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Streit um documenta geht weiter

Schormann Portrait

Sabine Schormann steht als Generaldirektorin der documenta seit Wochen in der Kritik. Nachdem ein Bild mit antisemitischen Motiven entfernt werden musste, gibt es Rücktrittsforderungen. Im Interview erklärt sie, weshalb das jetzt gerade keine Option ist.

Es ist ein heißer Sommertag in Kassel, Badewetter, aber Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta, hat davon wenig: Sie hetzt derzeit von einem Termin zum nächsten - Schadensbegrenzung lautet ihre Mission.

Dass nach monatelanger Debatte um Antisemitismus-Vorwürfe am Ende tatsächlich antisemitische Figuren in einem Bild der indonesischen Gruppe Taring Padi gefunden wurden, wird auch Schormann persönlich angelastet. Einen Rücktritt lehnt sie weiter ab. Im Interview spricht sie über die ersten Schritte, mit denen die documenta den Skandal aufarbeiten will.

hessenschau.de: Es gab zuletzt einige Rücktrittsforderungen, gehen oder bleiben Sie?

Schormann: Das ist eine Frage, die ich mit den Gremien diskutieren werde. Ich finde, dass ich meine Aufgabe verantwortungsvoll wahrnehme und dass wir insgesamt gut aufgestellt sind. Und alles Weitere werden wir jetzt sehen.

hessenschau.de: Ist die documenta noch zu retten oder sollte man sie besser beenden?

Schormann: Aus meiner Sicht ist die documenta sehr, sehr viel mehr als das, worüber jetzt leider ausschließlich diskutiert wird. Das ist auch wirklich ausnehmend traurig und es tut uns allen auch unendlich leid, das haben wir mehrfach gesagt, sowohl ich persönlich, die documenta gGmbH und auch das Kuratorenkollektiv Ruangrupa.

Aber die documenta ist darüber hinaus viel, viel mehr. Sie bietet unglaublich viele Denkanstöße. Sie gibt die Möglichkeit, partizipativ dabei zu sein und sich mit Themen wie Solidarität, Teilhabe, Ressourcenverteilung zu beschäftigen. Und insofern hoffe ich sehr, dass sich diese Möglichkeiten weiter durchsetzen.

hessenschau.de: Es ist eine Untersuchung aller Kunstwerke angekündigt worden - wie soll das aussehen?

Schormann: Wir sind dabei, auch mit Unterstützung durch Expertinnen und Experten, wahrgenommen in der kuratorischen Verantwortung durch Ruangrupa. Und wir werden dann auch so damit umgehen, dass wenn noch etwas eindeutig Antisemitisches identifiziert werden sollte, dann würde es deinstalliert.

Wenn es kritische Positionen sind, dann sollte daran auch eine Debatte geführt werden. Das ist der eine Punkt des Maßnahmenkatalogs, den ich eingeleitet habe, jetzt in der operativen Verantwortung. Dazu kommt aber auch die Aufnahme des Dialogs mit der Anne Frank Bildungsstätte, die am nächsten Mittwoch schon einsetzen und dann in weiteren Gesprächen fortgesetzt werden soll. Und es wird ein Begegnungs-Stand geben, an dem Besucher und Besucherinnen, aber auch Künstler und Künstlerinnen, sich austauschen können zum Thema Antisemitismus.

hessenschau.de: Sie haben sich entschuldigt, die Gefühle Einzelner verletzt zu haben. Es sei ein kulturelles Missverständnis. Sehen Sie das so oder geht es nicht eher um indiskutablen Antisemitismus?

Schormann: Ruangrupa und auch Taring Padi haben sehr eindeutig versichert, dass dieses Werk keinen antisemitischen Kontext hat, sondern unter anderen historischen Vorzeichen entstanden ist, aber sich natürlich einer Bildfigur bedient, die für uns klar antisemitisch ist und auch in anderen Teilen der Welt so gesehen wird.

Das muss man einfach konstatieren und deswegen ist es auch unverzeihlich, dass es gezeigt wurde. Aber Taring Padi und auch Ruangrupa haben beide zugestimmt, das Bild zu abzuhängen und damit auch zu respektieren. Und nicht nur auf die Gefühle, sondern auf die Belange des Gastgeberlandes spezifisch einzugehen.

hessenschau.de: Bundeskanzler Scholz (SPD) will nicht mehr zur documenta kommen. Wie sehen Sie das?

Schormann: Das finde ich sehr betrüblich, denn ich glaube, es ist wichtig, dass man sich das Ganze auch selbst vor Augen führt und vielleicht auch tatsächlich noch einmal miteinander ins Gespräch geht. Denn letztlich stoßen hier natürlich verschiedene Sichtweisen aneinander - die des globalen Nordens und des globalen Südens.

Und wir merken ja, wie schwierig diese Prozesse zu verhandeln sind, wie sehr doch die Verletzungen, die aus dem Kolonialismus stammen und die Verletzungen, die mit dem Antisemitismus zu tun haben, wie schwer die miteinander in Bezug zu bringen sind. Und ich glaube, das ist ein Thema, über das man wirklich noch mal miteinander sprechen sollte.

hessenschau.de: Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat angekündigt, dass, wenn der Bund in Zukunft die documenta weiter finanziell unterstützt, es künftig auch mehr Mitsprache durch den Bund geben sollte.

Schormann: Insgesamt muss man sagen, dass sich die documenta durch die Kunstfreiheit konstitutiv zusammensetzt. Das heißt, politische Einflussnahme - direkte - darf es bei der documenta nicht geben, sonst verliert sie für meine Begriffe ihre Relevanz.

Dass man Unterstützung hat durch internationale und nationale Kompetenz, ist etwas ganz anderes. Das zeigt sich ja jetzt auch im Hintergrund, dass wir mit Findungskommissionen arbeiten und auch mit dem Bund und vor allen Dingen der Kulturstiftung des Bundes im regen Austausch stehen.

hessenschau.de: Es gibt viele Kunst-Interessierte, die es schade finden, welchen Verlauf die documenta 15 aktuell nimmt. Was sagen Sie Besuchern oder Besucherinnnen - oder auch Künstlern und Künstlerinnen dazu?

Schormann: Momentan sind Ruangrupa und auch die Künstlerinnen und Künstler gemeinsam bereit, das Positive dieser documenta hervorzuheben. Insofern sagen wir auch allen Besucherinnen und Besuchern, dass es schön ist, wenn sie sich selbst ein Bild machen, wenn sie sich auch aufs Gespräch einlassen. Und wir hoffen, dass sich diese Lesart dann auf Dauer auch durchsetzt.

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