Ein Notarztwagen fährt mit Blaulicht über eine Hauptstraße.

Ein mutmaßlicher Betrüger aus Baden-Württemberg soll wochenlang in Hessen als Notarzt unterwegs gewesen sein. Jetzt wird gegen ihn ermittelt. Es bleibt die Frage: Wer hat den Fall zu verantworten?

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Falscher Notarzt im Einsatz

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In Hessen wird gegen einen Mann ermittelt, der in mehreren Landkreisen als falscher Notarzt tätig gewesen sein soll. Der 31-jährige Mann aus Baden-Württemberg soll sich zu Unrecht als Notarzt ausgegeben haben und an zahlreichen Rettungsdienst-Einsätzen beteiligt gewesen sein.

Die Staatsanwaltschaften in Hanau und Gießen bestätigten, dass sie durch mehrere Anzeigen in den vergangenen Wochen auf den Fall aufmerksam gemacht worden seien. Der Betrüger soll sich im Main-Kinzig-Kreis und im Vogelsbergkreis betätigt haben.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde er nach Kreis-Angaben aus dem Dienst genommen. Zuvor hatten Nachforschungen bei der zuständigen Landesärztekammer ergeben, dass der Mann gar kein Notarzt ist. Die Staatsanwaltschaft Gießen sagte: Der Mann habe "keine ärztliche Ausbildung".

Folgen oder Fehlbehandlungen unklar

Ob der Betrüger auch in weiteren Landkreisen eingesetzt worden sei, werde noch ermittelt, sagte der Gießener Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger auf Anfrage. Dies gelte auch für die Frage, ob es zu Fehlbehandlungen von Patientinnen und Patienten gekommen sei - etwa beim Verabreichen von Medikamenten und weiteren Tätigkeiten, wie sie von Notärzten vorgenommen werden.

Hauburger sagte, dem Mann werde Missbrauch von Berufsbezeichnungen, Betrug sowie Urkundenfälschung vorgeworfen. Das Gießener Ermittlungsverfahren läuft seit Mitte August. Auch die Wohnung des Mannes wurde bereits durchsucht. Dabei sind nicht weiter benannte Beweismittel sichergestellt worden, wie die Behörde in Mittelhessen mitteilte.

Die Staatsanwaltschaft Hanau wurde etwas später durch eine Anzeige Mitte September auf den falschen Notarzt aufmerksam. Bei wie vielen Einsätzen und in welchem Zeitraum der Betrüger im Main-Kinzig-Kreis unterwegs war, ist nach Angaben der Pressestelle des Kreises noch unklar.

27 Einsätze in vier Wochen im Vogelsberg

Einen genaueren Überblick scheint dagegen der Vogelsbergkreis zu haben. Nach Angaben der Pressestelle in Lauterbach sollen es im Sommer 27 Einsätze innerhalb von vier Wochen gewesen sein. Aufgeflogen sei er, als er einen Nachweis zu seiner Ausbildung nicht vorlegen konnte.

Doch wie konnte der falsche Notarzt überhaupt in die Einsatzpläne kommen? Der Main-Kinzig-Kreis erklärte dazu: Der Mann habe sich über eine im Rettungsdienstbereich genutzte Online-Plattform (Notarzt-Börse) bundesweit als Aushilfs-Notarzt angeboten, wenn regional akute Personal-Engpässe drohen. Auf diese Börse werde als letztes, aber notwendiges Mittel zurückgegriffen, wenn alle anderen Optionen zu Besetzung weggefallen seien, erklärte der Sprecher in Gelnhausen.

Vorwürfe an Notarzt-Börse ...

Wenn Rettungsdienste generell über Personalmangel klagen, fragen die organisierenden Landkreise bei der Notarzt-Börse an - das ist nach Angaben der beiden in Hessen betroffenen Kreise ein übliches Verfahren. "Sie ist dabei verpflichtet, die jeweiligen Unterlagen und Berechtigungen der gemeldeten Notärztinnen und Notärzte ihrerseits zu sammeln, eine erste Durchsicht vorzunehmen und auf Anfrage vorzuhalten", sagte ein Sprecher des Main-Kinzig-Kreises.

