Gerüst ohne Banner

Die documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann tritt nach dem Antisemitismus-Skandal von ihrem Amt zurück. Das war höchste Zeit. Die Kunstschau in Kassel muss sich jetzt von Grund auf neu aufstellen.

Audiobeitrag

Audio

Sabine Schormann tritt zurück - Rettung in letzter Minute?

Sabine Schormann
Ende des Audiobeitrags

Wäre die documenta ein Baum – er wäre kurz vor dem Absterben. Denn die bisherige documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann hat diesem Baum, früher vielleicht eine gesunde, weitverzweigte Eiche, enorm geschadet: mit ihrer miserablen Kommunikation, ihrer Intransparenz und ihrer – nennen wir es - mutmaßlichen Untätigkeit bei der Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals. Dass Sabine Schormann trotz allem so lange an ihrem Stuhl klebte, hat es noch schlimmer gemacht.

Und eines kann ihr Rücktritt definitiv nicht mehr ändern: Diese documenta 15 wird sehr wahrscheinlich in die Geschichte eingehen als "documenta des Antisemitismus". Mehr noch: Der Ruf der documenta ist international mittlerweile so stark beschädigt – dass er es wahrscheinlich noch über Jahre hinweg sein wird.

Portrait von Tanja Küchle. Daneben steht "Meinung".

Vor allem auf der nächsten documenta-Ausgabe in fünf Jahren lastet nun eine große Bürde. Sie wird beweisen müssen, dass dann alles anders sein wird: Die Strukturen und Zuständigkeiten klar und die ausgestellte Kunst unverfänglich. Vielleicht müssen die Kuratorinnen und Kuratoren zukünftig sogar alle Kunstwerke vor dem Ausstellen Experten vorlegen und auf Antisemitismus, Postkolonialismus, Rassismus oder Diskriminierung überprüfen lassen.

Nichtsdestotrotz dürfte der Rücktritt der bisherigen documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann auch positive Effekte haben: Es könnte zumindest symbolisch wertvoll sein, weil mit ihr endlich die Person weg ist, die in den Augen zahlreicher Kritiker die Hauptschuld an der ganzen Misere trägt. Zudem soll nun geschehen, worauf so viele so lange schon warten: Die Überprüfung weiterer Kunstwerke dieser documenta auf womöglich antisemitische Inhalte.

Fatale Formen von Nicht-Zuständigkeit und Nicht-Wissen

Doch es ist fraglich, ob die Übergangsnachfolgerin oder der Übergangsnachfolger der documenta-Geschäftsführung jetzt den Laden grundlegend aufräumen kann. Wahrscheinlich werden wir auch nicht sehr viel mehr darüber erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass das Taring-Padi-Banner mit den antisemitischen Motiven in der Öffentlichkeit aufgehängt wurde. Ohnehin viel wichtiger ist, dass auf der documenta so etwas nicht wieder passieren kann.

Darum kann man nur begrüßen, dass der Aufsichtsrat in seiner Erklärung nicht nur den Rücktritt Schormanns bekannt gegeben hat, sondern auch ankündigt, dass die documenta-Strukturen überprüft werden – um sie grundlegend neu aufzustellen.

Im Idealfall wären so zumindest fatale Formen von Nicht-Zuständigkeit und Nicht-Wissen wie auf der diesjährigen "documenta der Kollektive" in Zukunft ausgeräumt. Dass sich die documenta grundlegend erneuert, ist unabdingbar, möchte Kassel weiterhin ein Zentrum der globalen Kunst sein.

Oder anders: Noch ist der documenta-Baum nicht tot. Aber er braucht mehr als bloß Wasser, er braucht einen radikalen Rückschnitt und neue Erde.