Eine dunkelhäutige Frau steht vor einer grauen Wand. Sie trägt ein weißes T-Shirt und stemmt die Arme in die Seiten.

Im Frankfurter Römer kämpft Mirrianne Mahn für Diversität. Trotzdem findet die Grünen-Politikerin den Begriff problematisch. Im Interview erklärt sie, wieso - und was Erdmännchen und Giraffen uns über Diversität lehren.

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Das sagt Hessen zum Thema Diversität

hessenschau vom 31.05.2022
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Ihr Auftritt bei der Buchmesse im vergangenen Jahr machte Mirrianne Mahn, Frankfurter Stadtverordnete für die Fraktion der Grünen, bundesweit bekannt. Im Stadtparlament kämpft sie für Diversität und Zugänglichkeit - nicht nur im Kulturausschuss, dem sie vorsitzt. Diversität müsse in allen Politikbereichen eine Rolle spielen, sagt die 32-Jährige.

Im Interview mit hessenschau.de erklärt Mahn, was Diversität genau meint - und wieso das nicht nur etwas mit Hautfarbe zu tun hat.

hessenschau.de: Frau Mahn, starten wir mit einer Begriffserklärung. Was bedeutet Diversität überhaupt?

Mirrianne Mahn: Ich glaube, es gibt verschiedene Definitionen von Diversität. Es bedeutet Vielfalt und die Gesamtheit der Unterschiede. Für mich bedeutet Diversität Antidiskriminierung. Ich spreche nie über Diversität, ohne über Diskriminierung zu sprechen. Denn der einzige Grund, warum wir über Diversität sprechen, ist, weil sie nicht vorhanden ist. Und sie ist nicht vorhanden, weil Menschen diskriminiert werden.

Diskriminierung ist kein so schöner Begriff wie Diversität, deswegen sagen wir lieber Diversität dazu. Wobei da immer so etwas mitschwingt wie: Wir wollen das jetzt so gerne. Der Punkt ist - Diversität ist nicht etwas, was wir machen oder was wir wollen. Diversität ist schon da. Die Räume, die nicht divers sind, sind aus den Gründen nicht divers, weil dort diskriminiert wird.

hessenschau.de: Wer darf oder soll sich denn divers nennen?

Mahn: Ich finde, das Problem fängt damit an, dass wir irgendwelche Menschen als divers labeln. Das zeigt, dass dieser Begriff nicht verstanden wird, denn die Gesamtheit der Unterschiede funktioniert nicht übertragen auf ein Individuum. Ich bin nicht divers, ich bin eine Schwarze Frau, die queer ist.

Divers ist die Gesamtheit von Unterschieden, und das bedeutet, dass man sich immer die Räume anschauen muss. Wer ist da? Und noch viel wichtiger: Wer ist nicht da? Und warum sind die nicht da? Wenn wir uns diese Frage stellen, dann können wir anfangen, über Diversität zu reden.

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Weil es kein Attribut ist, das auf die Hautfarbe zielt, sondern eine konstruierte politische und soziale Zuordnung, schreiben wir die Bezeichnung "Schwarz" in diesem Artikel groß. Schwarzsein ist in diesem Kontext verbunden mit gemeinsamen Rassismuserfahrungen und bedeutet keine Zuordnung zu einer ethnischen Gruppe.

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hessenschau.de: Divers meint quasi "alle anderen".

Mahn: Genau. Und deswegen könnte man diesen Begriff, wenn man will - und je nach Tagesform tue ich das auch - problematisieren und sagen: Naja, was bedeutet das denn eigentlich? Ich spreche nicht gerne über Diversität, ohne über die vermeintliche Norm zu sprechen.

Und die vermeintliche Norm ist nun mal weiß, männlich, ohne Behinderung, cis gelesen (Cisgender bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht übereinstimmt, Anm. d. Red.). Aber das ist nur ein gesellschaftliches Konstrukt, weil es in der Realität einfach nicht so ist.

hessenschau.de: Würden Sie so weit gehen zu sagen, der Begriff Diversität hat in seiner Verallgemeinerung etwas Diskriminierendes?

