Vor gut einem Jahr gründete sich die Künstler-Plattform Eyecandy Frankfurt. Das Ziel: Lokale Kunstschaffende miteinander vernetzen und sichtbar machen. Im Nordwestzentrum sind sie nun tatsächlich unübersehbar.

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Das steckt hinter dem Künstler-Netzwerk Eyecandy

Ein mit Blumen geschmücktes und bunt geschminktes Gesicht
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Im Frankfurter Nordwestzentrum geht es wuselig zu. Kinder rennen in dem Einkaufszentrum umher, es wird gebummelt, erzählt - und neuerdings kann dort auch Kunst erlebt werden. Zwischen Klamottenläden, Imbissbuden und dem obligatorischen Schlüsseldienst sind kreativ bearbeitete Schaufensterpuppen zu sehen - oder das, was die Künstlerinnen und Künstler daraus gemacht haben: ein schwarzer Torso zum Beispiel, der mit goldener Farbe bearbeitet wurde und eine Art Vogelkopf trägt.

Unter dem Motto "Frühlingserwachen" haben die Künstlerinnen und Künstler gemeinsam mit Gärtnern insgesamt zehn Plätze im Einkaufszentrum gestaltet. "Wir haben uns überlegt, was passiert, wenn sich Gärtner mit Malern, Fotografen und Bildhauern zusammentun", erklärt Initiatorin Tülay Sanlav die Idee. Herausgekommen sei ein "florales Kunstspektakel".

"Nur bedingt wichtig, wo Kunst stattfindet"

Auf den Torso einer schwarzen Schaufensterpuppe ist ein Vogelkopf gesetzt. Der Torso ist gold bemalt.

Die Besucherinnen und Besucher des Nordwestzentrums können wie in einem Museum oder einer Galerie von Installation zu Installation laufen und die unterschiedlichen Interpretationen auf sich wirken lassen. In einer Art Pop-up-Store gibt es weitere Arbeiten der Kunstschaffenden zu sehen, etwa Skulpturen, Fotografien und Gemälde.

Warum ausgerechnet hier, in der Nordweststadt? "Ich finde, Kunst ist nicht nur etwas, das in eine spezielle Kunstgalerie gehört", sagt Sanlav. "Kunst ist für jedermann. Da ist es nur bedingt wichtig, wo sie stattfindet." Das Nordwestzentrum sei trotzdem nicht zufällig gewählt. Schließlich kämen dort Tag für Tag viele Menschen zusammen, so Sanlav, die selbst als Musikerin und Kreativdirektorin tätig ist.

Für die an der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen und Künstler sei das eine tolle Möglichkeit, sich zu zeigen und in Kontakt zu kommen. Denn genau das fehlt laut Tülay Sanlav in Frankfurt: Orte für Kunst und ihre Macher. Zwar gebe es in der Stadt viele Museen. Lokale Kreative seien dort aber nur selten zu finden. Es fehle an Vernetzung, findet Sanlav - untereinander und mit Institutionen.

Mehr Sichtbarkeit für lokale Künstler schaffen

Vor gut einem Jahr gründet die Musikerin deswegen die Künstlerplattform Eyecandy Frankfurt. "Ich wollte einfach darstellen, was für großartige Künstler wir überhaupt in Frankfurt und Umgebung haben", erklärt sie. Es habe aber keinen Ort gegeben, an dem alle zu finden seien, auch nicht im Internet.

Sanlav erzählte zunächst befreundeten Kunstschaffenden von ihrer Idee, ein Netzwerk zu schaffen. Das sprach sich schnell rum, vor allem über Social Media. "Es war wirklich wie ein Schneeballsystem", erinnert sich die Musikerin. Mittlerweile hat Eyecandy Frankfurt über 100 Mitglieder, darunter Bildhauer, Malerinnen, Fotografinnen, Tätowierer, Rapper und Modedesignerinnen. Einige davon haben nun die Schau im Nordwestzentrum gestaltet.

Nicht nur hauptberufliche Künstler im Netzwerk

Im Netzwerk finden sich sowohl hauptberufliche Künstlerinnen und Künstler als auch solche, für die die Kunst (noch) ein Hobby ist. Wer mitmachen will, muss allerdings schon Arbeiten und eine Medienpräsenz vorweisen können. Sie kuratiere nach der Ernsthaftigkeit, mit der jemand der Kunst nachgehe, erklärt Gründerin Tülay Sanlav. "Die Passion sollte schon umgesetzt sein."

Eine Kuratorin im eigentlichen Sinne sei sie aber nicht. "Das will ich auch nicht sein, weil ich niemanden beschneiden." Dass sogar Anfragen aus angrenzenden Bundesländern kommen, sieht Sanlav als einen Beweis für den Bedarf, sich untereinander auszutauschen.

Gemeinschaft als Türöffner

Die Frankfurter Fotografin Marion Eckstein hat diesen Bedarf tatsächlich gespürt. Seit fünf Jahren zieht sie mit ihrer Kamera durch die Stadt, immer auf der Suche nach guten Motiven. "Das ist eher ein Einzelkämpferinnen-Dasein gewesen", erzählt sie. Oftmals habe sie verzweifelt nach Möglichkeiten gesucht, ihre Werke auszustellen, ohne sich in Unkosten zu stürzen. Räume anzumieten, stehe für sie finanziell in keinem Verhältnis. "Und da in dieser Stadt alles abgerissen und gentrifiziert wird, was preiswert ist, wird das immer schwieriger."

