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Neues Buch von Tatort-Star und Ex-Gefängnisarzt Joe Bausch

Drei Männer neben der Leiche einer jungen Frau, einer trägt einen weißen Schutzanzug.

Als Gerichtsmediziner im Kölner Tatort seziert Joe Bausch fiktive Mordopfer. Im wirklichen Leben hat er als Gefängnisarzt mit vielen Schwerkriminellen gesprochen. In seinem neuen Buch analysiert er spektakuläre Kriminalfälle - auch aus Hessen.

Vielen ist der Mann mit der Glatze und den markanten Falten in seiner Rolle als Gerichtsmediziner Dr. Roth im Kölner Tatort bekannt. Doch Joe Bausch, geboren im mittelhessischen Waldbrunn, ist auch im zivilen Leben Mediziner. Bis zu seiner Pensionierung 2018 hat er als Gefängnisarzt gearbeitet. Über seine Erfahrungen dort schrieb er sein erstes Buch "Knast".

Nun erscheint sein neues Buch "Maxima Culpa - Jedes Verbrechen beginnt im Kopf". Es geht darin ausnahmslos um schwere Straftaten, für die die Täter oder Täterinnen die Höchststrafe bekommen haben - also lebenslange Haft, teilweise sogar mit Sicherungsverwahrung. Bausch erzählt die Fälle nach, zeichnet Täterprofile und versucht sich an einer Erklärung, wie es dazu kommen konnte.

hessenschau.de: Über Jahrhunderte hinweg haben Psychologen, Soziologen oder Ärzte immer wieder zu ergründen versucht, warum Menschen zu Schwerverbrechern werden. Haben Sie eine Antwort gefunden? 

Joe Bausch: Auf die große Frage gibt es natürlich nicht die einzige großartige Antwort, die der Bausch jetzt aufgrund seiner langjährigen Erfahrung geben kann. Bei psychisch kranken Tätern hat es sicherlich auch mit einer genetischen Disposition zu tun.  

Bei anderen ist es Lernen am Modell: Viele der Verbrecher, die ich kennengelernt habe, waren selbst Opfer von Gewalt und sind dann Täter geworden. Bei anderen ist es die Umgebung gewesen, negative Einflüsse der Peergroup oder der Subkultur, in der sie aufgewachsen sind oder in die sie sich hineinbegeben haben.  

Den einen Grund gibt es nicht. Und es gibt daneben auch Täter, die sind behütet aufgewachsen in einer tollen Familie, ohne Geldsorgen und die haben dann doch furchtbare Morde begangen mit einer Skrupellosigkeit, bei der man sich fragt, wie geht das überhaupt? 

hessenschau.de: Sie berichten von einem Fall aus 2001, bei dem ein 36-Jähriger aus Philippsthal (Hersfeld-Rotenburg) nach dem Besuch einer Diskothek ausgeraubt und brutal ermordet wurde, von vier jungen Frauen zwischen 19 und 21 Jahren. Was ist in ihren Köpfen vorgegangen? Haben Sie eine Erklärung? 

Bausch: Wir haben bei gemeinsam begangenen Straftaten von jedem oder jeder der Beteiligten eine andere Variante der Tat. Spannend ist aber auch die Dynamik unter solchen Tätern. Wo kommen die her? Wer hat das Sagen? Wer ist der Initiator dieser Geschichte? Wer trägt wie viel Schuld, wer hat welchen Anteil bei der Planung und Ausführung der Tat? Wer wächst in der Situation in seiner Skrupellosigkeit und Brutalität urplötzlich über sich hinaus?  

Diese Frauen sind vor ihrer Tat nicht straffällig gewesen. Ich glaube, da war bei allen eine Frustration über das eigene Leben, weil jeder Form von Gewalt immer auch ein Scheitern vorausgeht. Davon bin ich überzeugt. Und dann kommen Menschen zusammen, die sich ähnlich fühlen. 

Cover des Buches "Maxima Culpa" von Joe Bausch mit seinem Portrait. Daneben die Angaben zum Buch: "Joe Bausch; Maxima Culpa - jedes Verbrechen beginnt im Kopf, Ullstein Verlag, 288 S., 12,99 Euro"

Die waren gut vorbereitet, hatten einen Mix dabei aus Haushaltsreinigern und irgendwelchen ätzenden Flüssigkeiten, um ein potenzielles Opfer entsprechend zu traktieren. Irgendwann entwickelt sowas dann eine Eigendynamik. Gruppenzwang spielt auch eine Rolle. Es gibt eine Verpflichtung zum Mitmachen. Später erschrecken manche vor sich selbst und sagen: Ich habe nicht geglaubt, dass ich zu sowas in der Lage wäre. 

