Esther Boldt und Daniel Nicolai

Ohne öffentliche Mittel sähe die deutsche Theaterlandschaft trist aus. Doch obwohl jährlich mehrere Milliarden Euro in das Angebot fließen, interessieren sich vergleichsweise wenige Menschen dafür. Lohnt sich das? Der hr-Podcast "Studio Komplex" stellt die Tradition der Finanzierung infrage.

"Wer sich bilden möchte, geht ins Theater. Wer einen guten Abend haben möchte, geht ins Kino" - eine weitverbreitete Annahme, sagt Esther Boldt. Die deutsche Kulturlandschaft unterscheide stark zwischen Hochkultur und Unterhaltungskultur, so die Frankfurter Theaterkritikerin. Dabei müsse das so nicht sein. "Man kann sehr wohl ins Theater gehen und einen richtig schönen Abend haben." Wieso tun es dann so wenige? 

Nur zehn Prozent der Menschen in Deutschland gehen mindestens vier Mal im Jahr ins Theater. Das geht aus einer Studie der Universität Hildesheim hervor. Diesen Vielbesuchenden stehen zwei Drittel der Menschen gegenüber, die sich überhaupt nicht für klassische Kulturangebote wie Theater interessieren. 

Viele Inszenierungen zu abstrakt 

Kritikerin Boldt glaubt, viele Menschen haben Berührungsängste mit dem Theater. Im Vergleich zu einem Kinobesuch gebe es "so ein Gefühl, dass ich mehr wissen und mich vorher stärker informieren muss, wenn ich ins Theater gehe". 

Daniel Nicolai, Intendant des English Theatre in Frankfurt, hat eine Vermutung, woran das liegen könnte. "Seit den 1970er- und 80er-Jahren wurde das Theater in Deutschland immer reduzierter", sagt er. Aber je abstrakter die Inszenierungen, desto schwieriger der Zugang. In seinem Haus sei das ganz anders. "Beim angelsächsischen Theater spielen Bühnenbild, Licht- und Sounddesign eine große Rolle", so Nicolai. "Das hilft, die Story zu transportieren." 

"Kulturauftrag ist Verlustgeschäft"

Rein finanziell scheint das aufzugehen. Das English Theatre finanziere sich zu einem überwiegenden Teil aus Ticketverkäufen und Sponsorengeldern, erklärt Nicolai. Zum Vergleich: Öffentliche Häuser decken ihre Kosten laut Kulturfinanzbericht nur zu 15 Prozent selbst. Wenn Theater aber zu einem großen Teil aus Steuergeldern subventioniert werden, müsste ihr Angebot dann nicht für alle sein?

"Theater ist kulturelle Bildung, der Kulturauftrag ist immer ein Verlustgeschäft", sagt Francis Hüsers, Intendant am Theater Hagen. Sein Haus könnte auch für hessische Theater ein Vorbild sein. Er testet gerade das 9-Euro-Ticket für die Bühne. Es seien viele Menschen zu den Aufführungen gekommen, die sonst nichts mit Theater zu tun hätten, sagt er. Aber: "Wir können das 9-Euro-Ticket nicht zum System erklären. Das muss eine einmalige Situation sein.” Ob das neue Publikum bleibt, wenn die Aktion ausläuft, ist ungewiss. Aber es ist ein Versuch.

"Das letzte feudale System Europas"

"Gerade die Staatstheater halten immer noch sehr an einem Klassiker-Kanon fest," sagt Kritikerin Boldt. "Der hat aber mit der Stadtgesellschaft, wie sie heute aufgestellt ist, gar nicht mehr so richtig viel zu tun." Doch nicht nur das Programm nach außen, sondern auch die Strukturen nach innen scheinen verbesserungswürdig zu sein. 

Schauspieler Nima Bazrafkan erzählt: "Ich habe noch nie so einen konservativen Kosmos erlebt wie am Stadttheater." Weil die Intendanz so viel Macht bündele, etwa finanzielle und künstlerische Entscheidungen treffe, nennt er den deutschen Theaterkosmos liebevoll "das letzte feudale System Europas". 

Reformvorschläge fürs Theater

Fazit: Die Theaterhäuser müssten mehr aufs Publikum zugehen, findet Nicolai vom English Theatre. In einer neuen Folge des hr-Podcasts Studio Komplex spricht Gastgeberin Anne-Kathrin Eutin mit verschiedenen Gästen über Reformvorschläge fürs Theater - und darüber, woran Ideen für einen veränderten Theaterbetrieb bislang gescheitert sind. 

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Die Folge in der ARD-Audiothek

Die ganze Folge Studio Komplex zum Thema "Theater lohnt sich nicht!" ist abrufbar unter anderem in der ARD-Audiothek

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