Frankfurter Hochhäuser bei Nacht

Im letzten Sommer wird sie Teil des Eyecandy-Netzwerks. Dadurch habe sich ihre Situation grundlegend verbessert, sagt Eckstein - auch finanziell. "Ich habe den Eindruck, dass sich uns Türen öffnen, weil wir eine starke Gruppe sind." Sie generiere zwar "noch keine Rieseneinnahmen". Ein Anfang sei aber gemacht. Über Eyecandy hat sie beispielsweise die Band Tonland kennen gelernt und schießt nun Fotos von ihr. Ihre Bilder stellt sie außerdem im Pop-up-Store im Nordwestzentrum aus. Die Frankfurterin mutmaßt: "Das hätte ich so alleine nicht hingekriegt."

"Diese Kunstverrücktheit versteht auch nicht jeder"

Für Marion Eckstein ist außerdem der Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern wichtig. "Diese Kunstverrücktheit, die versteht ja auch nicht jeder, diesen Wahn, den wir manchmal haben." Auch wenn jede und jeder andere Ziele habe - die Intention dahinter sei gleich.

Das schätzt auch Eric Schrade an Eyecandy. Der Maler und Bildhauer spürt zwar noch keine finanzielle Verbesserung, profitiert aber trotzdem von den Synergien, die die Gruppe birgt. "Man wird mehr wahrgenommen, auf Facebook und Instagram und auch durch Veranstaltungen", findet er.

Obwohl er seine Arbeiten schon mehrfach ausgestellt hat, fühlte er sich teilweise alleine. Die Vernetzung mit anderen Kunstschaffenden, gerade aus anderen Genres, habe das verändert. So könnten auch Projekte gestemmt werden, die für den Einzelnen logistisch schwer zu stemmen sind - wie etwa die Ausstellung im Nordwestzentrum, für die er eine Installation gestaltet hat.

Neue Räume für Kunst erschließen

Ein Mann mit Basecap und weißem, farbverspritztem Hemd steht neben einer Leiter. Dahinter ein buntes Gemälde, das einen Kopf mit einem Mundschutz zeigt.

Schon während der Aufbauarbeiten im Shopping-Center habe er das Interesse der Besucherinnen und Besucher gemerkt. "Mit Sicherheit gibt es Leute, die da reinschauen und neugierig werden." Seine Hoffnung: mit ihnen in Kontakt kommen, sich präsentieren, vielleicht sogar Kunstwerke verkaufen.

"Vielleicht können wir diesen Raum ein bisschen neu besetzen", sagt Marion Eckstein über die Nordweststadt. "Mal sehen, ob wir nicht auch ein wenig kunstaffines Publikum dorthin ziehen können. Man muss ja nicht gleich von Null auf Hundert gehen."

Eine gewisse Erfahrung mit solchen Events haben die Eyecandy-Künstlerinnen und Künstler schon gesammelt, etwa auf der Frankfurter Fashion Week im Januar: Über 30 Kreative aus dem Netzwerk gestalteten Leinwände, die eine Designerin schließlich in Mode verwandelte. Bei einer Art Musical wurden sie dem Publikum vorgeführt.

Eyecandy will in Zukunft deutschlandweit vernetzen

Um einen festen Ort für solche genreübergreifenden Events zu haben, eröffnet Eyecandy Frankfurt im April sogar eine eigene Kunsthalle in Offenbach: den "Temple of Arts". Dort sollen einerseits Ausstellungen stattfinden - "nicht diese klassischen", sagt Tülay Sanlav, "sondern häufig gepaart mit Musik, mit Tattoo-Künstlern und Live-Shootings." Andererseits können die Künstlerinnen und Künstler dort in einem Atelier an ihren Werken arbeiten.

Der "Eyecandy-Tempel" bedeutet aber nicht das Ende von Aktionen wie der im Nordwestzentrum. Sie wünsche sich noch mehr Zusammenarbeit - mit Museen, Banken und allen, die große Flächen zur Verfügung haben, sagt Gründerin Tülay Sanlav. "Kunst gehört in die Herzen der Menschen. Das kann wirklich überall sein, das ist nicht unbedingt zwingend eine Kunstgalerie. Wir möchten hin in die City, zu den Frankfurtern."

Und vielleicht sogar darüber hinaus: In der Zukunft will die Gründerin von Eyecandy mit ihrer Plattform nämlich auch in anderen Bundesländern für Vernetzung und Sichtbarkeit sorgen.

Weitere Informationen

"Frühlingserwachen" im Nordwestzentrum

Vom 21. März bis zum 23. April zeigt das Einkaufszentrum die Kunstobjekte und Installationen von Eyecandy-Künstlerinnen und -Künstlern. Die eigens erstellten Exponate werden im gesamten Zentrum kostenlos ausgestellt.
Außerdem werden Malereien, Skulpturen und Fotografien in einem Pop-Up-Store im Center gezeigt, die Künstlerinnen und Künstler wechseln wöchentlich. Eine Sonderausstellung zeigt zudem ein Werk der elfjährigen Nachwuchs-Künstlerin Salome Aurelie Zähringer zum Thema "Finger weg von Kindern".

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