Die Assadaka-Moschee in Raunheim

Seit über einem Jahr darf der Muezzin in Raunheim zum Gebet rufen. Zunächst wegen Corona, doch jetzt hat die Stadt als erste in Hessen die Befristung aufgehoben. Auch Uhrzeiten und Lautstärke wurden geregelt.

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Der Muezzin ruft zum Gebet

hs
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Als erste Stadt in Hessen hat Raunheim (Groß-Gerau) den muslimischen Muezzinruf zur festen Institution gemacht. Immer freitags darf der rituelle Ruf zum Mittagsgebet bis zu vier Minuten lang ertönen, im Fastenmonat Ramadan täglich. Das hat die Stadtverordnetenversammlung nun beschlossen.

Für die Raunheimer Bürger und Bürgerinnen ist das nicht neu: Bereits seit Beginn der Corona-Pandemie ertönt der Gebetsruf in der Stadt. Weil das gemeinsame Freitagsgebet im ersten Lockdown untersagt war, hatten die beiden lokalen Moscheegemeinden die auf zunächst zwei Jahre befristete Erlaubnis zum Muezzinruf bekommen, um die Gläubigen an das Gebet erinnern zu können.

Jühe: "Muslime werden den Christen gleichgestellt"

Mit der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung, die Erlaubnis unbefristet zu verlängern, wird der Muezzinruf in Raunheim zur festen Einrichtung. Das ist bislang einmalig in Hessen. "Somit werden die Muslime, die die größte Bevölkerungsgruppe in Raunheim stellen, den Christen gleichgestellt", erklärt Bürgermeister Thomas Jühe (SPD) dem hr. Zumindest was den akustischen Ruf zum Gebet angeht, wie es die Christen mit ihren Glocken tun. In Raunheim leben gut 5.000 Christen, etwa 6.000 Menschen gehören nach Schätzungen der Stadt dem muslimischen Glauben an.

Anders als etwa in Köln, wo der Muezzinruf auch erlaubt ist - wenn auch wieder auf zwei Jahre befristet - habe es in Raunheim "nie ein Problem gegeben", sagt Jühe. Der Fall Köln hatte bundesweite Diskussionen ausgelöst, Kritiker sehen in der Erlaubnis zum Muezzinruf sogar eine Unterstützung für die Politik des türkischen Präsidenten Erdogan.

So laut wie eine U-Bahn

In Raunheim waren sich alle einig, zumindest in der Stadtverordnetenversammlung. "Die Zustimmung zu diesem Antrag erfolgte über alle Parteigrenzen hinweg", sagt Jühe. Geregelt sind auch die genauen Zeiten und die Lautstärke der Rufe: In den Sommermonaten wird freitags um 14:30 Uhr gerufen, in den Wintermonaten um 12:30 Uhr. 95 Dezibel dürfen dabei nicht überschritten werden, das entspricht in etwa dem Lärmpegel eines vorbeifahrenden U-Bahn-Zuges. Die Raunheimer Assadaka-Moschee liegt in einem vorwiegend gewerblich geprägten Stadtgebiet.

Den Antrag hatten der Verein Marokkanischer Freundeskreis und der Türkische Bildungs- und Kulturverein gestellt. Bisher hätten Moscheegemeinden sich damit zurückgehalten, weil sie ihr von der Verfassung garantiertes Recht nicht kennen würden oder keinen Anstoß geben und zur Zielscheibe rechtsradikaler Gewalt werden wollten, sagt der Landesvorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Said Barkan. Der Zentralrat überlasse es den einzelnen Gemeinden vor Ort, sich für oder gegen einen öffentlichen Gebetsruf zu entscheiden, so der Rechtsanwalt.

Die beiden Antragsteller in Raunheim seien Moscheegemeinden, die aktiv auf vielfältige Weise in der Stadtgesellschaft mitwirkten, erläutert Bürgermeister Jühe. Sie beteiligten sich demnach an der Organisation der Corona-Schutzimpfungen und an Blutspenden oder führen einen Dialog mit christlichen Kirchengemeinden und Buddhisten im Ort. Eigentlich sei zur Genehmigung nur ein Magistratsbeschluss nötig gewesen, "aber wir wollten bewusst, dass das Stadtparlament den Beschluss fasst und damit die Stadtgesellschaft Anteil nimmt", sagt Jühe.

Zentralrat begrüßt Raunheimer "Geste"

Der Zentralrat der Muslime begrüßt die Geste der Raunheimer Stadtverordnetenversammlung, da sie den Zusammenhalt und die Vielfalt der Stadtgesellschaft hervorhebe, so Barkan.

Notwendig sein ein solcher Beschluss seiner Ansicht nach aber nicht: Die Verfassung gestatte es Religionsgemeinschaften, ihr Leben in Eigenverantwortung zu gestalten, solange sie die Lärmschutz-Richtlinien einhielten. Auch andere Religionsgemeinschaften als die Kirchen sollten dieses Recht selbstverständlich wahrnehmen können, wenn sie wollten. Es sei aber ratsam, dass Moscheegemeinden sich mit Nachbarn und den politischen Entscheidungsträgern absprächen.

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