Kombo mit Sonja Yakovleva und Vassily Dück

Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, leben auch russische Künstler und Künstlerinnen in Hessen in einer neuen Realität. Sie erleben, dass die Stimmung gegenüber Russen schlechter wird. Das wirkt sich auch auf ihre Arbeit aus - und auf die Beziehung zur Heimat.

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Wie der Krieg die russische Kultur verändert

Post bei Instagram von Sonja Sofia Yakovleva
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Jetzt reicht es ihr. Sonja Yakovleva hat ihren russischen Pass ins Klo geworfen. Via Instagram ruft sie ihre Landsleute dazu auf, ihrem Beispiel zu folgen und die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen.

Die Frankfurter Künstlerin hat sich schon länger mit dem Gedanken getragen, Deutsche zu werden. Schließlich ist sie sogar in Deutschland geboren, 1989, in der damaligen DDR. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine steht ihr Entschluss fest: "Ich bin auf dem Weg, eine wahrhafte Deutsche zu werden, mit Tatort schauen, Bratwurst und Kirmes."

Eigentlich hatte Sonja Yakovleva davon geträumt, ein paar Jahre in Russland zu leben und das Land, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat, als Erwachsene kennen zu lernen - vielleicht als Künstlerin dort zu arbeiten. Aber jetzt sieht sie in Russland keine Zukunft mehr für sich. Und mit der russischen Staatsbürgerschaft kann sie sich nicht mehr wirklich identifizieren. Also landete der Pass im Klo.

Die Zerrissenheit des Vassily Dück

Für den Musiker Vassily Dück stellt sich die Frage nicht, denn als Russlanddeutscher besitzt er beide Staatsbürgerschaften. Seit 25 Jahren lebt er in der Wetterau. Aber er ist auch stolz, Russe zu sein. Umso mehr beschäftigt es ihn, dass sein Herkunftsland die Ukraine angegriffen hat. Ständig muss er darüber nachdenken. "Das Herz ist zerrissen."

Vassily Dück trägt die russische Kultur in sich und empfindet sie als große Bereicherung. Bei seinen Akkordeon-Konzerten spielt er gerne russische Lieder. Auf der anderen Seite muss er feststellen, dass sein Land als Aggressor auftritt. "Es zerreißt mich", wiederholt er.

Das russische Verhalten belastet ihn nicht nur psychisch, sondern hat auch berufliche Konsequenzen. Ein geplantes Solo-Konzert im April wurde erst einmal abgesagt. Wegen der veränderten politischen Lage, hieß es vom Veranstalter. Vassily Dück hat dafür Verständnis. "Wenn es heißt, da spielt ein Sibirier, dann kommen die Leute nicht." Ob das wirklich so wäre, ist nicht gesagt. Ein Auftritt vor kurzem in Frankfurt verlief ohne Probleme.

Besser nicht zeigen, dass man Russe ist

Sonja Yakovleva erlebt bisher keine Einschränkungen in ihrer Arbeit. Aber sie passt sich etwas an. Wenn sie im April bei einer Kunstmesse Arbeiten ausstellt, wird sie die Scherenschnitte von Katharina der Großen lieber zu Hause lassen. In der Öffentlichkeit vermeidet sie es, laut russisch zu reden. Und sie hat gerade keine Lust, Feste zu geben, auf denen sie sonst gerne russische Lebensart zelebriert hat.

Dabei würde sie so gerne mehr zeigen von der russischen Kultur, wie in Videos ihres Künstlerkollektivs KVTV. Darin geht es neben Parodien auf den Kunstbetrieb auch um Fragen der Identität. Das Publikum erfährt zum Beispiel, warum russische Großeltern anstrengend sind und weshalb es in Russland so viele Wandteppiche gibt.

Aber mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich Präsident Putin unverrückbar in den Vordergrund geschoben. Sonja Yakovleva und die vier anderen Mitglieder von KVTV haben sich danach gefragt, ob sie in den Videos vielleicht zu unkritisch mit ihrer Kultur umgegangen sind. Und ob man das alles noch so stehen lassen kann. Jedenfalls ist die Chance, eine andere Seite von Russland zeigen zu können, erstmal vertan. Das bedauert Sonja Yakovleva sehr.

Ein anderer Blick auf Russland

Bald wird sie keine Russin mehr sein. Zumindest nicht nach dem Pass. "Ich bin offenbar deutsch geworden und vertrete auch die Werte, die hier gelten." Sonja Yakovleva denkt an Künstler und Künstlerinnen in Russland, die kritisch zur Staatsführung stehen. Und die kaum noch Möglichkeiten finden, Kunst machen zu können und zu existieren.

Deshalb werden auch einige ihrer Freunde in Deutschland ihrem Beispiel folgen und den russischen Pass abgeben. Weil es für sie im Moment undenkbar ist, irgendwann zurück nach Russland zu müssen. In ein Land mit einer eigentlich so reichen und vielfältigen Kultur.

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