Kreis räumt Versäumnisse ein Listeriose-Skandal: "Es macht uns sprachlos, wie das passieren konnte"

Im Skandal um keimbelastetes Essen hat der Kreis Groß-Gerau Versäumnisse eingeräumt. Der betroffene Gemüsebetrieb sei zwei Jahre nicht kontrolliert worden, bestätigte Landrat Will. Auch der Name des Unternehmens wurde mitgeteilt.
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Listerien-Infektionen in Krankenhäusern: Opposition fordert Rücktritt von Hinz

Nach Bekanntwerden des Lebensmittelskandals in Südhessen will der zuständige Kreis Groß-Gerau unabhängig von möglichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen weitere Konsequenzen prüfen. "Das alles ist höchst belastend", sagte Landrat Thomas Will (SPD) am Montag.
Bei dem betroffenen Betrieb handelt es sich den Angaben zufolge um die Firma Maus in Gernsheim (Groß-Gerau). Anders als vorgesehen sei der Betrieb das letzte Mal im Jahr 2019 überprüft worden – danach nicht mehr. "Es macht uns sprachlos, wie das passieren konnte", sagte Will. Wie genau es dazu kommen konnte, müsse noch ermittelt werden. Auch personalrechtliche Konsequenzen schloss Will nicht aus.
"Ein großes Versäumnis unserer Arbeit"
Nach dem Verzehr keimbelasteter Lebensmittel aus einem Betrieb war ein Mensch wegen der Keimbelastung im Sana Klinikum in Offenbach gestorben. Insgesamt vier Menschen erkrankten aufgrund einer Infektion mit Listeriose.
Der Gemüseverarbeitungsbetrieb sei bei vorherigen Kontrollen in Bezug auf Listerien nie negativ aufgefallen, erläuterte der Fachdienstleiter des Veterinäramts, Christian Schulze. Auch wenn entsprechende Hygiene-Kontrollen während der Pandemie grundsätzlich heruntergefahren worden seien - zum Beispiel weil viele gastronomische Betriebe geschlossen hatten und Personal zur pandemischen Kontaktverfolgung abgestellt wurde - hätte dieser lebensmittelverarbeitende Betrieb auch während der Pandemie zweimal im Jahr kontrolliert werden müssen. "Dem sind wir definitiv nicht nachgekommen, das ist ein großes Versäumnis unserer Arbeit", so Schulze.
Drei der Betroffenen infizierten sich zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 in Kliniken in Frankfurt und Offenbach. Ursächlich sei der mittlerweile geschlossene Obst- und Gemüsebetrieb. Die Krankenhäuser und ihre Küchen seien in einwandfreiem Zustand gewesen. Das Regierungspräsidiums Darmstadt habe daraufhin eine Taskforce gebildet und anhand der Lieferkette und anhand einer Genomsequenzierung den Verarbeitungsbetrieb in Gernsheim als Quelle dieses speziellen Listerienstammes nachweisen können.
Unklar, wie viele Kunden beliefert wurden
Der Betrieb wurde demnach am 14. Februar zunächst wegen hygienischer Mängel geschlossen. Am 17. Februar wurde dem Betrieb anhand der vorliegenden Ergebnisse auf Listerien-Verunreinigung in diversem Schnittgemüse wie Gurken, Rotkraut und Tomaten sowie auf den Verarbeitungsflächen der Verarbeitungsbetrieb untersagt. Nur der Handel mit unverarbeitetem Gemüse und Obst sei dem Inhaber nun noch erlaubt.
Wie viele Krankenhäuser und Gastronomen von dem Betrieb beliefert worden seien, konnte der Kreis nicht beantworten. Es sei aber davon auszugehen, dass die Infektionskette mittlerweile geschlossen sei, betonte Schulze. Dass noch weiteres infiziertes Gemüse im Umlauf ist, sei unwahrscheinlich, da sich die Haltbarkeit der verarbeiteten Produkte auf wenige Tage belaufe.
Dass der Fall erst zwei Monate später öffentlich wird, hat Landrat Will zufolge nichts mit Vertuschung zu tun. "Man wollte überhaupt nichts unter den Teppich kehren." Es gebe genügend Fragen, die erst noch aufgearbeitet werden müssten.
Betrieb brachen während der Pandemie die Kunden weg
Nach Schilderungen des Landkreises gehören zu dem Betrieb ein Gemüseverarbeitungsbereich und ein Kartoffelschälbetrieb. Vor der Pandemie habe der Betrieb rund 50 Personen beschäftigt. Weil während der Pandemie viele Kunden aus dem Gastronomiebereich weggefallen seien, sei die Belegschaft auf rund die Hälfte reduziert worden.
Nach der Schließung des verarbeitenden Bereichs seien nun nur noch zwei Menschen für den Betrieb tätig. Der Kreis nannte als möglichen Auslöser für die Versäumnisse des Betreibers eine Überforderung angesichts der schwierigen finanziellen Situation während der Corona-Pandemie.
SPD wirft Hinz Tatenlosigkeit vor
Die hessische SPD forderte Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) auf, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Die größte Oppositionspartei im Landtag verwies unter anderem auf den Skandal um den nordhessischen Wursthersteller Wilke und warf Hinz Tatenlosigkeit sowie bewusstes in Kauf nehmen von Menschenleben vor. Die Firma Wilke wurde im Oktober 2019 geschlossen, nachdem in Produkten Listerien-Keime nachgewiesen worden waren. 37 Fälle von Listerioseerkrankung wurden den Gesundheitsämtern gemeldet. Wie viele Menschen deshalb nachweislich geschädigt wurden, wird bis heute ermittelt.
Die Landkreise könnten jederzeit Unterstützung der Task-Force Lebensmittelsicherheit anfordern, um bei den Kontrollen entlastet zu werden, erklärte die Ministeriumssprecherin. Dazu seien sie zuletzt Ende März bei einer Dienstbesprechung aufgefordert worden. Die Sondereinheit beim Regierungspräsidium Darmstadt ist landesweit tätig. "Als Oberste Fachaufsicht verfolgen wir eine Null-Toleranz-Politik, wenn Unternehmen ihrer gesetzlichen Verantwortung nicht nachkommen, sichere Lebensmittel in den Verkehr zu bringen", heißt es in der Mitteilung.
Listerien und Listeriose
Listerien können Kranken und Kindern erheblich zusetzen. Die in der Natur häufig vorkommenden Bakterien können in tierische und pflanzliche Produkte geraten - etwa Hackfleisch, Sushi oder Rohmilchkäse. Listerien sind sehr widerstandsfähig. Sie überstehen sowohl Tiefgefrieren als auch Trocknen. Kochen, Braten, Sterilisieren und Pasteurisieren tötet die Bakterien dagegen sicher ab.
Nur sehr wenige Menschen, die Listerien aufnehmen, erkranken auch an Listeriose. Bei gesunden Erwachsenen verläuft die Infektion meist unauffällig oder nimmt einen harmlosen Verlauf mit grippeähnlichen Symptomen wie Fieber und Muskelschmerzen oder Erbrechen und Durchfall - oft erst bis zu acht Wochen nach dem Verzehr. Gefährlich ist die Infektion aber für abwehrgeschwächte Menschen.