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Ausstellung "No Income, Double Kids" zeigt auf Arbeitsbedingungen im Kunstbetrieb

Das Bild zeigt die Künstler:innen Götz Sophie Schramm und Lena. Ihre Köpfe sind vor einen bunten Hintergrund montiert.

Die Kunstwelt verspricht ein freies Leben jenseits gesellschaftlicher Normen. Doch für viele ihrer Akteure wird die vermeintliche Freiheit existenzgefährdend. Eine Ausstellung in der Darmstädter Kunsthalle macht jetzt die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Branche zum Thema.

Kunst kann man selten essen und nur zweckentfremdet ist sie geeignet, das Wohnzimmer über den Winter zu heizen. Kunst ist ein Luxusprodukt. Auf Auktionen erzielen einzelne Arbeiten Millionen-Preise, Superreiche lagern sie als Wertanlage in Containern, Museen präsentieren sie als Ikonen. Doch so viel Glamour einige wenige Akteure an der Spitze des Kunstbetriebs umgibt, so prekär sind die Arbeitsbedingungen und Lebensumstände der überwiegenden Masse.  

Knapp 60 Prozent der bildenden Künstlerinnen und Künstler in Deutschland erzielen aus künstlerischer Tätigkeit ein Jahreseinkommen von unter 5.000 Euro, knapp 35 Prozent ein Jahreseinkommen von unter 20.000 Euro. Das ergab eine Umfrage des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK).   

"Alle achten auf ihr Image"

"Strukturell ist einiges in der Schieflage", sagt Künstler:in Götz Sophie Schramm. Wer in der Kunstwelt Erfolg hat, habe meist mehr Ressourcen zur Verfügung als andere: Geld, Kontakte oder jedenfalls extrem starke Nerven. "Arbeiter:innenkinder zum Beispiel sind schon im Studium unterrepräsentiert - nach dem Studium erst recht." 

Allerdings werde über all das nur wenig gesprochen, so die Frankfurter Künstler:in. "Alle achten auf ihr Image. Sagen, dass du kein Geld hast, ist wie zuzugeben, dass du nicht erfolgreich genug bist." 

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Götz Sophie Schramm benutzt für sich die Pronomen "They/sie*er/sie". Wir verwenden in diesem Text deshalb den Genderdoppelpunkt.

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Götz Sophie Schramm ist Maler:in und spielt in den eigenen Arbeiten mit dieser Problematik. Auf farbintensivem Grund inszeniert Schramm Versatzstücke von Memes, politische Symbole oder Markenlogos. Für die Arbeit "Wo stehst du mit deiner Kunst Kollege" hat Schramm sich eines Werktitels von Maler Jörg Immendorf bedient und verschiedene Symbole wie das berühmte "Disney"-D und Hammer und Zirkel aus dem DDR-Staatswappen zusammengeführt. Die kleinformatige Serie "Für das Feuilleton" changiert farblich im Vorbeigehen, motivisch zu erkennen: ein Mercedes-Stern, ein Mauszeiger, das Logo der Bundesagentur für Arbeit.

Kunsthalle Darmstadt will lokale Szene einbinden

Schramm wird in Deutschland von zwei angesagten Galerien vertreten, im November eröffnen zwei Museumsausstellungen. Zudem verkauft Schramm Kunst, erhält Ausstellungshonorare und unterrichtet seit diesem Semester Studierende der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach. Trotzdem: eine hohe Stromnachzahlung oder ein krankheitsbedingter Arbeitsausfall wären finanziell kaum zu stemmen. 

"Wir müssen darüber reden", findet Götz Sophie Schramm und hat gemeinsam mit Lena Schramm einen Anlass dafür geschaffen: "No Income, Double Kids", also "Kein Einkommen, doppelt Kinder", eine Ausstellung im sogenannten Studio West der Kunsthalle Darmstadt. Wer den Raum bespielen möchte, kann ein Konzept einreichen. "Die Idee ist, die junge lokale Szene ein bisschen mehr einzubinden", sagt Theresa Dettinger. Sie hat das Studio West mit aufgebaut. Alle Kunstschaffenden und Studierende könnten sich bewerben.

