Foto einer Hand, die einen Döner hält. Auf dem Foto eine kleine farbige Grafik mit dem Schriftzug "War was?".

Weil er zur falschen Zeit am falschen Ort einen Döner isst, wird ein Mann in Limburg aus Versehen zum Querdenker. "War was?" meint: Das ist allerfeinster Slapstick.

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Querdenker-Verdacht: Döner kostet 700 Euro

Geri Fazlli steht vor einem Döner-Imbiss und schaut in die Kamera. Im Imbiss stehen zwei Männer, einer hinter und einer vor der Theke.
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Hessen, das Bundesland, in dem immer was los ist. An dieser Stelle wirft unser Kolumnist Stephan Reich mit seiner Glosse "War was?" jeden Freitag einen ganz eigenen Blick auf die Nachricht der Woche. Nehmen Sie diesen Blick bitte auf keinen Fall ernst.

Eine meiner liebsten Charlie-Chaplin-Szenen ist die Protest-Szene aus "Moderne Zeiten". Chaplin zieht darin nichtsahnend seiner Wege, als einem vorbeifahrenden Lastwagen eine Fahne von der Ladefläche fällt. Er hebt die Fahne auf und versucht damit winkend, den Lkw-Fahrer zum Anhalten zu animieren. Just in diesem Moment biegt hinter Chaplin ein großer Protestzug in die Straße, den er plötzlich unabsichtlich und unwissentlich anführt. Und der direkt von der Polizei niedergeschlagen wird, mit Chaplin als vermeintlichem Anführer, der prompt ins Gefängnis muss.

Ich habe den Film schon länger nicht mehr gesehen (eine Schande eigentlich), aber ich fühlte mich diese Woche daran erinnert, als ich die Geschichte von Gerti Fazlli las. Fazlli zog um Weihnachten des vergangenen Jahres ähnlich wie Chaplin nichtsahnend seiner Wege, und diese Wege, so ist das manchmal, führten ihn zu einem Dönergrill in Limburg.

"Teilnehmer einer verbotenen Versammlung"

Nur: Als Fazlli den Grill nach dem Essen wieder verließ, hatte sich eine Querdenker-Demo unerlaubterweise in der Straße breitgemacht. Ein Polizist kontrollierte Fazllis Personalien, obschon dieser betonte, nicht zur Demo zu gehören. Was nichts daran änderte, dass Döneraficionado Fazlli ein paar Wochen später einen Bußgeldbescheid über 130 Euro bekam, als vermeintlicher "Teilnehmer einer verbotenen Versammlung".

Fazlli, ein moderner Chaplin, der Dönergrill als Schauplatz moderner Zeiten. Darin, in "Moderne Zeiten", gibt es übrigens eine weitere Chaplin-Lieblingsszene, nämlich jene, in der Chaplin ins riesenhafte Räderwerk der Fabrikmaschinen gezogen und davon einmal durchgenudelt wird. So ungefähr stelle ich mir Fazllis folgenden, monatelangem Rechtsstreit vor, an dessen Ende er nun 700 Euro Anwaltskosten zahlen musste, und das, obwohl das Verfahren eingestellt wurde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Wort mal wirklich brauchen würde, aber hier, bitte: Das ist kafkaesk. In "Moderne Zeiten" wird Chaplins Figur übrigens zeitweise verrückt, aber das nur am Rande.

Dürüm mit Schlafschafkäse

Per Döneressen zufällig zum Querdenker, was für eine Story. Ob Fazlli den Dönergrill wenigstens im Chaplinschen Watschelgang verlassen hat, in viel zu großen Schuhen? Eine Melone auf dem Kopf und vielleicht einen kleinen Schnauzbart aus Kräutersoße unter der Nase? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht hat er auf seinem kleinen, unfreiwilligen Protestzug aber ja wenigstens eine kleine Knoblauchfahne geschwenkt.

"Wie man beim Döneressen zum Querdenker wird", titelten wir unter der Woche, und ich liebe den Gedanken, welche Vorstellungen das bei jenen Lesern und Leserinnen ausgelöst haben dürfte, die nur die Überschrift lasen, nicht den Text. Ob sie sich jemanden in einem Dönergrill vorstellten, der im Krautsalat kleine Bill-Gates-Chips zu erkennen meinte? Jemanden, der den Verkäufer in eine lange, ermüdende Diskussion verwickelt, dass die Dönerbox mit Pommes und Mayo eine Erfindung der Pharmalobby sei, um mehr Rennie-räumt-den-Magen-auf zu verkaufen? Jemanden, der an der Theke selbstbewusst einen Dürüm mit Schlafschafkäse bestellt? An oder mit scharf?

War Gold im Fladenbrot?

Im Chaplinschen Sinne hätte sich nach Fazllis versehentlicher Protestteilnahme ein 90-minütiges Slapstickfeuerwerk entsponnen, die Realität ist weit weniger witzig. Zumindest für Fazlli, seine Kumpels hingegen amüsieren sich prächtig und ziehen ihn wegen des 700-Euro-Döners des Öfteren auf: Ob denn Gold im Fladenbrot gewesen sei. "Moderne Zeiten" endet übrigens damit, dass Chaplins Figur und seine Freundin sich dem Wahnsinn der modernen Zeiten entziehen und gemeinsam in den Sonnenuntergang spazieren. Man gönnt Fazlli einen mindestens ebenso harmonischen Abschluss der Geschichte.

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