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Hessens Veranstalter: "Die Leute haben das Ausgehen verlernt"

Das Bild zeigt eine Party in einem lila beleuchteten Club. Ein DJ steht mit dem Rücken zur Kamera an seinem Pult.

Die Kultur ist zurück, auf den hessischen Bühnen wird gerockt, geredet und gesungen. Aber vor den Bühnen klaffen bei den meisten Veranstaltungen noch Lücken. Veranstalter rechnen damit, dass es noch eine ganze Weile dauern könnte, bis das Publikum ganz zurückkehrt. Hoffnung macht die bevorstehende Open Air-Saison.

Hessens Kultur befindet sich in einer schwierigen Phase. So erlebt es Jörg Michael Simmer, Vorsitzender des Vereins, der die KulturScheune Herborn betreibt. Er stellt fest, dass viele Veranstaltungen nicht so nachgefragt werden wie früher.

Dabei liegt dieses "Früher" nicht weit zurück, sondern gerade mal zwei Jahre. In der Zeit, bevor die Corona-Pandemie das Leben auf den Kopf stellte - vor allem das Leben und Arbeiten in der Kultur. Und das könnte auch noch eine ganze Weile anhalten.

Die Gründe für die Zurückhaltung beim Publikum sind unterschiedlich. Viele Menschen hätten immer noch Angst, sich in geschlossene Räume zu begeben. Einige hätten es auch schlicht verlernt, meint Simmer. Sie hätten sich daran gewöhnt, sich zu Hause die Zeit zu vertreiben. Heimkino statt Live-Kultur. Für manche ist es offenbar auch ein Problem, dass Veranstaltungstermine teils mehrfach verschoben wurden.

Termin vergessen?

Im Kulturzentrum KFZ in Marburg rätselt Matthias Wussow immer noch, warum neulich beim Nachhol-Konzert der Punkrockband "Turbostaat" rund 100 Tickets verfallen sind. Tickets, die bereits bezahlt waren. Entweder haben die Fans den neuen Termin vergessen oder er passte einfach nicht in ihre Planung.

Das Bild zeigt aus der Vogelperspektive einen gut gefüllten Konzertraum und eine Band auf der Bühne. Auf einem Bildschirm leuchtet das Wort "Turbostaat".

Matthias Wussow ist beim KFZ Marburg zuständig für die Programmplanung. Er hat beim Blick ins Publikum den Eindruck, dass der Besuch von Veranstaltungen auch eine Generationenfrage ist. Menschen ab Ende 50 bleiben nach seiner Wahrnehmung häufiger fern als jüngere.

Jüngere wollen endlich feiern

Für ein Konzert der Rapper von "Waving the guns" Ende April konnten sich spontan etwa 450 Leute begeistern. Damit war der Saal, der 550 Leute fasst, ganz gut gefüllt. Bei einer Technoparty war das KFZ voll. Dagegen musste ein Kabarettabend abgesagt werden, weil zu wenige Karten verkauft wurden und sich der Weg nach Marburg für den Künstler nicht lohnte. Dass Veranstaltungen deutlich schlechter nachgefragt werden, gilt laut Wussow auch für renommierte und traditionsreiche Acts.

Auch Meike Heinigk, Geschäftsführerin der Centralstation Darmstadt, beobachtet bei ihrem Publikum ein Verhalten, das sie sich nicht ganz erklären kann. Manche Konzerte werden deutlich schlechter besucht als erwartet, andere wiederum laufen gut.

Die Konsequenz kann aus ihrer Sicht allerdings nicht sein, dass sich Veranstalter weiter beschränken. Es müsse erst mal ein Angebot geben und dann müsse man sehen, wie man die Leute dazu bringen kann, auch zu kommen, sagt Heinigk. Sie ist zuversichtlich, dass das gelingt und dass das Publikum sich wieder aufbaut. Aber man brauche eben doch einen längeren Atem als gedacht.

Problem trifft vor allem die Künstler

Jörg Michael Simmer von der KulturScheune stellt sich auf einen längeren Prozess ein. Er rechnet damit, dass es noch etwa zwei Jahre dauert, bis wieder Normalität herrscht. Seine Rechnung sieht so aus: Etwa 50 Prozent des Stammpublikums kämen bereits wieder, etwa 40 Prozent müssten noch zurückerobert werden. Rund zehn Prozent gibt Simmer verloren.

Ein Mann mit einer schwarzen Sweatshirtjacke, grauen Haaren und Brille steht vor einem blauen Vorhang. In der rechten Hand hält er ein Mikrofon, in der linken ein Blatt Papier.

Das habe Auswirkungen auf den Kulturbetrieb. Er wolle nicht schwarzmalen, aber es sei "logisch", dass sich die kulturelle Vielfalt ausdünnen wird. Er kenne schon Künstlerinnen und Künstler, die sich beruflich anders orientiert hätten, weil es ihnen in der Kultur zu unsicher geworden sei. Die, die weiter im Geschäft bleiben, müssten sich auf weniger Auftritte und niedrigere Einkünfte einstellen.

Meike Heinigk hat in der Centralstation Darmstadt sogar die Erfahrung gemacht, dass Bands von sich aus anbieten, für weniger Geld aufzutreten.

Der Sommer lockt mit Open Air

Ein Hoffnungsschimmer für die Veranstalterinnen und Veranstalter ist der nahende Sommer. "Endlich Open Air" heißt programmatisch das Festival der Centralstation auf dem Messplatz Darmstadt. Vom 12. bis 17. Juli spielen dort zum Beispiel Element of Crime und Danger Dan.

Herborn plant ab Juli eine Neuauflage des "KulturzAUber", einem Open Air-Event auf dem Parkplatz neben der Kulturscheune. Und in Marburg erwartet man sehnlichst die Eröffnung der Schlossparkbühne, wo zum Beispiel am 16. Juni Tocotronic ihr verschobenes Konzert nachholen.

Unterstützung ist weiter notwendig

Das Bild zeigt aus der Vogelperspektive eine Bühne, auf der mehrere Menschen stehen und gefüllte Zuschauerränge.

Wenn das Kalkül aufgeht, werden diese Events auch das Interesse bei denjenigen wecken, die sich im Moment noch zurückhalten. Wann und in welchem Umfang das passiert, weiß aber niemand. Umso wichtiger sei es für alle Beteiligten, dass die finanziellen Hilfen und Unterstützungen wie der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen auch weiter fließen, sind sich die Veranstaltenden einig.

Denn das ganz Entscheidende sei, dass die Kontinuität gewahrt bleibt und es weiter Veranstaltungen gibt. Auch wenn sie im Moment nur schlecht besucht sind.

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