Genau das haben Götz Sophie Schramm und Lena Schramm getan - und eine Zusage bekommen. "Niemand wird einem irgendwas schenken. Es geht nur mit Eigeninitiative", sagt Lena Schramm. Mit Götz Sophie Schramm verbindet sie nicht nur zufällig Nachname und Profession, sondern auch eine Kindheit ohne viele Privilegien, daher der Ausstellungstitel. 

Ausstellung "No Income, Double Kids" in der Kunsthalle Darmstadt

Beruf bringt Risiken mit sich

In den vergangenen Jahren hat sich Lena Schramm am Motiv der Ecstasy-Pille abgearbeitet. Die Droge hat die Malerin in ihrer Arbeit "Dosierer IX" in Formen gepresst, die Kunst und Status repräsentieren. Eine Pille fürs berühmte New Yorker Museum MoMA, eine für die Kunstmesse Art Basel, Van Goghs Ohr, Magrittes Pfeife, Munchs Schrei.

Für die Darmstädter Ausstellung inszeniert sie nun eine Jeans-Weste wie eine Rocker-Kutte. "The Cynics", die Zyniker, steht darauf. Sie selbst scheint nicht zynisch auf die Welt zu blicken, allenfalls nüchtern: "Mir war bewusst, dass ich mit meiner Berufswahl ein Risiko eingehe."

Studie: Drei Viertel im Kunstbetrieb besorgt

Das Bild zeigt ein Plakat zur Ausstellung "No Income, Double Kids" in der Kunsthalle Darmstadt. Darauf zu sehen sind zwei Kinderbilder. Sie sind übereinander angeordnet und leuchten in lila bzw. grün.

Sie habe ein ganz gutes Jahr gehabt, sagt sie. Wie es im nächsten Jahr werde, sei natürlich nicht vorhersehbar. "Das kann einen echt verrückt machen. Aber ich habe diesen Weg gewählt - auch, weil ich aus meiner Biografie heraus wusste, wie es ist, mit finanzieller Unsicherheit zu leben." 

Laut BBK sorgen sich 16 Prozent der Menschen in Deutschland um ihre berufliche Zukunft. Unter bildenden Künstler:innen sind es demnach gravierend mehr: fast drei Viertel. Doch auch andere Berufsgruppen im Kunstbetrieb teilen die Sorgen. Dettinger vom Studio West beendet gerade ihr Studium an der Frankfurter Städelschule. Dort ist sie in einem renommierten Programm für angehende Kurator:innen eingeschrieben. Auch sie und ihre Mitstudierenden hätten Zukunftsängste, sagt sie, "obwohl wir eine sehr gute Ausbildung genießen, seit Jahren arbeiten und eigene Projekte machen".  

Natürlich gebe es die schönen Tage, so Dettinger. Zum Beispiel, wenn eine Ausstellungseröffnung anstehe. "Da lässt man es sich besonders gut gehen. Sonst sind es aber vor allem Überstunden und unsichere Arbeitsverhältnisse."  

"Eigentlich müsste man 100 Stunden durchpowern"

Ist die Unsicherheit der Preis für das vermeintlich freie Leben im Kunstbetrieb? "Ich habe mir das alles selbst aufgebürdet", sagt Künstler:in Götz Sophie Schramm. "Paradoxerweise entsteht dadurch auch eine Unfreiheit." 

Der ganz große Durchbruch gelingt nur wenigen. In der Kunst reicht ein bisschen Durchbruch aber oft nicht zum Leben. "Eigentlich müsste man 100 Stunden die Woche durchpowern und alle Möglichkeiten mitnehmen", sagt Schramm - wissend, dass das nicht gesund und auch auf längere Sicht nicht praktikabel ist.  

"Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen nach Künstler-Prekariats-Folklore an, aber es ist auch toll, nicht zu wissen, wo man am Ende landet", findet Lena Schramm. "Ich habe ja die Wahl zu sagen: Ich lasse es einfach sein", sagt sie. Aber sie weiß auch, dass sie kein anderes Leben führen will. 

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"No Income, Double Kids"

Die Ausstellung im Studio West der Kunsthalle Darmstadt eröffnet am Freitag, den 4. November, um 19 Uhr.

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