Neue Regelung ab Januar Verbot von Tattoo-Farben sorgt für Ärger

Eine rote Rose, ein Herz oder doch lieber das Wappen des Lieblingsclubs: Bunte Tattoos sind beliebt - und werden zumindest in ihrer jetzigen Art künftig verboten sein. Das liegt an einem EU-weiten Farbenverbot. Die Branche ist sauer und wartet auf Alternativen.
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"Sonst hätten sie das Tätowieren gleich ganz verboten"

Präparierte Fischköpfe, ein Geweih und unzählige eingerahmte Entwürfe - wer das Studio "Jenny B.s Tattoo" in Kassel betritt, der taucht ein in eine Welt der bunten Körperkunst. Besitzerin Jennifer Franke betreibt neben ihrem Laden im Stadtteil Vorderer Westen zwei weitere Studios in Göttingen und Paderborn.
Draußen am Schaufenster hängen Plakate mit einem QR-Code. Der Link geht auf eine Petition mit dem Namen "Save the Pigments". Die Initiatoren fordern eine längere Übergangsfrist für Farben, die Tätowierende ihren Kundinnen und Kunden unter die Haut stechen.
Denn ab dem 4. Januar kommenden Jahres dürfen Tattoo-Künstler die gewohnten Tinten nicht mehr verwenden. Der Grund: Sie enthalten Pigmente und Konservierungsmittel, die in der EU-Chemikalienverordnung REACH auf der roten Liste stehen. 2023, ein Jahr später droht der bunten Branche endgültig das Aus: die Pigmente Blue 15 und Green 7 - in zwei Dritteln aller Tattoo-Farben enthalten - werden ebenfalls verboten. Beide stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Eine Alternative gibt es für das blaue Pigment bisher nicht.
Finanzieller Verlust durch Farbwechsel
Franke hofft, dass möglichst viele Menschen die Petition unterschreiben. Denn es geht um ihre Branche, um ihre Leidenschaft. Auch wenn sie Vertrauen habe, dass Hersteller REACH-konforme Farben rechtzeitig liefern, hängt sie dennoch in der Luft. Lediglich schwarz, grau und weiß erfüllen derzeit die erforderlichen Kriterien.
"Das trifft alle aus der Branche krass", sagt Franke. Sie werde am 4. Januar alle alten Farben entsorgen. Bei einem Unternehmen in ihrer Größenordnung entstehe ein Schaden von mehreren tausend Euro. Für kleinere Studios mit nur ein oder zwei Tätowierern schätze sie mehrere hundert Euro Verlust. Schließlich habe man aber eine Verantwortung den Kundinnen und Kunden gegenüber.
Nie Gedanken über die Farben gemacht
Kundinnen wie Christina Haustein. Sie ist am ganzen Körper tätowiert - und noch lange nicht fertig. Am rechten Arm reichen Blumen, Federn und Blätter in Schwarzschattierungen bis zu den Handgelenken. An beiden Beinen trägt sie traditionelle Tattoo-Motive: Den klassischen Sun Dancer, dazu einen Adler und ein Stück Pizza - mit filigranen schwarzen Linien auf ihre Haut gezeichnet, die Flächen mit rot und grün ausgefüllt. Das wäre ohne REACH-konforme Farben nicht mehr möglich.

Ihr Tätowierer hoffe auf eine schnelle Lösung, erzählt Haustein, einen Termin für das nächste Motiv habe sie dennoch sicherheitshalber für Ende Dezember ausmachen wollen - keine Chance, die Bücher waren voll. Die Diskussion um die Farben habe sie aber auch ins Grübeln gebracht: "Ich ernähre mich bewusst gesund und vegan. Bei Tattoo-Farbe habe ich mir komischerweise nie Gedanken drüber gemacht", sagt Haustein.
Verbot kommt zur Unzeit
Jennifer Franke tätowiert seit 32 Jahren und hat eine klare Haltung zu Farben, die Kunden schaden: "Wenn die Farben gesundheitsschädlich sind, dann müssen die weg", sagt sie. Allerdings habe sie in all den Jahren keine Probleme gehabt. Häufig werde eher die Creme nicht vertragen als die Tattoo-Tinte.
Für die meisten Tätowierer kommt das Farben-Verbot zu Unzeit. Die Branche habe in der Corona-Pandemie ein Sonderopfer bringen und mehr als andere Bereiche unter dem Lockdown leiden müssen, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands Tattoo (BVT), Urban Slamal. Unter anderem mussten die Studios noch bis in den Frühsommer hinein im Zuge der Bundesnotbremse geschlossen bleiben.
Skepsis bei neuen Farben
Er könne verstehen, dass die Betreiber jetzt ihre Arbeit nicht einstellen wollen, nur weil die Farbenhersteller in den letzten Jahren geschlafen hätten, so Slamal. Dass einige deshalb mit den alten Farben weiterstechen wollen, halte er als Jurist nicht für klug, rein menschlich habe er Verständnis.
Slamal ist überzeugt, dass in den nächsten Monaten die großen amerikanischen Hersteller Produkte auf den Markt bringen werden - vermutlich deutlich teurer als die gewohnten Tinten. Ob die funktionieren, stehe auf einem ganz anderen Blatt. "Kunden werden Beta-Tester für all die neuen Produkte, die auf den Markt kommen", so die Einschätzung des BVT-Vorsitzenden.
Ärztin rät zu Hautscreening
Nach Meinung von Hautärztin Daniela Uribe Holmgren aus Fulda reicht es ohnehin nicht aus, die Verwendung der Farben stärker zu regulieren. Ein großes Problem sehe sie vor allem in der Verabeitung. Zwei Jahre dürfen Tattoo-Tinten nach Anbruch verwendet werden, steril seien sie nach dem ersten Öffnen nicht mehr.
Die Medizinerin selbst ist mehrfach tätowiert - und das, obwohl sie genau wisse, welche Risiken das habe. Der Körper erkenne, dass die Tinte etwas Fremdes sei und bekämpfe sie. Die möglichen Folgen: Granulome, also geschwulstartige Gewebeansammlungen oder allergische Reaktionen. Was mit der Tinte in den Lymphknotenbahnen passiere, sei bisher nicht bekannt, so Holmgren.

Bevor man sich ein Tattoo stechen lasse, solle man ein Hautscreening machen, um bösartige Veränderungen auszuschließen, empfiehlt sie. Zudem sollten Muttermale vom Motiv nicht überdeckt werden. Vor allem bei schwarzer Tinte könne man als Hautärztin später keine bösartigen Haut-Veränderungen mehr feststellen.
Startet 2022 schwarz, grau und weiß?
Im "Jenny B.'s Tattoo" sind die Terminbücher derzeit voll - auch im nächsten Jahr will man hier bunt tätowieren. Wenn die neuen Farben nicht rechtzeitg verfügbar seien, müsse man die Termine kurzfristig verschieben, erklärt Betreiberin Jennifer Franke. Oder die Motive erstmal schwarz-grau stechen und in einer nächsten Sitzung die Farben ergänzen.
Umfrage: Fast jeder fünfte tätowiert
Wie viele Menschen tätowiert sind, lässt sich nur schätzen. Eine Umfrage der Medizinischen Psychologie der Uni Leipzig aus dem Jahr 2017 kam zum folgenden Ergebnis: 2016 war knapp jeder fünfte Deutsche über 14 Jahre tätowiert. Am häufigsten junge Erwachsene im Alter zwischen 25 und 34 Jahren. Männer und Frauen sind gleichermaßen tätowiert.
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