Meron Mendel Portrait

Nach nicht einmal zwei Wochen ist Meron Mendel vergangene Woche als Antisemitismus-Berater der documenta 15 zurückgetreten. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank sagt: "Eine Zusammenarbeit mit der Leitung gab es nicht."

Nachdem Meron Mendel vergangene Woche verkündet hatte, nicht mehr als externer Experte für die documenta 15 zur Verfügung zu stehen, hatte die Künstlerin Hito Steyerl dies zum Anlass genommen, ihre Installation auf der documenta 15 abbauen zu lassen.

Mendel wirft der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann vor, keine geeigneten Schritte unternommen zu haben, um den Antisemitismus-Eklat aufzuarbeiten - im Gegenteil. Im Interview erzählt er, dass eigentlich niemand mit irgend jemandem spricht und er sich wie ein Feigenblatt gefühlt habe.

hessenschau.de: Wie nehmen Sie die Situation im Moment wahr?

Meron Mendel: Derzeit wird kaum noch miteinander gesprochen. Die Künstler und die Künstlerkollektive sind in einem Universum für sich, die documenta-Leitung kommuniziert nicht. Die Kritiker formulieren ihre Kritik vor allem in der Zeitung und in den Medien. Es fehlt einfach ein Dialog, in dem die Kritik an die Künstlerinnen und Künstler herangetragen wird und darüber diskutiert werden kann.

hessenschau.de: Sollte nicht genau das auch Ihre Aufgabe sein, diesen Dialog zu unterstützen?

Meron Mendel: Ich habe wirklich gehofft, dass mir das gelingen wird. Alle sprechen für sich, aber nicht miteinander. Meine leise Hoffnung war, dass wir in der Lage wären, alle an einen Tisch zu bringen, die verschiedenen Perspektiven zusammenzuführen. Das kann aber nur gelingen, wenn die documenta-Leitung das unterstützt und das ermöglicht. Aber das ist nicht passiert.

In den letzten zwei Wochen habe ich festgestellt, dass das entweder von der documenta-Leitung nicht gewollt ist oder sie nicht in der Lage ist, das zu tun. Und an diesem Punkt musste ich die Reißleine ziehen und sagen: Ich steige aus. Ich hoffe aber, dass das nicht das gesamte Aus für die documenta ist.

hessenschau.de: Wie beschreiben Sie Ihre Zusammenarbeit mit der documenta?

Meron Mendel: Meine Aufgabe war es, die documenta-Leitung zu unterstützen bei der Sichtung problematischer Kunstwerke und einen Dialog zwischen den Künstlern und Kritikern zu gestalten. Nach mehr als zwei Wochen habe ich festgestellt, dass es von der documenta-Leitung nicht wirklich gewollt ist. Alle meine Anrufe und Nachrichten an Frau Schormann wurden nicht beantwortet. Ich hatte das Gefühl, man spielt auf Zeit. Bei mir ist irgendwie auch der Verdacht aufgekommen, dass meine Person als Feigenblatt für die documenta-Leitung genutzt wird.

hessenschau.de: Sind Sie mit dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa in Kontakt? Wie nehmen Sie deren Position wahr?

Meron Mendel: Ich musste in den letzten Wochen immer wieder feststellen, dass von der documenta-Leitung ein direkter Kontakt zwischen mir und Ruangrupa nicht erwünscht ist. Die Kontakte, die ich zu Ruangrupa hatte, waren alle privater Natur über Freunde in Kassel, die mich sozusagen mit Ruangrupa direkt verbunden haben. In den Gesprächen hatte ich durchaus den Eindruck, dass sie dazu lernen wollen, dass sie verstehen. Und es geht sehr viel darum, mit ihnen in Verbindung zu kommen, in den Dialog zu treten. Dass das bis heute nicht gemacht wurde, erachte ich als schwerwiegenden Fehler. Dieser Fehler liegt an allererster Stelle bei der Leitung der documenta.

hessenschau.de: Kann die documenta 15 unter den gegebenen Umständen bis zum Ende durchgeführt werden?

Meron Mendel: Die documenta muss einfach bis Ende September noch laufen. Wir brauchen aber ein klares Signal aus der documenta-Leitung und dann klare Signale aus der Politik. Die Versäumnisse der letzten Wochen und Monate sind einfach so zur Kenntnis genommen worden. Es muss aber entschieden agiert werden. Und vor allem muss gezeigt werden, dass ein Dialog noch möglich ist. Denn eine Aufarbeitung ist notwendig.

hessenschau.de: Konnten Sie mit ihren Vermittlungsversuchen auch Erfolge verbuchen?

Mendel: Vor anderthalb Wochen haben wir es wirklich geschafft, zum ersten Mal, den Zentralrat der Juden nach Kassel und ins Gespräch mit den Künstlerinnen und Künstlern zu bringen. Und für einen Moment war da das Gefühl, dass wir eine Brücke schaffen können. Das war ein großer Erfolg. Aber diese Brücke muss man auch pflegen. Und wenn wir diesen Dialog nicht weiterbringen, dann kann man die documenta 15 als gescheitert erklären.

hessenschau.de: Die Künstlerin Hito Steyerl hat ihre Arbeit von der documenta 15 zurück gezogen. Sollten andere Künstler ihrem Beispiel folgen?

Mendel: Nach meinem eigenen Rückzug hat mich Hito Steyerl kontaktiert und mich nach meiner Meinung gefragt. Ich habe ihr davon abgeraten, weil ich, so weit wie es geht, Schaden von der documenta 15 abhalten will. Also es geht nicht darum, dass die documenta 15 jetzt komplett untergeht, sondern es geht darum, ein Stoppschild hoch zu halten. Ab jetzt muss schnell und eindeutig gehandelt werden. Und wenn sich andere Künstler auch für diesen Weg entscheiden, wenn sie ihre Arbeiten abbauen lassen, wird die documenta vorzeitig schließen, was ich für eine Katastrophe hielte.

hessenschau.de: Wie beurteilen Sie die Diskussion in den Medien und in der Politik, die zum Teil aggressiv und mit harten Worten geführt wird?

Mendel: Ich halte nicht sehr viel von Pauschalisierungen. Man sollte nicht die gesamte Ausstellung als antisemitisch erklären. Deswegen ist es weder die "Antisemita 15" (Sascha Lobo am 22.6.2022 in "Der Spiegel", Anm. d. Red.) noch "Die Ausstellung der Schande", wie einige Zeitungen das getitelt haben. Es gibt 1.500 Künstlerinnen und Künstler in Kassel, die wunderbare Arbeiten machen. Und dass sie alle jetzt wegen eines Skandals ins schlechte Licht gerückt werden - das ist einfach tragisch.

hessenschau.de: Was sollte die Konsequenz daraus sein?

Es ist die Aufgabe der documenta-Leitung, sich schützend vor diese Künstlerinnen und Künstler zu stellen und einen Dialog zu ermöglichen und sehr schnell aktiv zu sein. Was wir in den letzten Wochen versäumt haben, muss jetzt, in den nächsten Tagen passieren. Und ich wünsche uns, ich wünsche Hessen, dass die documenta-Leitung dieser Aufgabe gewachsen ist.

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