Milchbar im 50er-Jahre-Stil mit bunten Stühlen im Museum Büdingen

"Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?" Die Fernsehwerbung der 50er wirkt aus der Zeit gefallen. Das Design des Jahrzehnts jedoch ist schwer angesagt. Schleichen sich mit Nierentischen und Cocktail-Sesseln auch die Werte der Vergangenheit zurück in die Wohnzimmer? 

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Die 50er: Design? Ja, bitte! Lebensmodell? Eher nicht!

Ein schwarz-weiß-Foto mit Schuhen aus den 50er-Jahren
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Vor der Tür zum Klassenzimmer stehen Absatzschuhe, fein säuberlich aufgereiht, ein Paar nach dem anderen. Es sind die 50er Jahre und dieses Bild ist keine Seltenheit. Die junge Frau trägt Pony, Petticoat und Stöckelschuhe. Letztere allerdings nur bis an die Schwelle zum Unterrichtsraum, drinnen sind sie verboten – angeblich um das Parkett zu schonen. Mechthild Veil lacht, wenn sie von früher erzählt. Sie ist 1944 geboren. Den Look der 50er verbindet sie mit jugendlicher Rebellion.  

Dass Veil ein Gymnasium besucht hat, war keine Selbstverständlichkeit - ein Mädchen, die Eltern einfache Angestellte. "Ich bin froh, dass ich nicht mehr in den 50er Jahren lebe", sagt die promovierte Sozialwissenschaftlerin und Expertin für feministische Sozialpolitik. "Eine junge Frau konnte sich nicht frei im öffentlichen Raum bewegen. Das war nicht unbedingt Gesetz, aber Tradition." 

Veil hat sich dagegen aufgelehnt. Sie wollte auf der Straße rauchen, sich kleiden, wie es der Elterngeneration missfiel. Den Outfits trauert die Frankfurterin allerdings nicht nach. "Es war eine solche Anstrengung und Einzwängung", erinnert sich Veil. "Ein herzliches, spontanes Lachen war schon schwierig in dieser Kleidung." 

Renaissance eines Lebensgefühls

Anders als Veil kann sich Vanessa Hellmann-Koch kaum Schöneres vorstellen als die Mode der 50er Jahre – wobei sie schmale Pencilskirts den ausgestellten Kleidchen vorzieht. Hellmann-Koch ist 1981 geboren. Die 50er sind ihre Leidenschaft. Damit ist sie nicht allein. Gerade das Design des Jahrzehnts ist heute wieder angesagt. In stylischen Wohnzimmern junger Leute stehen Nierentische und Cocktail-Sessel. 

Vanessa Hellmann-Koch, antoupiertes Haar, gelbes Kleid, Lederjacke - auf einen Oldtimer-Wagen gelehnt.

Solche Exemplare finden sich auch im wiedereröffneten 50er-Jahre-Museum Büdingen, für das Hellmann-Koch arbeitet. Ein Besuch sei wie eine kleine Zeitreise, sagt sie. Ihr liebstes Exponat ist die Jukebox. Wenn "Telstar" von den Tornados läuft, ist Hellmann-Koch glücklich. Sie verbindet mit den 50ern ein heimeliges Lebensgefühl: "Dieses: Ich mache es mir zu Hause schön und feiere mit ein paar Bekannten. So ein bisschen Tiki-mäßig Cocktails machen, was zum Snacken hinstellen." 

Hellmann-Koch glaubt, gerade in Pandemiezeiten würden sich Menschen darin wiederfinden. Die Hausbar als zentrale Anlaufstelle in den eigenen vier Wänden? Im ersten Lockdown haben viele das Konzept neu für sich entdeckt. Kontaktbeschränkungen, Homeoffice & Co. mögen bei einigen eine Renaissance der Häuslichkeit eingeleitet haben. Doch gerade die Lebensrealität der Frauen steht einer romantischen Verklärung der 50er diametral entgegen: Korsetts, kochen und Kinderbetreuung, kein eigenes Konto, dafür einmal die Woche Waschtag unter höchster körperlicher Anstrengung. 

"Wir wollten Freiheiten, Freiheiten, Freiheiten"

"Wir wollten eben nicht so sein wie unsere Mütter, die überwiegend Hausfrauen waren", erinnert sich Wissenschaftlerin Veil, die die 50er als junge Frau erlebt hat. "Wir wollten Freiheiten, Freiheiten, Freiheiten." Heute beobachtet sie, dass Frauen durchaus wieder mit der klassischen Rollenverteilung flirten. Dafür nimmt sie auch den Feminismus in die Verantwortung.  

 "Junge Frauen verfolgen sehr stark eine Politik der Individualisierung", sagt Veil. "Sie wollen ihre persönlichen Lebenswelten gestalten. Aber wenn man als Frau mehr Freiheit, mehr Selbstständigkeit und ein gelungenes Leben haben möchte, ist man abhängig von politischen Strukturen." Das allerdings sei ein wenig in Vergessenheit geraten.

Teilzeitjob als pragmatische Lösung

Veil ist überzeugt: Solange Instrumente wie etwa das Ehegattensplitting historisch begründete Geschlechterungleichheiten in den Erwerbsbiografien aufrechterhalten, werden sich Frauen ganz pragmatisch für Teilzeitjobs und Care-Arbeit entscheiden. Je größer der Gehaltsunterschied in der Partnerschaft, desto größer die Steuerersparnis. "Viele denken dann: 'Was soll ich den Stress da im Beruf und verdienen? Das lohnt sich sowieso nicht.'" 

Die Fantasie von Ehe und Familie als sicherer Hafen im unbegrenzten Meer der Möglichkeiten? "Das scheint mir eher eine Fantasie der ökonomisch besser gestellten Frauen", sagt Veil. Gerade vor dem Hintergrund systemischer Benachteiligung sei dieses Modell oftmals die attraktivste Option. 

Kein Zurück ins alte Rollenbild

Ähnlich sieht das auch Angie Henn vom Frankfurter Modegeschäft Peggy Sue Vintage. "Es heißt ja immer: 'Damals waren alle rückständig und jetzt sind wir so fortschrittlich'", sagt sie. "Ich glaube, da müssen wir an der einen oder anderen Stelle noch an uns arbeiten." 

Angie Henn in ihrem Verkaufsraum, Kleider hängen auf Holzbügeln, im Hintergrund eine Schaufensterpuppe mit Petticoat-Kleid

Ihre Leidenschaft für die Ästhetik der 50er ist für Henn alles andere als ein Abnicken der gesellschaftlichen Gegebenheiten der Zeit. "Auch Menschen, die auf Mittelaltermärkte gehen, die möchten vermutlich nicht unter den hygienischen Bedingungen der Epoche leben." Für sie gilt: "Vintage Style not Vintage Values" – Retro-Stil, nicht Retro-Werte. Und auch Hellmann-Koch vom 50er Jahre Museum sagt: "In das Rollenbild Mann-Frau will ich nicht wieder zurück." 

Unter dem Stichwort "Mid Century Modern" lassen sich auf einschlägigen Verkaufsportalen gegenwärtig horrende Preise abrufen. Slingback-Pumps mit Kitten-Heels feiern ein Comeback. Gut möglich, dass die Pandemie der ein oder anderen Cocktail-Repertoire erweitert hat. Anstandslos allabendlich dem Gatten einen Drink servieren, wollen jedoch auch eingefleischte 50er-Fans nicht. 

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