Eine Figur steht vor dem verhüllten Banner von Taring Padi

In der documenta-Debatte tauchte immer wieder die Drohung auf, die Politik könnte zukünftig mehr Kontrolle verlangen. Aber selbst die Kritiker der documenta 15 hoffen, dass das nicht passiert.

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documenta fifteen geht zu Ende

hs
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In der öffentlichen Debatte um Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta 15 hagelte es stetig harsche Töne aus der Politik. Seitdem zu Beginn der Ausstellung ein Bild mit antisemitischen Figuren entfernt worden ist, gibt es Forderungen, die Ausstellung künftig einer strengeren Kontrolle zu unterziehen - und damit Bedingungen an die staatlichen Zuschüsse von Land, Bund und Stadt Kassel zu knüpfen.

Die documenta endet am Sonntag. Sie wird sicher wieder kommen, nur die Umstände könnten sich ändern: Werden documenta-Werke künftig vom hessischen Ministerpräsidenten und Abgeordneten aller Parteien inspiziert, die der Kunstschau dann ihren Segen geben?

"Richtig große Gefahr"

Das wäre wahrscheinlich übertrieben. Der Geschäftführer der documenta, Alexander Farenholtz, befürchtet allerdings schon, dass es politische Einflussnahme geben könnte - unklar sei noch, wie: "Ganz abstrakt sind Begriffe wie 'Mehr Kontrolle' gefallen, aber niemand hat gesagt, was das sein soll oder bedeuten könnte." Er sehe allerdings eine "richtig große Gefahr" darin, aus der leidenschaftlich geführten Debatte dieses Sommers abzuleiten, dass die documenta nun politisch kontrolliert werden müsse.

"Ich glaube, dass all jene, die der documenta verbunden sind, da standhaft sein sollten und sich dem widersetzen", appelliert Farenholtz. Diesen Widerstand müssten in den kommenden Jahren allerdings andere aufrecht erhalten, der Vertrag von Farenholtz endet Ende September.

Im Juni war er kurzfristig für die vorherige Geschäftsführerin Sabine Schormann eingesprungen. Während seiner Amtszeit habe er versucht, einiges auf den Weg zu bringen und auch intern wieder mehr in Dialog zu kommen, sagt Farenholtz. So unterstützt er etwa die Initiative, künftig einen Betriebsrat zu etablieren, nachdem es Kritik an Arbeitsbedingungen gab. Aber eine offizielle Rolle hat er ab Oktober nicht mehr.

"Tiefpunkt in einer öffentlichen Auseinandersetzung"

Der jüngste Streit, bei dem sich die Politik einmischte, ging um einen Beitrag mit historischen, anti-israelischen Filmausschnitten, der in einer Filmreihe von Tokyo Reels lief. Ein Expertenrat aus Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen forderte den sofortigen Stopp. Die Experten bekamen Rückendeckung von der Stadt Kassel, dem Land und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Das Kuratorenkollektiv Ruangrupa vermutete Zensur und verweigerte sich, unterstützt von der documenta-Geschäftsführung.

Die Vorsitzende des Expertenrats, die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, zeigt sich schockiert von der Reaktion der Kuratoren. Dem Rat seien in einem Offenen Brief Rassismus, Deutschzentriertheit und mangelnde Wissenschaftlichkeit vorgeworfen worden. "Das zeigt sehr deutlich, dass man hier nur mit Diskreditierung arbeitet", sagte Deitelhoff. Das sei ein "Tiefpunkt in einer öffentlichen Auseinandersetzung".

"Antisemitismus ist nicht unser Spezialgebiet"

Ruangrupa-Mitglied Indra Ameng räumt rückblickend ein, dass das Kollektiv mit der Debatte auch schlicht überfordert gewesen sei. "Um ehrlich zu sein, ist Antisemitismus nicht unser Spezialgebiet, wir sind da keine Experten", sagt er: "Als das in den Medien hochkochte, war das Ganze außerhalb unserer Kontrolle." Diese haben die Kuratoren im Verlauf der aufgeheizten Debatte nie zurückgewonnen. Immer mehr Vorwürfe standen im Raum, vor allem gegen als anti-israelisch interpretierte Arbeiten.

Taring Padi, auf deren 20 Jahre altem Riesenbanner auf dem Friedrichsplatz die antisemitischen Darstellungen auftauchten, versuchten sich der Debatte zu stellen. Während der Militärdikatur in Indonesien habe auch der israelische Geheimdienst die Machthaber unterstützt, erklärten sie in der Wochenzeitung Die Zeit. Um einzuräumen: "Wir haben dabei einen Fehler begangen: Anstatt den israelischen Sicherheitsapparat zu zeigen, malten wir eine Figur, die an eine Karikatur der Nazis erinnert." Taring Padi entschuldigten sich - die Debatte aber blieb, die Fronten verhärteten sich weiter.

"Wollen nicht die ganze Zeit Gesinnungstests"

Auch wenn die Arbeiten der 1.500 Künstler und Künstlerinnen abgebaut sind, wird weiter diskutiert werden. Die Kasseler Grünen etwa fordern Konsequenzen aus der diesjährigen documenta: Kuratoren solle ein Beirat zur Seite gestellt werden, die Entscheidung für die Auswahl der Findungskommission solle öffentlich begründet werden.

Expertin Nicole Deitelhoff ist bei solchen Vorschlägen vorsichtig: "Wir wollen nicht, dass Kunst und Künstler die ganze Zeit einem Gesinnungstest unterzogen werden." Sie warnt, das würde "Kunst auf Dauer ersticken".

Für den Kunsthistoriker und documenta-Kenner Harald Kimpel ist klar, dass es bei der 16. Ausgabe anders laufen muss. Er fand nach eigenen Angaben gar keine Kunst auf der Weltkunstschau in diesem Jahr und kritisierte das gesamte Konzept. "Es kann nur zu einem Bruch kommen zu dieser antisemitisch gebeutelten und auch ästhetisch mangelhaften documenta", sagte er dem hr.

Es werde allerdings "ganz und gar gefährlich", warnt auch Kimpel, wenn Strukturen der Kontrolle eingeführt würden, bei der die Politik auf die Kunst Einfluss nimmt.

"Glückloses Agieren aller Teilnehmer"

Kimpel wünscht sich eher eine Rückbesinnung auf die Idee der prestigeträchtigen Ausstellung: Es sei die Aufgabe der documenta, provokant zu sein und den Kanon zeitgenössischer Kunst zu zeigen - deswegen kämen die Menschen nach Kassel.

Nicht die Diskussionen um Antisemitismus seien der Skandal gewesen, findet Kimpel, sondern das "glücklose Agieren aller Teilnehmer, das Wegducken und Schuldzuweisen". Verantwortung sei nur hin und her geschoben worden. Und noch gebe es kein Aufatmen: "Der Spuk ist am Sonntag noch nicht vorbei, die Debatte wird weitergehen."

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