Listerien-Infektionen Hinz weist Verantwortung für Lebensmittel-Skandal zurück

Vier Menschen erkranken schwer, einer stirbt: Drei Jahre nach dem Wilke-Wurst-Skandal sind in Hessen wieder Menschen durch keimbelastete Nahrungsmittel zu Schaden gekommen. Verbraucherschutzministerin Hinz (Grüne) sieht die Versäumnisse allein beim Kreis.
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Listerien-Infektionen in Krankenhäusern: Opposition fordert Rücktritt von Hinz

Nach Bekanntwerden eines neuen Lebensmittelskandals mit einem Toten hat die Suche nach einem Schuldigen begonnen. Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) wies am Dienstag jegliche Verantwortung ihres Ministeriums zurück.
"Wir haben unmittelbar gehandelt", betonte Hinz gegenüber dem hr. Die Taskforce Lebensmittelsicherheit habe den betreffenden Lebensmittelbetrieb innerhalb weniger Tage geschlossen, nachdem den Behörden die Missstände bekannt wurden. "Das war wirklich ein Erfolg", sagte Hinz.
Ermittlungen gegen Inhaber
Am Osterwochenende war durch einen Medienbericht publik geworden, dass in zwei Krankenhäusern in Offenbach und Frankfurt vier Menschen schwer an Listeriose erkrankt waren, einer von ihnen starb. Ausgangspunkt waren mit Keimen belastete Gurkenscheiben aus einem Gemüsebetrieb in Gernsheim (Groß-Gerau). Kontrolleure fanden dort katastrophale hygienische Zustände vor.
Gegen den Inhaber des betroffenen Betriebs Maus läuft ein Ermittlungsverfahren, wie die Staatsanwaltschaft Darmstadt am Dienstag bestätigte. Nach einer Anzeige der Kreisverwaltung Groß-Gerau vor knapp einem Monat werde wegen des Verdachts einer Straftat nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ermittelt, teilte ein Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Landrat räumt gravierende Versäumnisse ein
Schon einige Wochen zuvor, im Februar, hatten die Behörden den Betrieb dichtgemacht. Dass er zwei Jahre lang nicht kontrolliert worden war, obwohl er nach seiner Risikoeinstufung auch in der Pandemie zweimal jährlich hätte kontrolliert werden müssen, musste Landrat Thomas Will (SPD) zähneknirschend eingestehen. Dies sei ein klares Versäumnis seines Veterinäramts gewesen. Eine wirkliche Erklärung dafür hat Will bislang nicht.
Hinz sieht deshalb auch den Kreis in der alleinigen Verantwortung. Dass dessen Veterinärbehörde den Betrieb zwei Jahre lang nicht kontrolliert habe, sei nicht akzeptabel, so die Ministerin. Der betreffende Betrieb sei außerdem so marode gewesen, dass Mängel schon vorher vorhanden gewesen und aufgefallen sein müssen. "Hier müssen die Kontrollbehörden frühzeitig eingreifen."
Ministerin zieht positive Bilanz ihrer Arbeit
Auch während einer Pandemie müsse die kritische Lebensmittelproduktion ordnungsgemäß kontrolliert werden, sagte Hinz in Anspielung auf den erfolgten Abzug von personellen Kontrollkapazitäten zur Corona-Kontaktverfolgung. Die Taskforce Lebensmittelsicherheit des Landes könne zur Unterstützung der Kontrollen angefordert werden. Dies sei nicht geschehen. Sie gehe davon aus, dass der Kreis entsprechende, auch personelle, Konsequenzen ziehen werde, sagte Hinz.
Was das genau heißt, ließ die Ministerin offen. Rücktrittsforderungen an sie selbst, wie sie etwa aus den Reihen der SPD kamen, wies die Ministerin indirekt zurück. Die Lebensmittelbehörden seien in den letzten drei Jahren um zehn Prozent gewachsen. Man habe die Regierungspräsidien gestärkt und das Kontrollkonzept erweitert, zog Hinz eine positive Bilanz ihrer bisherigen Arbeit in Sachen Lebensmittelsicherheit.
FDP will Ausschusssitzung abwarten
So leicht will es die FDP im Landtag der grünen Ministerin aber nicht machen. "Es scheint genauso zu sein, wie beim Wilke-Wurst-Skandal vor drei Jahren", sagte Fraktionschef René Rock. "Die kommunale Ebene war vor Ort überfordert, vielleicht auch nicht richtig angewiesen." Mit einem neuen Konzept habe man ausschließen wollen, dass so etwas noch einmal passiert.
"Und trotzdem ist es wieder passiert", sagte Rock. Da müsse man schon die Frage nach der Verantwortung der Ministerin stellen. Die FDP habe deshalb einen Berichtsantrag für die nächste Ausschusssitzung gestellt. "Danach werden wir das Verhalten der Ministerin bewerten."
SPD: Konzept hat nicht funktioniert
Auch die SPD zog Parallelen zum Wilke-Skandal. Wieder seien es Listerien gewesen, wieder sei jemand gestorben, erklärte Fraktionssprecher Christoph Gehring. Hinz selbst habe seinerzeit als Konsequenz mehr Verantwortung für die Lebensmittelkontrollen an sich gezogen. "Das hat offensichtlich nicht funktioniert."
