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Hessischer Nachwuchsschauspieler spielt KZ-Kind in "Nazijäger"

Szenenbild aus "Nazijäger"

In Konzentrationslagern wurden Kinder für pseudomedizinische Versuche missbraucht. Das Doku-Drama "Nazijäger" zeigt ihr Schicksal. Im Interview erzählt der Kasseler Regisseur Raymond Ley, wie er die jungen Darsteller auf die Dreharbeiten vorbereitet hat.

Er ist bekannt dafür, sich schwerer Kost zu widmen: Der Kasseler Regisseur Raymond Ley verfilmte die Geschichte von Anne Frank und der Rechtsextremistin Beate Zschäpe; zuletzt rekonstruierte er mit "Schuss in der Nacht" die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Sein neuestes Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis" widmet sich nun einem wenig bekannten Kapitel der Nachkriegszeit: Britische Ermittler deckten damals die Ermordung von Kindern auf, die zuvor im KZ Neuengamme in Hamburg für Menschenversuche missbraucht wurden.

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Die Grundlage des Filmes bilden Verhörprotokolle der Ermittler Anton Walter Freud, dem Enkel von Sigmund Freud, und Hanns Alexander von 1945 und 1946. Im Mittelpunkt des Doku-Dramas aber stehen die Kinderdarsteller. Raymond Ley arbeitete dafür mit Nachwuchsschauspielern zwischen sieben und zwölf Jahren zusammen, darunter auch ein Zwölfjähriger aus Burgsolms (Lahn-Dill). Im Interview mit hessenschau.de erzählt der Regisseur, wie er die Kinder auf die Thematik vorbereitet hat und warum das Ende seines Films beinahe versöhnlich ist.

hessenschau.de: Herr Ley, wieso wollten Sie die Geschichte dieser Kinder erzählen?

Raymond Ley: Wir haben schon Filme zu Adolf Eichmann, zu Anne Frank und den Kindern von Blankenese gemacht. Hier ergibt sich noch einmal eine neue Sichtweise. Das Thema britische Ermittler ist relativ unbekannt in Deutschland und ich fand es interessant, es von dieser Warte aus zu betrachten, also aus der Sicht von Männern und Frauen, die bei der Befreiung des KZ Bergen-Belsen dabei waren und die als emigrierte Juden auf der Seite der Briten gekämpft haben.

Szenenbild aus "Nazijäger"

hessenschau.de: Sie haben das Drehbuch zusammen mit Ihrer Frau geschrieben. Fand das Thema dadurch auch Einzug in Ihren privaten Alltag?

Ley: Bei uns sind die Stoffe immer und überall gegenwärtig. Wir haben zwei 14-jährige Kinder, die es nicht immer amüsant finden, wenn wir über Themen sprechen, die sie eigentlich eher mit Angst erfüllen oder auf die sie distanziert schauen. Aber so ist unser Leben und wir sind für diese Konstruktion sehr dankbar, weil wir sehr gerne zusammenarbeiten und sehr gern zusammenleben.

hessenschau.de: In "Nazijäger" spielen Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren mit. Haben sie erfasst, worum es in dem Film geht?

Ley: Kein Kind hat im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren unmittelbaren Kontakt zu den Gräueln des Holocaust oder den Vergehen der Nazis im Dritten Reich. Gecastet haben wir die Kinder mit der klaren Ansage, was wir herstellen wollen. Die Kinder und ihre Eltern wussten bereits vor dem Casting, wo der Schwerpunkt der Geschichte liegt. Es ist ja heutzutage einfach, sich darüber im Internet zu informieren. Man hat auch als Kind innerhalb von Sekunden raus, wie die Geschichte der Kinder am Bullenhuser Damm verlief.

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Bullenhuser Damm

Das ehemalige Schulgebäude Bullenhuser Damm in Hamburg diente während des Krieges als Nebenlager des KZ Neuengamme. In der Nacht zum 21. April 1945 wurden dort zwanzig Kinder, ihre vier Pfleger sowie 24 sowjetische Kriegsgefangene ermordet.

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Wir haben Hand in Hand mit den Eltern gearbeitet, die das komplette Drehbuch kannten und individuell entscheiden wollten, was sie ihren Kindern wie erzählen. Die Jungdarsteller sind alle vorbereitet worden von der Regieassistenz und einer Kinderbetreuung. Ob den Kinderdarstellern von Anfang an im Detail klar war, welches Drama innerhalb des Holocaust - zwischen Deportation und Menschenversuchen - mit diesen Kindern passierte, das würde ich in Abrede stellen. Aber sie hatten ein Gefühl für ihr Schicksal entwickelt.

Ein Mann hält zwei kleine Jungs im Arm. Sie lächeln in die Kamera.

hessenschau.de: Wie können Sie als Regisseur Kinder auf eine solche Thematik vorbereiten?

Ley: Als Regisseur bin ich am Set und kann mit ihnen über die Figur sprechen, proben und Szenen bearbeiten. Die Vorbereitung war relativ lang, von April bis Ende Juni, Anfang Juli. Ich habe den Kindern vor Drehbeginn alle Drehorte gezeigt. Die Kinder haben nach den umfangreichen Proben, die zum Teil auch im Film selbst zu sehen sind, ihren Eltern die Drehorte selbst vorgestellt. Da waren sie sehr stolz und aufgeregt.

hessenschau.de: Ist der Film denn geeignet, um ihn Kindern zu zeigen?

