sich im Buchumschlag bereits mit der Kritik an dem Roman beschäftigen: Denn dort hat Autor Jan Faktor präventiv Anregungen und Vorschläge für Rezensionen zu seinem neuen Buch aufgeschrieben. "Das soll einfach mit Witz und Leichtigkeit dem vorbeugen, was kommen könnte. Und es wird einiges kommen. Da sind viele Frechheiten gestreut in viele Richtungen. Da dachte ich, da mache ich es gleich selber", kommentiert Faktor.

"Trottel" ist für Faktor bereits der zweite Anlauf: Vor Jahren habe er bereits ein Buch mit demselben Titel begonnen. "Es war aber irgendwie peinlich, nicht so ganz witzig, sondern eher auch bitter und selbsbesudelnd", berichtet er im Deutschlandfunk. Er habe sich anderen Aufgaben gewidmet, übersetzt, Drehbuch geschrieben und an "seiner Haltung" gearbeitet. "Und in mir einen heiteren Trottel wachsen und reifen lassen." Doch "Trottel" sei auch jetzt kein gut gelauntes Buch. "Die Tragik ist immer im Hintergrund, dieses Lachen ist zwar vordergründig da, aber dann kommen die Schocks." Wie auch Jan Faktor verliert der Erzähler seinen erwachsenen Sohn, Selbstmord mit Anfang 30. Und auch weitere autobiografische Momente durchziehen den Roman.

"Ich habe selten ein Buch gelesen, das sich so frei hin- und herbewegt zwischen Übermut, Komik und Albernheit auf der einen Seite und einer tiefen Trauer auf anderen Seite", urteilt Deutschlandfunk Kultur-Moderator Frank Meyer.

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Kim de l’Horizon: "Blutbuch

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"Literarisch opulentes, äußerst faszinierendes Buch"

Buchcover von "Blutbuch"
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"Ein berührendes, literarisch opulentes, äußerst faszinierendes Buch", lautet das Fazit der br-Kulturjournalistin Stephanie Metzger. Im Debütroman "Blutbuch" schreibt Kim de l'Horizon über die weibliche beziehungsweise nicht-männliche Blutlinie in der eigenen Familie und wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt.

Und das aus einer non-binären Perspektive: Denn wie Metzger erklärt, versteht sich Kim de l’Horizon als fluide zwischen Mann und Frau, als queer und als geboren im Jahr 2666 auf dem fiktiven Planeten Gethen. "Unsere Körper sind alles Archive und wir tragen alles mit", sagt Kim de l'Horizon im Gespräch der Sendung "Diwan" auf Bayern 2. "Blutbuch" sei der Versuch, mit den "Körperarchiven" in seiner Familie umzugehen und diese zu verstehen. Queere Identitäten seien immer "Befreiungsversuche", wie de l'Horizon erklärt.

Die Unkonventionalität zeigt sich auch im Schreibstil von "Blutbuch": Mal wird auf Berndeutsch, mal auf Hochdeutsch geschrieben, mit lyrischen Passagen und zum Schluss auch mal auf Englisch.

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Eckhart Nickel: "Spitzweg" 

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"Gute-Laune-Buch mit gelungenen Bezüge zum Biedermeier-Maler"

Buchcover "Spitzweg": Ein schick gekleideter Mann vor einer Naturlandschaft. Titel in pinkem Schriftzug.
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"Was macht Kunst mit uns? Und was machen wir mit der Kunst? Wie können wir Kunst in unser Leben integrieren? Diesen Fragen und weiteren 'Kunstfragen' geht der Autor Eckhart Nickel in seinem zweiten Roman 'Spitzweg' nach", fasst es WDR-Buchkritiker Denis Scheck zusammen. Es ist eine "klassische Schülergeschichte" im Abituralter - mit Carl, Kirsten und dem namenlosen Erzähler, der in Kirsten verliebt ist. Nachdem Kirsten - aus Sicht von Carl und dem Erzähler - von der Lehrerin im Kunstunterricht ungerechtfertigt für eine Zeichnung kritisiert wird, rächen sich ihre Schulkameraden an der Lehrerin. Die Dreiecksbeziehung beginnt.

"Zudem erzählt der Autor hier die Geschichte dreier junger Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen und dabei herausfinden wollen, wie es möglich ist, autonom in einer Zeit zu leben, die eigentlich so viel Anpassung verlangt", fasst es Scheck zusammen. "Spitzweg" ist das dritte Buch des Frankfurter Autors - und laut Scheck ein "richtiges Gute-Laune-Buch mit gelungenen Bezügen zum Biedermeier-Maler Carl Spitzweg".

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