Verarbeiten, verändern, verbinden Was junge Autorinnen und Autoren antreibt
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Worüber Nachwuchsautoren - und autorinnen schreiben

Sie schreiben, um etwas zu verändern, um die Welt zu verstehen und um Traumata zu bewältigen: Drei junge Nachwuchsautoren aus Hessen erzählen, warum ihre Geschichten so wichtig sind.
Unterschiedlicher könnten sie auf den ersten Blick nicht sein: Farnaz Nasiriamini kam als Kind aus dem Iran und studiert Jura, Anna (Name von der Redaktion geändert) flüchtete aus Syrien, Holm-Uwe Burgemann versteht sich als politischer Publizist. Alle drei sind Nachwuchsautoren. Sie lieben die Literatur. Hier erzählen Sie, warum sie schreiben.
Farnaz Nasiriamini (27) schreibt, weil sie etwas verändern will

Die Gießenerin Farnaz Nasiriamini kam über das "Junge Literaturforum Hessen-Thüringen" zum Schreiben. Jedes Jahr beteiligen sich rund 500 junge Autorinnen und Autoren zwischen 16 und 25 Jahren mit eigenen Texten an diesem Wettbewerb.
Wettbewerb "Junges Literaturforum Hessen-Thüringen"
Das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst und die Thüringer Staatskanzlei rufen jährlich 16- bis 25-Jährige dazu auf, ihre selbstgeschriebene Texte - egal ob Kurzgeschichte, Gedicht oder in anderer literarischer Form - einzureichen. Mitmachen können alle, die in Hessen oder Thüringen leben oder eine Schule oder Hochschule dort besuchen. Zu gewinnen gibt es zehn Geldpreise zu je 800 Euro, die Teilnahme an einem Workshop sowie Veröffentlichungen. Die besten Texte nehmen zudem am hr2-Literaturpreis teil. Einsendeschluss ist der 31. Januar 2022.
Ende der weiteren InformationenNasiriamini kam als Sechsjährige mit ihrer Mutter aus dem Iran. Seitdem lebt sie in Gießen. Sie schreibt zum Beispiel über Hate Speech, Frauen in der Europapolitik, die Freiheitseinschränkungen unter Corona und das Rentensystem, denn: "Nur weil Themen schwieriger zu behandeln sind, wie eben sexuelle Belästigung oder Sexismus oder Diskriminierung, heißt das nicht, dass man sich nicht daran wagen sollte."
Für ihre Kurzgeschichten hat die freiberufliche Journalistin und Autorin literarischer Texte immer wieder hessische Preise erhalten, zum Beispiel den hr2-Literaturpreis 2019. Die dort prämierte Geschichte "Es ist überall" handelt von einem Mädchen, für das die Schulzeit zum Spießroutenlauf wird, seitdem ihr Exfreund ein Sex-Video ins Internet gestellt hat.
„Eine Gruppe von Jungs entdeckt mich. Sofort fangen sie an, ihre Becken vor- und zurückzuschieben. Sie lachen, klatschen sich gegenseitig ab. "Nicht so schnell", ruft einer. Jeder hat das Video gesehen.“Zitat Ende
Farnaz Nasiriamini möchte die Dinge umfassend verstehen, sagt sie. Darum hat sie unter anderem Volkswirtschaftslehre, Politik und Soziologie studiert. Und jetzt macht sie ihr Jura-Examen. Ihr Vorbild: die erfolgreiche Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh. Farnaz veröffentlicht ihre Texte auch in einem Blog.
Anna (28) schreibt, um weiterleben zu können

Anna heißt eigentlich anders, aber sie möchte anonym bleiben und hat sich diesen Namen ausgesucht. Ab und zu schießen ihr auch noch sechs Jahre nach ihrer Flucht aus Syrien Details in den Kopf, die sie seitdem nie wieder erinnert hatte. "Man hatte keine Zeit zu weinen oder zu schreien. Man musste einfach losgehen und weitermachen", sagt sie rückblickend.
„Ich weiß nicht, wie ich den Hochspannungskasten in mir öffnen soll, an dem ich seit längerem einen Zettel angebracht habe: Bitte nicht näherkommen. (…) Vielleicht wird mein Zusammenbruch heftig und schillernd und zerstörerisch sein.“Zitat Ende
Die Literatur ist für sie zur Brücke geworden. Zur Brücke zu sich selbst. Und zur Brücke von der arabischen zur deutschen Sprache. Seit einem Workshop für Geflüchtete am Literaturhaus Frankfurt schreibt Anna regelmäßig ein bis zwei Seiten kurze Texte auf Deutsch. Sie handeln von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung, aber auch von ungefragt angebotener Hilfe völlig Fremder, von ihren Gefühlen in einem fremden Land, das allmählich zum Zuhause ihres zweiten Lebens wird.
Inzwischen macht Anna eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement, da bleibt nur wenig Zeit zum Schreiben. Aber am Ende soll aus all ihren Texten auf Deutsch und auf Arabisch ein Buch entstehen über ihre Flucht, ihren Neuanfang und wie all das ihre Identität verändert.
Holm-Uwe Burgemann (26) publiziert, um Gemeinschaft zu stiften

Holm-Uwe Burgemann und Konstantin Schönfelder wollen mit ihrer Webseite "Präposition" literarische Freiräume schaffen. Hier veröffentlichen sie alles, was nicht zwischen zwei Buchdeckel passt oder sich gerade nicht gut verkaufen lässt: Texte in Form von Essays, Gesprächen und Podcasts.
Die beiden Publizisten verstehen Literatur politisch: inspiriert von Roger Willemsen als einen Ort der Kooperation und Vergemeinschaftung, an dem man sich austauscht, diskutiert, hinterfragt. Für die Texte und Podcasts, die auf "Präposition" veröffentlicht werden, arbeiten viele Beteiligte zusammen. Auch etablierte Schriftstellerinnen wie Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel und Marlene Streeruwitz sind dabei.
Ab und zu entstehen auch gedruckte Bücher wie der Essay-Band "Gesellschaft. Eine Insel", den Burgemann und Schönfelder selbst geschrieben haben. Das Buch wurde von der Stiftung Buchkunst 2021 mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.