Auch der Vogelsbergkreis ist der Auffassung: "Die Notarztbörse garantiert, dass nur Notärzte vermittelt werden, deren Unterlagen dort geprüft wurden." Darauf müsse man sich zu Beginn erst einmal verlassen dürfen.

... doch die weist Verantwortung von sich

Dem widersprach aber die in den Fokus geratene Notarzt-Börse in einem Interview mit Osthessen News. Die Sprecherin verwies auf die Regularien: "Die Notarzt-Börse übernimmt keine Garantie oder Haftung für das Zustandekommen einer Vermittlung und haftet nicht für die Identität, das Verhalten oder die Qualifikation eines Auftragnehmers." Es würden auch keine Schadenersatz-Verpflichtungen aus der Tätigkeit des vermittelten Arztes übernommen.

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Notarzt-Börse

Die Notarzt-Börse bezeichnet sich als Vermittler von Notärzten und bundesweit tätiger Personal-Dienstleister, um Lücken in Dienstplänen zu füllen. Die Firma mit Sitz in Pogeez (Schleswig-Holstein) bearbeitet nach eigenen Angaben über 100 Anfragen nach Notärzten täglich aus ganz Deutschland. Pro Jahr bestreiten die darüber vermittelten Mediziner rund 30.000 Einsatz-Tage.

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Der Auftraggeber sei verpflichtet, sich von den erforderlichen Qualifikationen des vermittelten Auftragnehmers und seinen Qualifikationen selbst zu überzeugen. Die Notarzt-Börse fordert nach eigenen Angaben zwar Unterlagen ein, weise aber immer den Rettungsdienst daraufhin, wenn sie unvollständig sind.

Dies sei hier der Fall gewesen. Laut Notarzt-Börse reichte der Mann zwar Unterlagen ein, darunter Approbation, Notfallmediziner-Nachweis und Facharzturkunde. Die Dokumente seien aber nicht beglaubigt gewesen. Die Notarzt-Börse habe ihn trotzdem zwei Mal vermittelt - jeweils mit dem Hinweis an die Auftraggeber zu den unvollständigen Unterlagen. Als er sich ein drittes Mal vermitteln lassen wollte ohne beglaubigte Dokumente, sei die Notarzt-Börse selbst aktiv geworden und habe Nachforschungen zu dem Schwindler angestellt.

Kreis verweist auf Rotes Kreuz

Wer hätte nun tätig werden müssen? Der Vogelsbergkreis erklärte, dass nicht der Kreis für die Überprüfung verantwortlich sei. Das sei Aufgabe des "Leistungserbringers", und zwar in dem Fall des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mittelhessen. Das DRK sei im Vogelsberg mit dem Rettungsdienst beauftragt. Im Main-Kinzig-Kreis sind dies entsprechend die Main-Kinzig-Kliniken. Sie sind kreiseigen, verfügen über Krankenhäuser in Gelnhausen und Schlüchtern und wollen künftig genauere Prüfungen vornehmen, wie es in einer Stellungnahme hieß.

Das in der Kritik stehende DRK Mittelhessen erklärte dem hr auf Anfrage: Man habe von der Notarzt-Börse gar keine Hinweise auf fehlende Unterlagen bekommen. Zudem sei bei einer Prüfung aufgefallen, dass etwa die Approbationsurkunde fehlte. Die wollte die Notarzt-Börse im Datensatz aber mitgeliefert haben - in auch in diesem Punkt widersprechen sich die Angaben von Notarzt-Börse und DRK Mittelhessen.

Weitere Details dazu, wie es passieren konnte, dass unvollständige Nachweise des falschen Notarztes nicht genau überprüft wurden, lagen zunächst nicht vor. Unklar ist auch, wieso der Betrüger nicht früher aufflog. Weder Staatsanwaltschaften noch die Kreise können aktuell erklären, welche Qualifikationen und Berufserfahrung der Mann hat. Sie befähigten ihn aber offenbar, sich eine Zeit lang als falscher Notarzt bei etlichen Einsätzen unerkannt zu bewegen.

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