Gutachten-Affäre weitet sich aus Frankfurter Oberstaatsanwalt in U-Haft: Schaden deutlich höher als angenommen
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Vorwürfe gegen Frankfurter Oberstaatsanwalt erweitert

Seit bald zwei Jahren wird gegen den Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander B. wegen Untreue und Bestechlichkeit ermittelt. Nun sitzt er zum wiederholten Mal in Untersuchungshaft. Der mutmaßlich durch ihn entstandene Schaden steigt weiter an.
Die Polizeibeamten dürften ziemlich überrascht gewesen sein, als sie am vergangenen Freitag Alexander B. in dessen Wohnung festnehmen wollten. Sie erfuhren erst vor Ort, dass der unter Korruptionsverdacht stehende Oberstaatsanwalt gar nicht in der per Meldeauflage vorgegebenen Wohnung lebte. Laut Frankfurter Staatsanwaltschaft informierte schließlich ein Nachbar den Gesuchten, der sich daraufhin selbst bei den Ermittlern meldete und in einem Polizeirevier verhaften ließ.
Schaden doppelt so hoch wie angenommen
Der Verstoß gegen die Meldeauflage wirft erneut die Frage auf, warum Alexander B. überhaupt auf freien Fuß kam. Im Sommer 2020 wurde der ehemalige Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt erstmals in U-Haft genommen. Über Jahre hinweg soll er durch Beteiligungen an entsprechenden Firmen bei der Vergabe überteuerter Gutachten im Bereich Medizinwirtschaftsstrafrecht mitverdient haben.
Doch nur zwei Monate nach seiner Festnahme wurde B. auf Antrag der Staatsanwaltschaft aus der Untersuchungshaft entlassen. In der Öffentlichkeit und im Landtag wurde die Frage aufgeworfen, ob die Ermittler in diesem Fall einen besonders schonenden Umgang mit ihrem Kollegen pflegen.
Vorwurf der gewerbsmäßigen Untreue
Wie die Frankfurter Staatsanwaltschaft nun am Montag mitteilte, wurde der Umfang der Vorwürfe gegen B. durch die Ermittlungen noch einmal erheblich ausgeweitet. Inzwischen ist von "gewerbsmäßiger Untreue" die Rede. B. soll das Land Hessen 558.000 Euro gekostet haben. Damit hat sich der kolportierte Schaden allein in dem noch nicht verjährten Zeitraum 2015 bis 2020 fast verdoppelt.
B. soll laut Staatsanwaltschaft sogar das Verfassen von Anklageschriften an die Firmen ausgelagert haben, an denen er mitverdient haben soll. Und das über Jahre, ohne dass jemandem das in der Justiz aufgefallen sein soll.
Wohl kein genialer Einzeltäter
Doch wie konnte einer der bekanntesten Staatsanwälte Hessens jahrelang auf eigene Rechnung Gutachten vergeben, ohne dass seine Kollegen davon Wind bekommen haben sollen? Die These des "genialen Einzeltäters" - die unter anderem von Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) vertreten worden sein soll - ist angesichts der vor Weihnachten bekannt gewordenen Ermittlungen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter B.s kaum noch haltbar.
Die rechtspolitische Sprecherin der FDP im Landtag, Marion Schardt-Sauer, wirft Kühne-Hörmann (CDU) Salamitaktik vor. "Die Justizministerin muss endlich ihre Arbeit machen und ihrer Verantwortung gerecht werden", fordert Schardt-Sauer und ergänzt: "Wenn die Ministerin nicht aufklärt, muss es weiter das Parlament machen." Sie kündigt für die nächste Sitzung des rechtspolitischen Ausschusses kommende Woche einen weiteren dringlichen Berichtsantrag an.
Auch bei einem weiteren Detail ihrer bisherigen Schilderung des Falles könnte Kühne-Hörmann in Erklärungsnot kommen. Bislang hatte sie erklärt, der Staatsanwaltschaft sei es gelungen, verdeckt gegen B. zu ermitteln, ohne dass dieser davon erfahren habe. Laut Bild-Zeitung jedoch soll B. Kenntnis von den Ermittlungen gehabt haben.
Wer verriet die Ermittlungen?
Doch statt aufzuhören, soll er 2019 einfach nur die Auszahlungsart "seines Anteils" an den Gutachterkosten geändert haben. Statt das Geld mit einer EC-Karte abzuheben, habe er es sich einfach bar auszahlen lassen: in dem Jahr vor seiner Festnahme noch mal fast so viel wie in den Jahren zuvor.
Alexander B. scheint sich unantastbar gefühlt zu haben. Die Frage lautet: warum? Glaubte er, dass ihm seine eigenen Kolleginnen und Kollegen nichts werden nachweisen können? Und wer war die undichte Stelle in der Justiz, die ihn über die Ermittlungen unterrrichtet hat? Viele Fragen, die im Fall Alexander B. noch offen sind.