Mahn: Nein. Ich finde nicht, dass der Begriff Diversität etwas Diskriminierendes hat, sondern dass wir Deutschen ein großes Talent dafür haben, schlimme Sachen zu tun und schöne Wörter dafür zu erfinden. Wir merken, wir diskriminieren den Großteil der Bevölkerung und deswegen benutzen wir jetzt das Wort Diversität, um damit so zu tun, als ob wir das ändern wollten. Ich glaube, die Mehrheit und besonders in der Kulturszene, in der Politik in Deutschland möchte das nicht wirklich ändern.

Die freie Wirtschaft ist da ganz anders, weil es darum geht, einen Gewinn zu machen und eine gewisse Qualität sicherzustellen. Die freie Wirtschaft hat verstanden, dass wenn man sich divers und intersektional (gleichzeitige und sich überschneidende verschiedene Diskriminierungskategorien gegenüber einer Person, Anm. d. Red.) aufstellt, dass man qualitativ hochwertige Endprodukte hat, hochwertigere Dienstleistungen erbringt. Und deswegen ist es so dumm, dass es sonst überall nicht so ist.

hessenschau.de: Diversität in der Politik, Diversität in der Werbung, sogar ein Modelwettbewerb mit Heidi Klum läuft unter dem Label Diversität. Ist Diversität ein Trend, ein Modewort?

Mahn: Diversität ist ein absolutes Modewort. So ganz bewusst ist es mir so vor circa fünf, sechs Jahren geworden, da wurde Diversität plötzlich hip. Ich finde es so witzig, dass zum Beispiel bei Heidi Klum diese Staffel Diversität als Thema hat, weil jetzt eine Frau dabei ist, die nicht unter 20 ist, eine Schwarze und eine, die nicht dürr ist. Das wird als divers bezeichnet, obwohl man auch sagen könnte, dass diese drei Diversitätstokens die Norm sind.

Es ist so paradox, besonders in Frankfurt, finde ich. Wenn man rausgeht auf die Zeil oder an den Hauptbahnhof, dann sieht man die Norm. Wenn man dann aber in eine Vorstandssitzung irgendwo hingeht, findet man die Ausnahme des realen Lebens. Aber in den Machtpositionen ist das wiederum die Norm. Das ist der Grund und die Erklärung für so unglaublich viele unserer Probleme.

hessenschau.de: Man muss aber auch sagen, Frankfurt ist mit die diverseste Stadt Deutschlands. Wenn wir zum Beispiel auf die Schwäbische Alb fahren, werden wir da vielleicht ein ganz anderes Bild einfangen.

Mahn: Ja und nein. Diversität ist so viel größer als People of Colour und als divers klingende Namen. Es geht auch um diverse Körper. Wenn wir auf die Schwäbische Alb gehen, dann würden wir vielleicht weniger People of Colour sehen. Aber ich bezweifle, dass wir weniger Menschen mit Behinderung sehen, dass wir weniger Menschen sehen, die andere Körper haben.

Klassismus ist ein Teil der Diskriminierung, die stattfindet, weil ja in den Räumen, in denen all diese Themen verhandelt werden - und das ist das Absurde - zu wenige Perspektiven sind. Das Frankfurter Parlament ist der undiverseste Raum, in dem ich mich bewege. Wir können weiter gucken - in den hessischen Landtag, in den Bundestag. Es ist berichtenswert, dass wir inzwischen drei schwarze Abgeordnete im Bundestag haben. Aber es spricht keiner davon, wie viele Menschen im Bundestag im Rollstuhl sitzen oder mit anderen sichtbaren Behinderungen.

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Ab wann gilt man eigentlich als divers?

CSD-Fahrraddemo in Hamburg
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hessenschau.de: Barrierefreiheit ist also ein Teilbegriff von Diversität?

Mahn: Ich spreche ungern von Barrierefreiheit. Ich spreche von Zugänglichkeit, weil Diversität automatisch vorhanden wäre, wenn wir alle Räume zugänglich für alle machen würden. Barrierefreiheit wird oft mit einer Rollstuhlrampe verwechselt und es bedarf so viel mehr. Auch, weil Barrierefreiheit oft auf Menschen mit Behinderung reduziert wird. Es ist aber so, dass es uns allen besser geht, wenn wir Räume so gestalten, dass sie für alle zugänglich sind.