Ley: Wir haben keinen Kinderfilm gedreht, sondern einen Film über den Mord an 20 Kindern. Dieser Film ist nicht für Kinder gemacht. Ich habe den Eltern der Kinderdarsteller anheimgestellt, sich das vorher anzuschauen und dann zu überlegen, welche Ausschnitte sie sich mit ihren Kindern angucken wollen. Letztlich müssen sie entscheiden, inwieweit sie ihren Kindern diesen Stoff noch einmal zumuten. Die Kinderdarsteller bekommen von uns aber eine "Kinderfassung" mit den wichtigsten Szenen und einigen Sequenzen, die nicht im Film verwendet wurden.

hessenschau.de: Wie haben Sie die Kinder am Set erlebt?

Ley: Diese Dreharbeiten waren für sie wie ein absurdes Ferienlager in ländlicher Umgebung. Gleichzeitig haben sie aber immer, wie das für Kinder normal ist, sozusagen aus dem Spiel den Weg in die Szenen gefunden und auch wieder aus diesen Szenen rausgefunden. Es war für uns sehr wichtig, dass die Kinder inhaltlich eintauchen konnten, aber nach den Szenen nie alleine waren.

Es waren sehr oft Eltern vor Ort, die mit den Kindern danach Fußball gespielt haben. Da gab es so absurde Situationen, dass die Kinder in ihren Filmkostümen Fußball gespielt oder Cola getrunken haben. Diese Kinder sind zu einer Einheit geworden. Da gab es gar keine Unterschiede mehr zwischen denen, die größere Rollen hatten und denen, die kleinere Rollen hatten.

Ein Junge mit Glatze und schmutzigem Gesicht
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Auch ein Hesse unter den Kinderdarstellern

Colin Muskat aus Burgsolms (Lahn-Dill) spielt in "Nazijäger" eines der Kinder: den Franzosen Georges-André Kohn. Um sich auch äußerlich in ein Kind im Konzentrationslager zu verwandeln, musste der 12-Jährige sich die Haare abrasieren lassen. Im Interview mit dem hr erzählt er, das Schicksal hinter seiner Rolle sei ihm bewusst gewesen. "Beim Spielen hat man das aber nicht mitbekommen, da hat man sich auf den Text konzentriert", sagt er. Zum Abschluss der Dreharbeiten hat Colin mit anderen Kinderdarstellern die Gedenkstätte für die ermordeten Kinder besucht, den Bullenhuser Damm in Hamburg.

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hessenschau.de: Der Film spielt auf mehreren Zeitebenen, besteht aus fiktionalen und dokumentarischen Szenen. Wieso haben Sie sich für diese Form entschieden?

Ley: Weil sie mir am Sinnvollsten erschien. Ich mag diese Mischform zwischen dokumentarischem Material, was sehr sparsam in dem Film eingesetzt wird, und großen fiktionalen Szenen. Der Zuschauer soll die Geschichte nicht als historisch und lange vorbei abhaken. Wir wollten sie ein bisschen näher an ihn heranbringen.

Wir wollten dem Zuschauer die Möglichkeit zur Auseinandersetzung geben und ihm die Begegnung mit zwei Auschwitz-Überlebenden ermöglichen, mit Andra und Tatjana Bucci. Das sind zwei der letzten Überlebenden, zwei Frauen, die der Vernichtung entkamen. Und dann war es noch einmal interessant, unsere verschiedenen Formen und Akteure zueinander zu bringen, nämlich eine Begegnung zu drehen zwischen Andra und Tatjana Bucci und unseren Schauspielerkindern.

Szenenbild aus "Nazijäger"

hessenschau.de: Diese letzte Szene, die das Aufeinandertreffen der jungen Darsteller mit den Zeitzeuginnen zeigt, wirkt wie eine Nachbereitung für die Kinder: Sie stellen den Frauen Fragen zu ihren Erlebnissen. Was hat es damit auf sich?

Ley: Für die Kinder war es eine Nachbereitung, aber das war nicht unsere erste Intention. Es gab anfangs Bedenken, ob die Bucci-Schwestern die Kinder überhaupt treffen wollen. Die beiden Damen haben schließlich in Neuengamme auf die Kinder gewartet - sie hatten sich zuvor noch nie gesehen. Wir waren da ganz dokumentarisch und schauten einfach zu, was in dem Moment passierte. Ich mag immer wieder den Moment, in dem Tatjana Bucci die Mädchen und den kleinen Jungen umarmt. Dieses Lachen überstrahlt alles.

hessenschau.de: Das Ende wirkt dadurch beinahe versöhnlich. War das Ihre Absicht?

Ley: In seiner Fiktionalität endet der Film damit, dass die kleine Spielfigur von einem der Kinder, Sergio, verbrannt wird. Damit wollte ich den Film nicht aufhören lassen. Wir wollten auf jeden Fall zeigen, dass die Buccis überlebt haben. Dieser Moment der Begegnung am Ende hat einen Moment der Hoffnung. Der soll nicht vergehen. Es muss klar sein, dass hier Menschen überlebt haben - ein Sieg über die Täter.

Szenenbild aus "Nazijäger"

Das Gespräch führte Anna Lisa Lüft.

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Nazijäger - Reise in die Finsternis

Ab sofort in der ARD-Mediathek und am Sonntag, 16. Januar, um 21.45 Uhr im Ersten.

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