Sabine Schormann, im Hintergrund unscharf: Angela Dorn

Sabine Schormann ist nicht länger Generaldirektorin der documenta. Das gab der Aufsichtsrat der Weltkunstschau bekannt. Die 60-Jährige zog damit nun doch Konsequenzen aus dem Antisemitismus-Skandal der documenta fifteen.

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documenta-Generaldirektorin Schormann legt Amt nieder

hessenschau vom 16.07.2022
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Sabine Schormann wird als Generaldirektorin der documenta zurücktreten. Das erklärte der Aufsichtsrat der Weltkunstschau am Samstag. In seiner Sitzung am Freitagabend hätten sich der Aufsichtsrat, die Gesellschafter der documenta und Schormann einvernehmlich darauf verständigt, ihren Vertrag kurzfristig aufzulösen.

Es werde zunächst eine kurzfristige Interimsnachfolge angestrebt, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und der stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne). Man sei tief betroffen, dass am Eröffnungswochenende der documenta fifteen "eindeutig antisemitische Motive zu sehen waren". Die Präsentation des Banners "People's Justice" sei eine klare Grenzüberschreitung gewesen. Der documenta sei damit erheblicher Schaden zugefügt worden.

Der Aufsichtsrat beteuerte erneut, den Vorfall "zeitnah aufzuklären" und Konsequenzen für die Zukunft der Kunstausstellung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ziehen zu wollen. Man müsse alles daran setzen, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) begrüßte die Trennung von Schormann am Samstag. "Es ist richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bildsprache kommen konnte, sowie die nötigen Konsequenzen für die Kunstausstellung zu ziehen", sagte Roth der Frankfurter Rundschau. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte den Rücktritt Schormanns "überfällig".

Banner mit antisemitischen Motiven erst verhüllt, dann abgebaut

Bei der weltweit wichtigsten Ausstellung für Gegenwartskunst war nach der Eröffnung Mitte Juni eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt worden. Das Banner "People's Justice" des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi zeigte rund hundert Figuren, darunter einen orthodoxen Juden mit Raffzähnen und SS-Symbol auf dem Hut sowie einen Uniformierten mit Schweinerüssel und der Aufschrift "Mossad" auf dem Helm.

Das Kunstwerk wurde inzwischen abgehängt. Bereits vor der Eröffnung hatte es Antisemitismusvorwürfe gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa gegeben, das ebenfalls aus Indonesien stammt. In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Rücktrittsforderungen gegen Schormann erhoben.

Mendel: "Rücktritt ist ein Befreiungsschlag"

Die Organisatoren der documenta hatten als Konsequenz angekündigt, alle weiteren Werke mithilfe externer Experten, darunter auch dem Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, auf antisemitische Inhalte zu prüfen. Mendel kündigte sein Engagement allerdings nach zwei Wochen bereits wieder auf: Er vermisse den Willen, die Vorgänge des Antisemitismus-Skandals aufzuklären. Mendel kritisierte auch Schormann persönlich. In der Folge erklärte mit Hito Steyerl eine der international wichtigsten Künstlerinnen, ihre Werke von der documenta abzuziehen.

Gegenüber dem hr bezeichnete Mendel den Rücktritt Schormanns am Samstag als "Befreiungsschlag". Zwar gehe "nicht alles, das schiefgelaufen ist", auf Schormanns Konto. Ihr Schritt eröffne nun aber die Möglichkeit, die "schlechte Stimmung, die in den letzten Wochen geherrscht hat", aufzulösen. Nun müssten alle Beteiligten an einen Tisch kommen und konstruktiv miteinander sprechen, um Lösungen für die documenta zu finden. Seine offizielle Beratertätigkeit wolle er dennoch nicht wieder aufnehmen.

Aufsichtsrat will Expertenkommission einsetzen

In der Erklärung von Samstag bekräftigte der documenta-Aufsichtsrat, dass Hinweisen auf mögliche antisemitische Bildsprache und Beförderung von israel-bezogenem Antisemitismus unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit nachgegangen werden solle. Man habe der Gesellschafterversammlung empfohlen, eine fachwissenschaftliche Begleitung einzusetzen, um eine erste Bestandsaufnahme der Abläufe, Strukturen und Rezeptionen rund um die documenta fifteen vorzunehmen und Empfehlungen für die Aufarbeitung zu geben. Auch die Organisation als solche solle überprüft werden.

Die Stadt Kassel und das Land Hessen eine das gemeinsame Ziel, die Verfehlungen beim Thema Antisemitismus und strukturellen Defizite aufzuarbeiten. Man werde alles daran setzen, der documenta auch in Zukunft ihren "weltweit einzigartigen Rang als Ausstellung für zeitgenössische Kunst zu sichern".

Die Strukturen der documenta beschäftigten zuletzt auch den hessischen Landtag und den Bundestag. Kulturstaatsministerin Roth warf der documenta Versagen und Wortbruch vor und sprach sich für eine stärkere Mitwirkungsmöglichkeit der Bundesebene aus. Die gegenwärtigen Strukturen hätten die notwendige kuratorische und Vermittlungsarbeit nicht geleistet. 

Schormann war seit 2018 Generaldirektorin

Schormann wechselte im Herbst 2018 als Generaldirektorin nach Kassel. Im Jahr zuvor war die gemeinnützige documenta GmbH wegen eines Millionendefizits bei der documenta 14 im Jahr 2017 in die Schlagzeilen geraten. Die damalige Geschäftsführerin, die Kunsthistorikerin Annette Kulenkampf, legte daraufhin ihr Amt nieder. Übergangsweise führte zunächst der Musikmanager Wolfgang Orthmayr die Geschäfte.

Vor ihrem Wechsel zur documenta war Schormann in Doppelfunktion Direktorin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und der VGH-Stiftung. Zu den Aufgaben der 60-Jährigen in Kassel gehörte unter anderem die Vorbereitung und Organisation der documenta fifteen.

Bis zuletzt wehrte sich die gebürtige Bad Homburgerin gegen Rücktrittsforderungen. In einem Interview mit dem hr sagte Schormann, das Zeigen des Banners sei unverzeihlich, auch wenn die Künstler ihr versichert hätten, es sei nicht vor einem antisemitischen Hintergrund entstanden.

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