Pearl Jams Frontmann Eddie Vedder

Der Grunge ist schon lange tot, doch Pearl Jam sind immer noch da. Nach 30 Jahren sind die einstigen Ikonen der Subkultur nach Frankfurt zurückgekehrt und haben die ausverkaufte Festhalle mit altem Charme und neuer Attitüde verzaubert.

1992 waren Pearl Jam zuletzt zu Gast in Frankfurt. Damals hatte Grunge fast seinen Höhepunkt erreicht, Nirvana tourten mit "Nevermind", und Alice in Chains waren kurz davor, ihr stilbildendes Album "Dirt" auf den Markt zu werfen. Pearl Jam selbst elektrisierten die Massen mit ihrer Hymne "Alive" vom inzwischen legendären Debüt-Album "Ten".

Satte 30 Jahre später stattete die Band aus Seattle der hessischen Metropole am Dienstagabend ihren zweiten Besuch ab - eine Ewigkeit im Musik-Business. Von der dreckigen Melancholie des Grunge sind in der Musiklandschaft nur noch Fragmente zu finden, viele der einstigen Ikonen - etwa Kurt Cobain von Nirvana, Chris Cornell von Soundgarden oder Alice-in-Chains-Sänger Layne Staley - haben die Bühne des Lebens bereits verlassen. Als Pearl Jams Frontman Eddie Vedder fast am Ende des Konzerts den Refrain "I'm still alive" in die Massen schrie, war das wörtlich zu nehmen: Seht her, wir haben überlebt!

13.000 in ausverkaufter Festhalle

13.000 haben sich in der ausverkauften Frankfurter Festhalle zum zweiten von nur zwei Deutschland-Konzerten eingefunden, um dieses Immer-noch-hier-Gefühl zu feiern - und es hat funktioniert: Auf der einen Seite haben Pearl Jam mit der Sehnsucht des sichtbar mit der Band gealterten Publikums nach dem guten, alten Früher und dem Sound der eigenen Jugend gespielt, auf der anderen Seite wirkte der Auftritt zu keinem Zeitpunkt aus der Zeit gefallen oder nostalgisch angestaubt.

Das lag in erster Linie an Frontmann Vedder, der auch mit 57 Jahren nichts von seinem fast schon beängstigenden Charisma verloren hat. Es ist im Alter eher gewachsen. Bereits nach wenigen Tönen des stimmungsvollen Openers "Inside Job" hatte er die willige Masse in seinen Bann gezogen, und spätestens beim treibenden "Why Go" - Nummer vier auf der Setlist - kochte die Halle.

Schlichte Bühne, große Stimme

Die Bühne war für eine Band dieser Größe ausgesprochen schlicht gehalten. Aufbauten fehlten völlig, die Lichteffekte wurden nur dezent eingesetzt. Auch die zwei Leinwände, die rechts und links von der Bühne unter der Decke angebracht waren und meist die Bandmitglieder in Großaufnahme zeigten, lenkten nicht groß vom Wesentlichen ab: Vedder und seiner noch immer überwältigenden Stimme. Daran konnte selbst die traditionell bescheidene Akustik der Festhalle nichts ändern.

Im Vergleich zum Auftritt in der Berliner Waldbühne vor gut einer Woche haben Pearl Jam die Setlist noch einmal kräftig durcheinander gewirbelt. So flog etwa das fast schon unvermeidbare "Even Flow" aus dem Programm, dafür rutschte der Ohrwurm "Jeremy" rein - ein Song, der einfach auf die Bühne gehört, schon allein wegen seiner ausladenden Mitsing-Passagen. Sicher eines der Highlights des Abends. Dazu gehörte auch die melancholisch düstere Nummer "Garden", bei der Vedders Stimme in tragenden und aggressiven Momenten besonders glänzte.

Musikalisch war der Auftritt nahe an der Perfektion, wofür neben Vedders hallenfüllendem Organ das Spiel von Leadgitarrist Mike McCready große Teile beitrug. Das minutenlange Solo bei "Porch" war großartig - und nicht nur dieses. Die Band sprühte vor Energie und hatte auf der Bühne sichtbar Spaß, das Publikum im Innenraum und auf den Rängen nicht minder.

Spaß statt Weltschmerz

Das ist ein weiterer Grund dafür, dass der Abend nicht zur nostalgischen Fremdscham-Nummer verkam. Denn Pearl Jam versuchten einfach nicht die zu sein, die sie früher waren. Musikalisch sind sie sich weitgehend treu geblieben, die Attitüde ist allerdings eine ganz andere. Statt Weltschmerz, der einst die Seele des Grunge war, strahlte die Band vielmehr einen professionellen Optimismus aus. "Passt auf euch auf, seid aktiv und voller Energie", gab Vedder dem Publikum mit auf den Weg.

Pearl Jam waren zwar schon damals keine Vertreter der reinen Lehre, nie so melancholisch leidend und dramatisch selbstzerstörerisch wie etwa Nirvana, deren Frontmann Kurt Cobain sich 1994 das Leben nahm. Aber sie waren doch angemessen schwermütig und ernst, wie es sich für ein Aushängeschild der Grunge-Kultur gehörte.

Anlässe für Kummer und Verdruss gibt es zwar auch heute zuhauf, doch statt auf der Bühne über Seuchen und Krieg zu verzagen, verteilen Pearl Jam 2022 jede Menge Streicheleinheiten für Herz und Seele. Ein bisschen Weltschmerz blitzte zwar hier und da bei ihrem Auftritt in der Frankfurter Festhalle noch durch, wie etwa zu Beginn der Zugabe, als Vedder einen längeren Monolog über Wut und Frust angesichts des Krieges in der Ukraine und des aktuellen Abtreibungsurteils in den USA hielt.

Der Grunge ist tot

Aber der Grundtenor des Abends war: Habt Spaß und genießt das Leben! Vielleicht haben Pearl Jam dadurch an Relevanz eingebüßt, ganz sicher ist alles ein bisschen glatter geworden. Aber nur so funktioniert es, denn es wäre doch etwas befremdlich, würde sich ein 57-Jähriger wie Vedder weiterhin in pubertärem Selbstmitleid suhlen. Es ist eben nicht mehr 1992, und der Grunge ist tot.