Frankfurter Städel zeigt Ottilie W. Roederstein Das also ist "männliches Talent"?
Ottilie W. Roederstein etablierte sich im Kunstbetrieb zu einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal an einer Kunstakademie studieren durften. Trotzdem ist ihr Name heute nur wenigen ein Begriff. Das Frankfurter Städel widmet ihr nun eine umfassende Retrospektive.
Streng lugt sie unter ihrem roten Barett hervor: Ottilie W. Roederstein. Das Selbstporträt hat die Malerin mit den Worten "O. W. Roederstein peinte par elle même 1894" überschrieben - "O. W. Roederstein, gemalt von sich selbst 1894". Nicht, dass Zweifel aufkommen, es könne sich bei besagter O. W. um weniger als eine professionelle Künstlerin handeln.
Wohl nicht ganz zufällig erinnert die Bildkomposition an Selbstporträts von Raffael oder Rembrandt. Die Malerin hat sich hier ganz explizit eingeschrieben in den Kanon geachteter Künstler. Roederstein zählt zu den wichtigsten Künstlerinnen um 1900. Trotz dessen und obwohl sie den Großteil ihres Lebens im Rhein-Main-Gebiet verbracht hat, ist ihr Name wohl nicht vielen Menschen in Hessen geläufig.
Das könnte sich bald ändern. Mit "Frei. Schaffend. Ottilie W. Roederstein." widmet das Frankfurter Städel Museum Roederstein nun eine umfassende Retrospektive. "Guckt man sich ihre Selbstporträts an, begegnet einem eine sehr durchsetzungsstarke, durchaus ruppig schauende Künstlerin", sagt Alexander Eiling. Er hat die Ausstellung gemeinsam mit seiner Kollegin Eva-Maria Höllerer kuratiert.
Frauen hatten keinen Zugang zu Kunstakademien
Unter Zeitgenossen habe Roederstein nicht als ruppig, sondern im Gegenteil als sehr herzliche Person gegolten, sagt Eiling. Die Ernsthaftigkeit ihrer Selbstinszenierung verweist auf die besondere Lebenssituation der Künstlerin.
Roederstein wurde 1859 in Zürich geboren. Als Frau war ihr vor allem die Rolle der Ehefrau und Mutter angedacht. Ihren Platz in der Kunstgeschichte musste sie sich erkämpfen: Frauen hatten zu Roedersteins Lebzeiten keinen Zugang zu staatlichen Kunstakademien, erklärt die Kunsthistorikerin Julia Meyer-Brehm, die sich zuletzt schwerpunktmäßig Kunst und Design von Frauen zwischen 1880 und 1940 gewidmet hat.
"Wenn man Künstlerin werden wollte, musste man irgendeine Alternativlösung finden. Es gab zum Beispiel sogenannte Damenklassen oder meist von Künstlerinnenvereinen gegründete Mal- und Zeichenschulen", so Meyer-Brehm. Viele Frauen seien zudem ins Ausland gegangen, etwa nach Paris - so auch Roederstein.
Erste Erfolge in Paris
In Paris knüpfte Roederstein wichtige Kontakte. Sie fand einflussreiche Lehrer, war in wichtigen Ausstellungen vertreten. "Weil die Ausbildungssituation schlechter war, wurden Frauen maßgeblich weniger ausgestellt", sagt Meyer-Brehm. "Es wurde weniger über sie geschrieben und gesprochen und sie haben allgemein weniger Beachtung gefunden."
Roederstein gelang es dennoch, bereits zu Lebzeiten auf sich aufmerksam zu machen und sich in männlich dominierten Räumen zu behaupten. 1889 zeigte Roederstein im Schweizer Pavillon auf der Pariser Weltausstellung ein ganzfiguriges Porträt der Pianistin Miss Mosher, für das sie mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wurde.
"Sie hatte Erfolg, weil sie die Chancen genutzt hat, die ihr geboten wurden", sagt Kurator Eiling. "Mit Energie, Elan und der nötigen Überzeugungskraft ist sie immer wieder auch an die Herren herangetreten."