Unter der Fahne des Landes seien im vergangenen Jahr keine 500 Kontrollen erfolgt, so Gehring. "Das hat sicherlich nichts zum Besseren verändert." Hinz müsse jetzt zu ihrem eigenen Wort stehen und sich fragen, ob sie nicht persönliche Konsequenzen ziehen will. "Früher gab es in solchen Fällen das Instrument des Rücktritts. Das ist in Hessen ein bisschen aus der Mode geraten."
Auch von Seiten der AfD-Fraktion wurde Kritik an Hinz laut. "Die einzige Lösung, um in Zukunft ähnliche Fälle zu verhindern, besteht darin, die Kontrollbehörden besser auszustatten und die Kontrollen in kürzeren Intervallen vorzunehmen", erklärte der verbraucherschutzpolitische Sprecher, Gerhard Schenk. Die Ministerin müsse sich fragen lassen, welche Fortschritte sie hier seit dem Wilke-Skandal 2019 gemacht habe.
Kreistags-Opposition beklagt mangelnde Information
Unterdessen hat Landrat Will am Dienstag die Fraktionen des Kreistags informiert – und ihnen damit offiziell verkündet, was sie schon aus der Presse wussten. Für die Opposition ein inakzeptables Vorgehen. "Das geht so nicht", sagte CDU-Fraktionschef Marcus Kretschmann. "Wir haben als gewählte Vertreter ein Anrecht, über so etwas Wichtiges sofort informiert zu werden." Dies sei gesetzlich so verankert.
Dass nun die Verwantwortung zwischen Ministerium, Landkreis und Regierungspräsidium hin- und hergeschoben wird, ärgert den CDU-Mann. "Das hilft keinem." Es gehe jetzt nicht um Schuldzuweisung, sondern um Aufarbeitung, betonte Kretschmann. "Hier sind Menschen zu Schaden gekommen." Dies hätte nach dem Wilke-Wurst-Skandal nicht noch einmal passieren dürfen.
Reformen gefordert
Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte am Dienstag eine grundlegende Reformierung der Lebensmittelüberwachung. Für die Kontrollen seien Hunderte kommunaler Behörden zuständig, die unter dem politischen Einfluss von Landräten stehen. Sie würden oft an eklatantem Personalmangel leiden und hielten die allermeisten Kontrollergebnisse geheim. Es brauche eine unabhängige Landesanstalt für Lebensmittelüberwachung pro Bundesland, die ausreichend Personal besitze und alle Ergebnisse veröffentlichen muss.
Auch die Verbraucherschutzzentrale Hessen forderte am Dienstag neben einer umfassenden Aufklärung eine Neu-Strukturierung der Lebensmittelüberwachung. Das Land habe seit dem Wilke-Skandal einiges getan, um die Veterinärämter zu entlasten - offenbar habe das aber nicht ausgereicht. "Mehr Personal und effizientere Strukturen innerhalb der Behörden sind aus unserer Sicht unerlässlich", so Vorstand Philipp Wendt. Seit Jahren fordere man ein bundeseinheitliches Transparenzsystem in der Lebensmittelüberwachung.
Unklar, wer noch beliefert wurde
Eine der wichtigen offenen Fragen ist für die Verbraucherzentrale, welche weiteren Betriebe und Einrichtungen mit Gemüse aus dem Gernsheimer Betrieb beliefert wurden. Darauf kann das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt keine detaillierte Antwort geben. Die Firma Maus habe ihre Produkte an Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und an Zwischenhändler vor allem in Südhessen geliefert, teilte das RP Darmstadt auf Anfrage mit. Genaue Lieferdaten lägen aber nicht vor.
Klar sei nach jetzigem Stand, dass die betroffenen Kliniken nicht von Maus direkt, sondern über eben solche Zwischenhändler beliefert worden seien. Dass die belasteten Gurken aus dem Gernsheimer Betrieb stammten, sei aber durch eine Genom-Sequenzierung zweifelsfrei festgestellt worden.
Ob und welche andere Produkte aus dem Schneidebetrieb mit Listerien belastet waren, könne nur aus der Analyse von Rückstellproben ermittelt werden, erklärte das RP. Zwei Monate nach Schließung des Betriebs geht man davon aus, dass die Infektionskette unterbrochen ist. Weitere als die vier festgestellten Erkrankungen seien nicht bekannt.
Listeriose
Listerien sind stäbchenförmige Bakterien. Sie können überall vorkommen, finden sich aber häufig auf kaum oder nicht verarbeiteten Lebensmitteln wie rohem Fleisch oder Fisch, Gemüse, Rohmilch oder auch Weichkäse. Vor allem die Spezies Listeria monocytogenes kann eine Listeriose beim Menschen hervorrufen. Symptome sind häufig Fieber, Muskelschmerzen, Durchfall und Erbrechen. Für ältere oder immungeschwächte Personen kann eine Listeriose lebensbedrohlich sein.
Ende der weiteren InformationenDisclaimer: In einer früheren Version des Artikels war die Verunreinigung der Lebensmittel als Ursache für den Tod eines Patienten genannt worden. Das lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit belegen, das behandelnde Krankenhaus geht von einer anderen Todesursache aus. Deswegen haben wir den Artikel angepasst.