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Suizidforscherin Müller-Pein: "Es hängt nicht davon ab, was ich sage - sondern dass ich zuhöre"

Foto mit einem Plakat, auf dem "Suizid - Let's talk about it" steht. Es hängt an der Hauswand neben dem Eingang zum Sepukralmuseum. Hinter dem gläserenen Eingang ist eine Engels-Statue im dunklen Inneren des Museums zu sehen.

Ob in der Familie oder unter Freunden: Suizidgedanken sind ein Tabuthema. Das wollen Studentinnen der Uni Kassel ändern: Sie bieten Besuchern einer Ausstellung die Möglichkeit, über ihre Sorgen zu sprechen. Das kommt gut an.

"Ich möchte sterben" ist kein besonders glücklicher Einstieg für einen Smalltalk, auch wenn viele Menschen ähnliche Gedanken schon mal hatten. Wer einen Freund oder eine Angehörige durch Suizid verloren hat, kennt die Reaktionen auf das Thema: Einmal angesprochen, macht sich bei anderen im Raum schnell betretene Stille breit, vielleicht noch eine Mitleidsbekundung, etwas peinliche Betroffenheit.

9.041 Menschen haben sich 2019 in Deutschland das Leben genommen, deutlich mehr Männer als Frauen.

Lasst uns drüber reden - im Museum

Über Suizid zu reden, sei gar nicht so schwer - und vor allem helfe es, sagt die Wissenschaftlerin Hannah Müller-Pein. Sie forscht seit zehn Jahren zum Thema Suizid und zur Frage, wie man Menschen in Not unterstützen kann. "Möchtest Du darüber reden?", sei die beste Reaktion, wenn jemand das Thema erwähnt. Und dann: Zuhören.

Im Museum für Sepulkralkutur in Kassel hat man diesen Rat wörtlich genommen, die aktuelle Ausstellung heißt: "Suizid, Let's Talk About It" - lasst uns darüber reden. Drei Mal die Woche machen Studierende der Sozialen Arbeit der Uni Kassel vor Ort ein Gesprächsangebot in den Räumen des Museums. Seit dem Ausstellungsbeginn im September gibt es das Angebot, der Bedarf ist verhältnismäßig groß: zwischen zwei und sechs Menschen nehmen jeweils das Angebot an.

Sprechstunde in der Museumsbibliothek

Ronja Rudewig und Helena Maria Krauß studieren im fünften Semester und bieten regelmäßig die besondere Sprechstunde an. In der Ausstellung tragen sie einen Anstecker mit der Aufschrift "Darüber reden. Gerne mit mir." Viele Gespräche entstünden schon dadurch, dass Besucher ihren Anstecker sehen und dann sagen: "Ach schön, mit Ihnen kann man reden", erzählt Rudewig.

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Als Teil der Ausstellung werden im Kasseler Museum für Sepulkralkultur drei Mal in der Woche jeweils für zwei Stunden Gespräche angeboten. Freitag: 15-17 Uhr, Samstag 14-16 Uhr, Sonntag 14-16 Uhr. Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Februar 2022.

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Auch die ausgestellte Kunst sei oft ein erster Eisbrecher für ein Gespräch. Wer das Thema unter vier Augen bereden möchte, kann das in der Museumsbibliothek machen - die Studierenden haben eine Schweigepflicht. Sie bekommen außerdem regelmäßig Supervision.

Nachfragen statt Stillschweigen

Das Thema bewege alle Altersgruppen, unabhängig vom Geschlecht, sagt Rudewig. Häufig seien es Angehörige, die sich Sorgen um einen suizidalen Freund oder ein Familienmitglied machten, erzählt Krauß - dann können die Studierenden auch Hilfsangebote vermitteln. Vielen fehle im Alltag ein Gesprächspartner: "Es ist so schön, dass man mal darüber reden können, es tut so gut", sei etwas, das sie häufiger höre.

"Uns sprechen aber auch Menschen an, die keine Suizidgedanken haben, aber in einer misslichen Lage sind", sagt Rudewig. In ihrer Arbeit vor Ort würden sie merken, dass das Thema im Alltag oft stigmatisiert werde. Im Seminar hatten manche Studierende anfangs noch Sorge, was sie auslösen könnten, wenn sie konkret nachfragen.

"Man kann es nicht verschlimmern, weil man es anspricht - das ist eine große Angst. Dass die Betroffenen nach Hause gehen und dann passiert es", sagt Krauß. Das sei aber unwahrscheinlich, im Gegenteil: Zuhören und Nachfragen sei ein wichtiger Schritt, damit eben nichts passiert.

"Ach, wenn ich nicht mehr da wäre..."

"Es hängt nicht davon ab, was ich sage, sondern, dass ich zuhöre", erklärt Dozentin Müller-Pein. Aus ihrer langjährigen Erfahrung in Krisendiensten wisse sie, dass viele Betroffene schon mal Andeutungen gemacht haben wie "Ach, wenn ich nicht mehr da wäre" oder "Ich könnte mir gleich einen Strick nehmen". Solche Aussagen würden oft nicht ernst genommen.

Ebenso bestehe die Gefahr, dass Menschen mit persönlichen Krisen sich zurückziehen und aus ihrer Negativspirale nicht mehr rauskommen. Die Studentinnen sind überzeugt, dass auch ein Museum der richtige Ort sein kann, ein Gespräch anzufangen. Der Weg in eine Beratungsstelle ist womöglich eine zu große Hürde. Es komme auch vor, dass sich Schüler melden, die sich Sorgen um jemanden in der Klasse machen. Das Angebot ist auch für Menschen offen, die an der eigentlichen Ausstellung kein Interesse haben.

Bislang nur ein Randthema in der Uni

Im Seminar zu Suizid hätten auch viele der Teilnehmerinnen die erste Scheu verloren. Sie fühlten sich für die Arbeit mit Menschen in Krisensituationen nun besser gerüstet, sagen Krauß und Rudewig. Für Dozentin Müller-Pein gehört der Umgang mit Suizidgedanken eigentlich auf jeden Lehrplan für Heilberufe, das sei aber noch ein weiter Weg: Bisher sei der Suizid auch an Hochschulen noch ein Randthema.

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Hilfe bei Suizidgedanken

Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und auch geheilt werden. Hier finden Sie Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige.

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenfrei und anonym erreichbar unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer: 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222.

Um die Anonymität der Anrufer zu wahren, ist die Übermittlung der Rufnummer gesperrt und wird somit in keinem Display der Telefonseelsorge angezeigt. Anrufe bei der Telefonseelsorge werden auch im Einzelverbindungsnachweis nicht aufgeführt.

Auch im Internet kann die Telefonseelsorge kontaktiert werden unter: telefonseelsorge.de

Weitere Informationen zu Hilfsangeboten - beispielsweise Selbsthilfegruppen - finden sich auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: suizidprophylaxe.de

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