Porträtmalerei als wichtige Einnahmequelle
Dabei bewies Roederstein taktisches Geschick. Ihr Werk umfasst Stillleben, religiöse Malerei und Akt. Doch vor allem die Porträtmalerei war für die Künstlerin eine lukrative Einnahmequelle. "Mit diesen Aufträgen konnte sie ihren Lebensunterhalt bestreiten", so Eiling. "Und sie hat sehr gut davon gelebt."
Gemeinsam mit ihrer Partnerin, der Gynäkologin und Chirurgin Elisabeth Winterhalter, bezog Roederstein 1891 zunächst eine Wohnung in der Frankfurter Innenstadt. 1907 ließen die beiden ein großes Haus in Hofheim bauen, dazu ein Gärtnerhaus und ein Atelierhaus.
Prägende Figur der Frankfurter Gesellschaft
Roederstein porträtierte nicht nur das Who's Who der Frankfurter Gesellschaft, sie prägte sie auch entscheidend mit. 1892 hatte sie ein Atelier in der Städelschen Kunstschule bezogen. Dort gab sie bis 1911 auch privaten Mal- und Zeichenunterricht - hauptsächlich für junge Frauen, darunter die Frankfurter Künstlerinnen Mathilde Battenberg und Hanna Bekker vom Rath.
"Roederstein und Winterhalter wollten etwas verändern", sagt Kurator Eiling. "Sie haben dafür gesorgt, dass ein Mädchengymnasium in Frankfurt eingerichtet wird, damit Frauen das Abitur machen und später auch auf die Universität gehen können." Außerdem hätten sie sich sozialpolitisch engagiert und etwa eine Stiftung für notleidende Künstler gegründet.
Auch dieses Engagement macht Roederstein laut Eiling besonders. "Das ist eine Form von Altruismus, die ich von vielen männlichen Künstlern in der Zeit überhaupt nicht kenne", findet er. "Bei Max Beckmann, der zur selben Zeit in Frankfurt war, galt 'all eyes on me'. Alles, was er kriegen konnte, hat er sich genommen."
Roederstein wurde "männliches Talent" bescheinigt
Männer durften eben einfach Künstler-Genies sein, erklärt Kunsthistorikerin Meyer-Brehm. "Dieser Typus ist seit jeher männlich konnotiert." Roederstein attestierten Kritiker immerhin "männliches Talent". Was aus heutiger Perspektive befremdlich klingt, sei im zeitlichen Kontext als Lob zu verstehen.
"Es wurde eben sehr stark differenziert zwischen weiblicher und männlicher Kunst. Also war es ein großes Kompliment, zu sagen, sie malt wie ein Mann", so Meyer-Brehm. Während Kolleginnen als "Malweiber" diffamiert wurden, würdigte die Neue Zürcher Zeitung Roedersteins Arbeit 1898 als "eine Wucht des Ausdrucks, die so gar nichts Frauenzimmerliches an sich hat."
Werke sollen Teil der Städel-Dauerausstellung werden
Doch auch Anerkennung, Netzwerk und Status verhinderten nicht, dass Roedersteins Bekanntheit nach ihrem Tod im Jahr 1937 verebbte. Mit der Retrospektive steuert das Städel Museum jetzt gegen. Wer war Ottilie W. Roederstein? Was hat sie gemalt? Wie hat sie sich vernetzt? Wie hat sie Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet geprägt? All diesen Fragestellungen widmet sich die Ausstellung.
Kunsthistorikerin Meyer-Brehm freut sich darüber, dass in den letzten Jahren immer öfter ein Fokus auf die vergessenen Werke und Biografien von Künstlerinnen gelegt wird. "Natürlich muss das dann eine langfristige Veränderung in den Sammlungen nach sich ziehen", betont sie und nennt dabei speziell die Ankaufspolitik von Museen.
Das Städel Museum hat bereits 1902 die erste Roederstein-Arbeit erworben - laut Kurator Eiling für 2.000 Reichsmark. Der Großteil der Werke in der Sammlung sind eine Schenkung von Roedersteins Partnerin. Viel gezeigt wurden sie bis heute nicht. Die Retrospektive ist nun der erste Schritt gen Würdigung von Roedersteins Werk. Der zweite ist bereits in Planung. Viele Arbeiten seien für die Ausstellung restauriert und neu gerahmt worden, so Eiling. Nach dem Ende der Ausstellung sollen sie Teil der Dauerausstellung werden.