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Antisemitismus-Vorwurf: documenta lässt umstrittenes Banner verhüllen

Mit schwarzem Stoff verhüllte Figurendarstellung People's Justice (2002) des Kollektivs Taring Padi.

Nach den massiven Antisemitismus-Vorwürfen an einem großformatigen documenta-Banner auf dem Kasseler Friedrichsplatz wurde das Werk abgedeckt - "unter Trauer" der verantwortlichen Künstler.

In der Antisemitismus-Debatte um die Kunstausstellung documenta 15 steht nun ein großformatiges Banner des Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Kasseler Friedrichsplatz in der Kritik. Es zeigt an einer Stelle einen Mann mit einer Art "Judenhut" mit SS-Runen. Er hat Schläfenlocken, blutunterlaufene Augen, spitze Zähne und eine gespaltene Zunge. Ein anderes Motiv bildet einen Soldaten mit Schweinsgesicht ab; er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" - die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdiensts.

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Streit um Antisemitische Kunst auf der documenta 15

Antisemitisches Banner auf der documenta
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"Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache", sagte unter anderem die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne), und forderte am Montag von der documenta-Leitung "die notwendigen Konsequenzen". Am Abend wurde das Banner schließlich nach weiterem massiven Protest komplett mit schwarzem Stoff verhüllt - ganz zum Unverständnis der Künstler.

Künstler decken Motiv "mit großem Bedauern" ab

Screenshot des Tweets zu Taring Padi

Das Werk stehe "in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung", wehrte sich Taring Padi in einer Stellungnahme. Die Figuren und Karikaturen auf dem erstmals 2002 ausgestellten Banner seien "kulturspezifisch auf unsere Erfahrungen" während der Militärdiktatur in Indonesien bezogen.

"Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck", hieß es in der Mitteilung weiter. Den Grund für die entstandene Empörung sehen die Künstler vor allem in der deutschen Vergangenheit. "Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird", heißt es: "Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment."

Auch Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta, äußerte sich am Montagabend in der gemeinsamen Pressemitteilung. "Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden", teilte Schormann mit. Sie betonte, die Stadt Kassel habe im Vorfeld keine Kenntnis vom Inhalt des Banners gehabt. Ergänzend zur Abdeckung des Motivs solle nun "externe Expertise" zum Thema eingeholt werden. Eine Erklärung zur Diskussion über das Werk sollte den Angaben zufolge ebenfalls installiert werden.

Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) kritisierte am späten Montagabend die "ganz offensichtlichen antisemitischen Abbildungen" auf dem Banner. Die Gesellschafter der Kunstausstellung sollten deswegen zu einer Sitzung zusammenkommen, teilte Geselle, der Aufsichtsratsvorsitzender der documenta GmbH ist, mit. Von der künstlerischen Leitung erwarte er, "dass sie verantwortungsvoll reagiere". "Allerdings warne ich gleichzeitig davor, jetzt die documenta fifteen unter Generalverdacht zu stellen. In den Preview Days, die vergangene Woche von Mittwoch bis Freitag für Fachpublikum und Medien stattgefunden haben, waren keine antisemitischen Kunstwerke vorher feststellbar."

Israelische Botschaft sieht Parallelen zu Nazi-Propaganda

Konsequenzen hatte zuvor auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, gefordert. Eine rote Linie sei überschritten. Die israelische Botschaft in Berlin erklärte diese rote Linie auf Twitter sogar für "zertrümmert". Die in einigen Exponaten gezeigten Elemente erinnerten "an die Propaganda von Goebbels und seinen Handlangern in dunklen Zeiten der deutschen Geschichte" und sollten sofort aus der Ausstellung entfernt werden, hieß es weiter.

Dieser Forderung schloss sich auch der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU) an. "Dieses Werk muss weg", betonte er.

Kunstministerin Dorn: "Große Besorgnis"

Die hessische Kunst- und Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) reagierte irritiert auf das Banner. Sie habe die jüngst festgestellten Bildausschnitte "mit großer Besorgnis" zur Kenntnis genommen, teilte sie am Montag mit. "Auch mein persönlicher Eindruck ist, dass hier eine antisemitische Bildsprache vorliegt."

Sie habe deshalb Kontakt zur documenta-Leitung aufgenommen, um "eine Klärung herbeizuführen, gegebenenfalls auch unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten für Antisemitismus aus der Wissenschaft", sagte Dorn. Nach documenta-Angaben vom Sonntag entstanden die auf dem Friedrichsplatz und im Hallenbad Ost gezeigten Werke des Künstlerkollektivs Taring Padi im Rahmen von Workshops mit Migranten, Straßenkünstlern und Schülern in Deutschland, Indonesien, den Niederlanden und Australien.

