Der documenta 15 wird nachgesagt, nicht unbedingt kompatibel mit dem westlichen Kunstbetrieb zu sein. Auch das Publikum der Weltkunstausstellung könnte von dieser documenta besonders herausgefordert werden. Doch wozu?

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Kommentar: Was bringt die documenta 15?

Eine Skulptur mit Totenschädel: Im Kirchenraum von St. Kunigundis sind Mixed-Media-Arbeiten der Gruppe Atis Rezistans/Ghetto Biennale aus Haiti ausgestellt.
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Diese documenta bringt uns keine Kunst - sondern Freunde. So jedenfalls will es das indonesische Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa mit seinem Slogan: "make friends - not art!" Und so sieht man viel Vergeschwisterung und Zusammenarbeit, viel Folklore und Kunsthandwerkliches aus vielen Teilen der Welt - besonders aus dem globalen Süden.

Wo bleibt die Kunst?

Zahlreiche meterhohe Mindmaps, Fotografien und Filme dokumentieren die Arbeit von Aktivistengruppen. Und überall auf dieser Kunstausstellung gibt es Sitzecken, Diskussionsräume und gemütliche Chill-Out-Areas.

Es stellt sich die Frage: Wo bleibt die Kunst? Natürlich haben Ruangrupa diese Irritation einkalkuliert. Denn die Kunst, wie Ruangrupa sie versteht, ist autodidaktisch, aktivistisch, sie entsteht kollektiv und in langen Prozessen. Und nach Ruangrupa dient Kunst in erster Linie uns Menschen, um das Leben möglichst aller zu verbessern. Kunst hat also einen sozialen Zweck, wie sie dabei aussieht, scheint in vielen Fällen völlig egal zu sein.

Nur wenige Aha-Momente für die Augen

So beschert dann auch Vieles auf dieser documenta 15 ästhetisch gesehen keine Aha-Momente. Es gibt jedoch herausragende Ausnahmen: Die poppig-humorvollen Gemälde gegen Diskriminierung des Aborigine Richard Bell beispielsweise. Oder die monumentale Installation aus Textilabfällen und Elektroschrott mitten in der aufgeräumten Karlsaue. Dort zeigt das kenianische Kollektiv "The Nest Collective" wirkungsvoll, wie schädlich sich unsere gut gemeinten Kleiderspenden und Elektro-Altgeräte tatsächlich vor Ort in Kenia auswirken.

Ruangrupa wirft westlichen Kunstbegriff über den Haufen

Es ist durchaus mutig von Ruangrupa, die Gestaltung einer der bedeutendsten Weltkunstausstellungen Zentraleuropas zu übernehmen - um dann zu sagen: Wir entziehen uns eurem westlichen Kunstbegriff. Wir halten es für ein ausbeuterisches und sinnentleertes Spektakel, immer neue Kunst zu produzieren, die dann beglotzt und schließlich teuer verkauft wird.

Das heißt aber auch: Wer diese Kunst wirklich erfahren möchte, muss Schnecken essen, beim Kochen über Nahrungsmittelspekulation diskutieren und noch einmal in die Fridericianum-Schule gehen. Der muss Abhängen und Mitmachen!

Mit guten Freunden die Welt verändern

Der springende Punkt ist nicht, ob diese documenta 15 unseren Kunstbegriff verändert. Das wird sie vermutlich nicht tun. Viel mehr geht es darum, dass wir hier einen gänzlich anderen Kunstbegriff kennen lernen können, ohne ihn - womöglich von oben herab - zu bewerten.

Ja, die documenta 15 hat mehr von einem Folklore-Festival in der Art "geklöppelte Weltverbesserung", als von einer Weltkunstausstellung, die auch ästhetisch neue Maßstäbe setzen möchte. Aber sie hat auch den Charme des Utopischen und des Autodidaktischen: Jeder kann Kunst - und jeder kann die Verhältnisse mit und durch Kunst verändern. Am besten, wenn er gute Freunde hat.

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