Da sind auch einige dabei mit mangelndem Selbstwertgefühl, die sich vielleicht für Zurückweisungen durch irgendwelche Männer rächen wollen oder für Kränkungen jeder Art. Wenn das alles zusammenkommt, ist das eine hoch explosive und toxische Mischung. 

hessenschau.de: Im März 2021, so schreiben Sie, waren in Deutschland 596 Männer in Sicherungsverwahrung. Und zwei Frauen. Sie erzählen die Geschichte von einer der beiden. Auch die führt nach Hessen, zu einer mehrfachen Mörderin, einer Psychopathin. Was die schwierige Frage aufwirft – kann man solche Menschen frühzeitig erkennen? 

Bausch: Psychopathen werden ja von vielen als psychisch krank angesehen. Dem ist aber nicht so. Psychopathie ist ein Begriff, der eine Persönlichkeit beschreibt, die einfach hohe Risiken eingeht, kein Mitleid hat, keine Reue empfindet und einen riskanten Lebensstil pflegt.  

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Wir haben die “guten” Psychopathen, die vielleicht irgendwo in großen Unternehmen Entscheidungen treffen, die in der Wirtschaft ins Risiko gehen. Von dem, was die da leisten und machen, profitieren wir sogar in einigen Fällen. 

hessenschau.de: Und die anderen, die zu Verbrechern werden? Können wir die irgendwie frühzeitig erkennen? 

Bausch: Nein. Wir können da nichts messen und feststellen, wenn das und das und das zusammenkommt, dann lass uns mal genauer hingucken, um ein Verbrechen zu verhindern. Das wäre natürlich eine Idealvorstellung, wenn wir das könnten. Geht aber nicht. Außerdem treffen die Parameter auf viele Menschen zu, die niemals ein Verbrechen begehen, sondern ihre Probleme auf legale Weise lösen. Die können wir ja nicht alle wegsperren. 

hessenschau.de: Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema Amokläufe, zum Beispiel in Volkmarsen, wo im Februar 2020 ein junger Mann vorsätzlich in den Rosenmontagszug fuhr und mehr als hundert Menschen verletzte. Bis heute weiß niemand, was ihn getrieben hat. Haben Sie eine Erklärung für solche Taten? 

Bausch: Es gibt da einen Hass, der nicht mehr kanalisiert wird, der keine klaren Bezugspersonen mehr hat. Man empfindet sein eigenes Leben als wertlos und nicht lebenswert. Aber dafür muss ja jemand verantwortlich sein.  

Manche sagen dann, wenn ich schon so bedeutungslos bin und keiner mitkriegt, dass ich so leide, dann müssen ganz viele leiden. Viele Täter rechnen ja gar nicht damit, dass sie das jemals mit jemandem besprechen müssen. Sie denken, dass die Polizei sie erschießt.

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Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Betreffenden teilweise selbst nicht näher Auskunft geben können, was im Einzelnen sie an diesem Tag bewogen hat. Es gibt viele Gründe, warum Menschen Amok laufen. Das Bild, das es für mich am besten trifft, ist das von einer Art “langsamem Brüter”. Am Ende kommt es zu einer Art Kernschmelze der Persönlichkeit. Es fallen alle Hemmungen weg, auch die Opfer werden völlig gesichtslos. 

Wir wissen, dass über 90 Prozent dieser Verbrechen hätten verhindert werden können, wenn irgendjemand genauer hingehört oder hingesehen hätte oder sich irgendwann an die richtigen Stellen gewandt hätte. 

Wir sind zwar in sozialen Medien verknüpft, aber nicht mehr im wirklichen Leben. Wir sind entsetzt, entrüstet und erstaunt. Aber hingucken, jemandem die Hand reichen, sich für den anderen verantwortlich fühlen - das wird immer weniger. Und insofern sind solche Geschichten immer auch Ausdruck einer Entwicklung und einer Gesellschaft. 

Das Interview führte Dagmar Fulle.

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