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Geschlechtergerechtes Booking

Drei Musikerinnen auf einer Bühne, im Hintergrund ein Banner mit dem Schriftzug "Blond".

Lange Line-ups mit prominenten Namen - aber fast alle sind Männer. Frauen sind die große Ausnahme und das ärgert viele Festival-Fans. Die Initiative "Keychange pledge" will das ändern. Auch hessische Veranstalter sind dabei.

Die Festivalsaison steht vor der Tür, und viele haben ihre Line-Ups schon veröffentlicht. Dabei fällt auf: Frauen oder queere Künstlerinnen sind nur ganz selten vertreten. Die Musikerinnen der Chemnitzer Band Blond, die im vergangenen Jahr zum Beispiel beim Open Flair in Eschwege dabei waren, haben diesen Missstand in knackige Zeilen gepackt. "Das Lineup wird länger, und länger, und länger. Mehr Platz für noch mehr Männer" heißt es da, und "Wir sind allein. Wo sind all die andern Frauen? Für so 'ne Pimmelparty mit bleichen Rentern war'n wir nicht stundenlang im Proberaum".

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„Für so 'ne Pimmelparty mit bleichen Rentern war'n wir nicht stundenlang im Proberaum.“ Songtext aus "Männer" von Blond Songtext aus "Männer" von Blond
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Der Eindruck, dass Frauen nur eine kleine Nebenrolle spielen, lässt sich auch statistisch belegen. Die Frankfurterin Rike van Kleef hat dem Thema 2019 ihre Abschlussarbeit gewidmet. Ihre Studie "Wer gibt hier den Ton an?" beschäftigte sich mit der Repräsentanz von Geschlechtern auf deutschen Festivalbühnen. Van Kleef hat dafür fünf Pop- und Rockfestivals in Deutschland untersucht, darunter auch den World Club Dome in Frankfurt.

Über 80 Prozent Männer auf der Bühne

Sie fand heraus, dass im Durchschnitt 84 Prozent der Auftretenden bei den Festivals Männer waren. Beim World Club Dome Festival waren es sogar 86 Prozent. "Hier kann man gut sehen, dass es ein strukturelles Problem gibt", resümiert die Forscherin. Auch nach Corona habe sich an den Größenordnungen noch nicht viel geändert.

Van Kleef sieht eine Ursache für die ungleiche Verteilung in der Teamzusammensetzung hinter den Kulissen. "Lange wurden in dieser Branche Veranstaltungen von Männern für Männer gestaltet." Zunehmend kämen aber auch Bookerinnen ins Team, wodurch auch das Festivalprogramm diverser werde.

Das Bild zeigt eine Sängerin mit Sonnenbrille, die gleichzeitig Gitarre spielt.

Es sei ja gerade die Aufgabe von Kultur, verschiedene Menschen zusammenzubringen. "Die Musikbranche kann ganz Tolles leisten, muss sich aber auch wirklich dahingehend öffnen und selber sensibilisieren und weiterbilden", fordert van Kleef. Sie selbst setzt sich unter anderem auch als Bookerin und Veranstalterin selbst dafür ein, die Diversität der Gesellschaft besser in den Line-Ups von Musikfestivals widerzuspiegeln. Weibliche und queere Künstler:innen seien kaum sichtbar.

Publikum fordert ausgeglichenes Line-Up

Aber auch größere Festivalveranstalter bemühen sich zunehmend, mehr Diversität in ihre Line-Ups zu bringen. Darunter auch Dominik Schmidt, Veranstalter des Golden Leaves Festivals in Darmstadt. Er sagt: "Wir haben ein Publikum, was das fordert und auch hinterfragt: Warum habt ihr da keinen weiblich gelesenen Headliner gehabt?"

Das Bild zeigt eine Geigerin, die auf der Bühne spielt.

Im Line-Up des diesjährigen Festivals stehen deshalb unter anderem die Indie-Pop Musikerinnen von Blond und Solistinnen wie Mine, Skaar, CATT und Esther Graf. Gendergerechtes booking - eine Herausforderung? Dominik Schmidt findet: "So eine große Herausforderung ist das mittlerweile gar nicht." Es gebe viele tolle weibliche und queere Künstler:innen und es sei auf jeden Fall möglich, ein cooles Programm zu präsentieren.

Unterschiede in den Genres

Booker Kai Scholtysik will das nicht ohne weiteres unterschreiben. Er arbeitet für das Wiesbadener Hip Hop-Festival Tape Fabrik und argumentiert: "Wir arbeiten in einer Nische. Nischen entwickeln sich anders und langsamer." Quoten seien im Hiphop nicht so praktikabel wie beispielsweise im Pop-Genre. "Dort ist das Spektrum von Artists einfach viel größer." Insofern sei eine diverse Besetzung für kommerzielle Festivals einfacher.

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Keychange

"Keychange" ist eine ursprünglich in England gestartete Initiative mit dem Ziel, die Musikindustrie zu diversifizieren und nachhaltige Veränderungen in der Branche zu bewirken. Sie unterstützt unter anderem Künstler:innen und Konzertveranstalter, die sich dem Manifest der Initiative verpflichten.

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Dennoch hat Tape Fabrik die Vereinbarung "keychange pledge" unterschrieben und sich damit verpflichtet, mindestens die Hälfte des Line-Ups nicht männlich zu besetzen. Sie sind damit Teil einer größeren Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Musikbranche geschlechtergerechter zu gestalten.

Kai Scholtysik erklärt: "Es ging uns mit dem Unterzeichnen darum, ein Versprechen zu schaffen, dass wir aktiv an der Thematik arbeiten wollen. Ich glaube, das ist auch sehr deutlich sichtbar, dass wir das aktiv tun."

Achtsamkeit füreinander ist wichtig

Bookerin Rike van Kleef findet, dass gendergerechtes Booking nicht bei der Gestaltung des Bühnenprogramms endet. Sie nennt ein Beispiel: "Eine schwarze Frau hat vielleicht andere Sicherheitsbedürfnisse, weil sie eher damit rechnen muss, von Rassismus oder von sexualisierter Gewalt betroffen zu sein. Wenn ich möchte, dass diese Person auf meinem Festival auftritt, dann muss ich andere Sicherheitsmaßnahmen treffen."

Das versucht auch das Festival Sound of the forest zu berücksichtigen. Veranstalter Jo Megow sagt, es sei die Philosphie des Festivals, dass alle Besuchenden und Künstlerinnen einander offen begegnen sollen. Während des Festivals gibt es deswegen einen Festivalpsychologen, an den sich Leute bei Problemen wenden können.

Veranstaltungen zukunftstauglich machen

Außerdem entwickeln die Odenwälder ein Awarenesskonzept - auch wenn das Modewort Awareness schon in der Philosophie des Festivals stecke, sagt Megow. "Aber man merkt einfach, dass wir auch nicht perfekt sind und wir wollen uns weiter verbessern und noch achtsamer werden."

Auch Gender-Expertin Rike van Kleef ist es wichtig, dass die Veranstalter eigene Hemmungen überwinden, denn: "Ich bin mir ganz sicher, dass das gendergerechte Booking Veranstaltungen auf lange Sicht zukunftstauglich und besser macht."

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