Wir müssen davon wegkommen, zu denken, wenn wir Rassismus abbauen und Räume zugänglich für Schwarze Menschen machen, dass wir das für diese Leute tun. Nein, es ist ein angenehmer Raum für alle. Wenn wir Sexismus abbauen, ist es auch ein angenehmer Raum für alle. Und wenn wir Barrieren abbauen oder die Zugänglichkeit besser machen, die Toiletten zugänglicher machen, die Räume so gestalten, dass man sich wohler fühlt, dann ist es für alle besser.

hessenschau.de: Das sagen Sie. Die Personengruppen, deren vermeintliche Privilegien da abgebaut werden, die sehen das nicht so, sondern empfinden das möglicherweise als mühselig, sich damit auseinanderzusetzen.

Mahn: Das ist voll in Ordnung. Ich habe auch kein Problem mit Treppen, aber wenn ich keine gehen muss, finde ich es auch cooler. Zum Beispiel die Treppe von der U-Bahn an der Konstablerwache nach oben. Ich benutze da gerne die Rolltreppe, auch wenn ich durchaus meine Beine benutzen könnte.

Es geht nicht darum, dass du irgendwas nicht sagen darfst, dass du irgendwas nicht machen darfst. Mache es ruhig, aber lebe mit den Konsequenzen. Ich lebe ja auch mit den Konsequenzen meiner Umgebung.

hessenschau.de: Wann ist denn echte Diversität erreicht?

Mahn: Ach, das ist einfach. Echte Diversität ist dann erreicht, wenn alle Menschen eben überall, wo sie sein wollen, gut sein können. Diversität heißt nicht, dass wir jetzt ein Schild aufhängen und sagen, alle sind willkommen und sollen reinkommen. Sondern es müssen die Bedingungen geschaffen werden, dass die Menschen auch gut darin sein können.

Das ist ein bisschen mein Beef mit der Buchmesse: zu sagen, Schwarze Frauen sind willkommen, aber gleichzeitig Nazis hinzustellen, die diese umbringen wollen. Das ist etwas absurd. Wie im Erdmännchen-Gehege im Zoo zu sagen: Elefanten und Giraffen sind auch willkommen. Aber die Bedürfnisse einer Giraffe können in diesem Raum nicht erfüllt werden.

Das müssen wir ändern. Wir müssen uns anschauen, wer nicht da ist. Und dann müssen wir Expertinnen einladen aus den Communities, die nicht da sind. Nicht einfach nur Betroffene. Expertinnen. Wir müssen fragen: Was braucht ihr? Und dann müssen wir zuhören und es ihnen glauben.

hessenschau.de: Wenn Sie sich etwas wünschen dürften...

Mahn: Nur eine Sache?

hessenschau.de: Fangen wir mal mit dem Wichtigsten an.

Mahn: Das Wichtigste ist, finde ich, die Rettung des Klimas. Aber dann... Ich wünsche mir ganz klar eine größere Vielfalt in deutschen Parlamenten. Und zwar in allen.

Einfach aus dem Grund, weil dort die Entscheidungen getroffen werden. Weil dort die Stellschrauben bewegt werden, die die Maschinerie dieser Gesellschaft am Laufen halten. Deswegen habe ich die Hoffnung, wenn wir die Vielfalt der Gesellschaft in den Parlamenten abbilden, dass wir dann auch eine Politik, ein Leben und eine Realität für alle mitdenken können. Das wünsche ich mir. Nennen Sie mich naiv, aber ich bin noch jung. Ich darf das.

Das Gespräch führte Katrin Kimpel.

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Diversity Tag

Am 31. Mai ist zum zehnten Mal Diversity-Tag. Der bundesweite Aktionstag wurde vom Verein "Charta der Vielfalt" initiiert. Unter den Unterzeichnern der "Charta der Vielfalt" ist auch der hr. Das Motto des Aktionstags in der ARD lautet "Gemeinsam sind wir Vielfalt".

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