Dan Perjovschi bei der documenta 15 Künstler überzieht Kassel mit schwarz-weißen Botschaften
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Dan Perjovschi - Botschaften in Schwarz-Weiß

Es ist eines der ersten Kunstwerke der kommenden documenta 15: die mattschwarz grundierten und weiß bemalten Säulen des Fridericianums in Kassel. Gestaltet wurden sie vom rumänischen Künstler Dan Perjovschi. Er hat eine Mission.
Buchstaben, Strichmännchen, Friedenssymbole, weiß auf schwarz, mit wenigen Strichen gemalt: Die hellen Steinsäulen vor dem Fridericianum in Kassel haben sich im Vorfeld der documenta 15 stark verändert. Dass es sich dabei nicht etwa um eine Kinderzeichnung handelt, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, zeigt der Text darunter: "From Virus to Virussia" steht da, "vom Virus zu Virussland".
Die Zeichnungen und Texte stammen von dem rumänischen Künstler Dan Perjovschi und sind ein erster Vorgeschmack auf die am Samstag beginnende Weltkunstausstellung documenta.
Humoristischer Blick auf das Weltgeschehen
Nachdem er zwölf Jahre lang akademisch als Maler ausgebildet wurde, hat sich der 61-Jährige Perjovschi nach eigenen Angaben auf Piktogramme spezialisiert. Das sei seine Möglichkeit, die "komplexen Zusammenhänge unserer Gegenwart" für jede und jeden verständlich zu machen.
Perjovschi greift die drängenden Themen der Gegenwart wie den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine oder die Energiepolitik auf und garniert sie mit einer Prise Humor. "Es ist meine Art, die Dinge zu betrachten", sagt er. "Sonst wird man wirklich verrückt." Der Rumäne spielt geschickt mit Worten - und erschafft damit häufig einen völlig neuen Sinn.
Aus "Generosity", dem englischen Wort für Großzügigkeit, wird "Genderosity" - eine Anspielung auf die Genderdebatten weltweit. Aus dem Wort "Hope", übersetzt Hoffnung, ein Gemeinschaftsprojekt: Viele kleine Strichmännchen hieven das "O" gemeinsam in die Höhe. Auf anderen Säulen des Fridericianums geht es um Klimaschutz, um Solidarität, um Frieden - die "lumbung"-Werte der diesjährigen documenta-Kuratoren Ruangrupa.
Was ist "lumbung"?
Lumbung steht für eine indonesische Reisscheune, in der die Dorfgemeinschaft ihre überschüssige Ernte aufbewahrt und gemeinsam verwaltet. Lumbung ermöglicht nach der definition der documenta 15-Kuratoren "eine alternative Ökonomie der Kollektivität, des gemeinsamen Ressourcenaufbaus und der gerechten Verteilung. Das basiert auf Werten wie lokaler Verankerung, Humor, Großzügigkeit, Unabhängigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration."
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Diktatur in Rumänien prägte Perjovschis Kunst
Seine Zeichnungen versteht der Künstler nach eigenen Angaben als eine Art Manifest, als eine Aufforderung, sich für die Demokratie einzusetzen. Denn Perjovschi weiß, wie ein Leben ohne sie aussieht. Aufgewachsen ist er in der neostalinistischen Diktatur von Nicolae Ceaușescu, der zwischen 1965 bis 1989 in Rumänien herrschte.
Nachdem im Alter von zehn Jahren sein künstlerisches Talent entdeckt wurde, besuchte Perjovschi die Akademie der Bildenden Künste in Bukarest. Er habe schnell gemerkt, dass klassische Stillleben nicht sein Ding sind und seinen eigenen Zeichenstil entwickelt. In einer seiner ersten Aktionen wickelte er die Einrichtung seiner gesamten Wohnung in weißes Papier ein und versah sie mit Zeichnungen und Texten - Perjovschis Antwort auf die Zensur unter Autokrat Ceaușescu.
Nach dem Sturz Ceaușescus 1989 gründet er die linksintellektuelle, antikommunistische Wochenzeitung "revista 22", für die er bis heute als Redakteur arbeitet. 1999 kam sein internationaler Durchbruch: Perjovschi sollte Rumänien auf der Biennale in Venedig vertreten. Weil der Kultusminister das Budget aber nicht rechtzeitig bereitstellte, improvisierte er - und zeichnete auf dem Boden des rumänischen Pavillons.
Vor dem Kulturbahnhof entsteht eine gemalte Zeitung
Es ist die Geburtsstunde seiner "gemalten Leitartikel", mit denen er das Zeitgeschehen kommentiert. Seit 2010 nutzt Dan Perjovschi dafür sein "horizontal newspaper": eine öffentliche "Wandzeitung" auf einer 30 Meter langen Mauer in seiner rumänischen Heimatstadt Sibiu in der Region Siebenbürgen.

Dort hält er Beobachtungen und Gespräche fest und aktualisiert seine "Berichte" stetig - wenn auch analog und deutlich langsamer als andere Medienkanäle. Zur documenta bringt er nun eine Sonderausgabe seiner horizontalen Zeitung nach Kassel: Sie entsteht auf dem Boden vor dem Kulturbahnhof und soll im Laufe der 100 Tage dauernden Kunstausstellung immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden.
Seine Arbeit sei eine Mission, sagt der 61-Jährige. "Es ist wirklich ein Engagement in die Gesellschaft hinein. Und das gefällt mir." Trotzdem könnten seine Werke in Kassel, überhaupt die Werke dieser documenta 15, die so anders daherkommt als die vorherigen, das Publikum auf die Probe stellen, glaubt Perjovschi. Schließlich zeigten sie "zu einem Großteil Visionen der Welt, die nicht aus Europa kommen. Und in anderen Ecken der Welt sieht man die Dinge eben auch anders."