Anne-Frank-Bildungsstätte: "Klare antisemitische Hetze"

"Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu", sagte Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt: "Das ist klare antisemitische Hetze." Die Erklärung des Künstlerkollektivs bezeichnete er am späten Montagabend als "non-apology" (Nicht-Entschuldigung). Auf die antisemitischen Vorwürfe gehe Taring Padi gar nicht ein, kritisierte Mendel, und schrieb auf Twitter: "Das Statement verschlimmbessert das ganze Desaster."

Diese non apology der #Documenta -Leitung macht mich sprachlos: 1. Sie stützen ein Kollektiv, das nicht willens ist, sich seiner eigenen antisemitischen Bilder zu stellen. https://t.co/cNA5K1TlIR

[zum Tweet]

Mendel hatte sich bislang in der seit Monaten schwelenden Antisemitismus-Debatte um die diesjährige documenta hinter die Schau gestellt. Er sagte, er sehe dort keinen Antisemitismus, kritisierte aber die fehlenden Positionen von jüdischen Künstlern aus Israel.

Dem indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa war zum Jahresbeginn von einem Kasseler Bündnis vorgeworfen worden, auch Organisationen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien.

Mendel betonte am Montag, nicht die gesamte Ausstellung sei als antisemitisch zu bezeichnen. "Man muss da differenzieren. Da ist sicher etwas schiefgelaufen. Aber so etwas sollte nicht passieren." Die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, liege nun bei den Kuratoren und der documenta-Leitung.

Volker Beck: "Modernisierung der Judensau"

Ausschnitt aus dem Banner auf der documenta

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, nannte den abgebildeten Soldaten mit Schweinsnase "die Modernisierung der Judensau".

Einem Bild-Bericht zufolge schaltete Beck inzwischen die Staatsanwaltschaft Kassel ein. "Gemessen an den Maßstäben des Urteils des Bundesgerichtshofs zur Wittenberger 'Judensau' stellt das Werk des Künstlerkollektivs Taring Padi einen rechtsverletzenden Zustand dar", findet der Grünen-Politiker.

Beck weiter: "Durch die Darstellung von Juden- und Mossad-Säuen wird unmittelbar auch der Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden in Deutschland lebenden Juden angegriffen. Die Identifizierung eines Juden mit Kippa und Hut, markiert mit einer SS-Rune, verteufelt Juden generell."

Entlassung der documenta-Geschäftsführerin gefordert

Ähnlich erschüttert hat sich am Montag das American Jewish Committee (AJC) Berlin geäußert. Auf der documenta werde trotz der vorangegangenen monatelangen Debatten "offener Antisemitismus zur Schau getragen". "Angesichts dieser antisemitischen Vorfälle fordern wir daher, dass die Geschäftsführerin der documenta, Frau Dr. Sabine Schormann, umgehend von ihren Aufgaben entbunden wird, der offen zur Schau gestellte Antisemitismus unverzüglich unterbunden und die entsprechenden Werke entfernt werden", erklärte AJC Berlin Direktor Remko Leemhuis.

Das Internationale Auschwitz Komitee rief unterdessen zum Dialog mit den Künstlern auf. "Es wird höchste Zeit im Rahmen dieser documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind und seitens der documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner. Derzeit verfolgten Überlebende des Holocaust die "desolaten Entwicklungen" um die documenta "mit Fassungslosigkeit und Resignation".

Künstlerkollektiv aus Indonesien

Taring Padi wurde 1998 von einer Gruppe progressiver indonesischer Kunststudierenden und Aktivistinnen und Aktivisten gegründet. Seit 2002 bezeichnet sich die Gruppe selbst als Kollektiv.

Zur Kunst des Kollektivs gehören Straßenproteste, Workshops, Kunstkarneval und Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten. Künstlerische Mittel sind Transparente, Holzschnittplakate und lebensgroße Pappkartonpuppen. Mit ihnen soll aufgerüttelt und informiert werden, etwa zum Thema Menschenrechte.

Längere Debatte um Antisemitismus

Diskussionen hat es auch über das Kunstwerk "Guernica Gaza" von Mohammed Al Hawajri im documenta-Standort WH22 gegeben. Die Serie zeigt Bilder von Angriffen der israelischen Armee auf das Palästinensergebiet mit klassischen Motiven von Millet, Delacroix, Chagall oder van Gogh. Der Titel bezieht sich auf Picassos berühmtes Gemälde über Angriffe der Luftwaffe zur NS-Zeit auf den spanischen Ort Guernica.

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