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Kaum freie Plätze in hessischen Frauenhäusern

Frau sitzt im Zimmer mit offener Tür (Rückenansicht) und schaut aus dem Fester

Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt werden, können hessenweit Zuflucht in 31 Frauenhäusern finden - zumindest theoretisch. In der Praxis gibt es so gut wie keine freien Plätze. Es fehlt an Geld und Personal, wie ein Beispiel aus Offenbach zeigt.

Die 32 Plätze im Frauenhaus Offenbach reichen nicht aus. Es ist fast immer voll besetzt - wie viele andere Frauenhäusern in Hessen. Das zeigt eine täglich aktuelle Übersichtskarte der 31 hessischen Frauenhäuser.

300 fehlende Familienplätze

Laut Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer Frauen- und Gleichstellungsbüros (LAG) fehlen nach einer internen Befragung aus dem vergangenen Jahr in Frauenhäusern nach Istanbul-Konvention 300 Familienplätze, das sind 800 Betten. Die LAG fordert in einem Brief von Anfang Juni, der dem hr vorliegt, vom Land Hessen und dem Bund, dass sich das ändert - genau wie bürokratische Hürden beim Abrufen von Geldern und der Personalmangel.

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Was ist die Istanbul-Konvention?

Die sogenannte Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den der Europarat 2011 ausgefertigt hat, um "Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen". Nach der Konvention gilt unter anderem: ein Frauenhaus pro Region und ein Familienplatz pro 10.000 Einwohnerinnen. Maßgeblich ist der tatsächliche Bedarf.

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In den Frauenhäusern finden Frauen Schutz vor häuslicher Gewalt. Im vergangenen Jahr wurden 10.410 Fälle von der Polizei in Hessen erfasst. Jedes Jahr seit 2017 steigt die Zahl. Über 80 Prozent der Opfer sind weiblich, über 80 Prozent der Tatverdächtigen männlich.

Wohnungssuche vor allem in Rhein-Main schwierig

Frauenhäuser unterstützen Frauen zudem dabei, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Dabei bleiben die Frauen zwischen wenigen Tagen und im längsten Fall bis zu drei Jahren, wie die Mitarbeiterin im Frauenhaus Offenbach, Katharina Heß, berichtet. Der Wohnungsmarkt spiele dabei eine große Rolle: "Es kann gut sein, dass eine Frau mit Kindern ein Jahr bleibt, bis sie eine Wohnung gefunden hat. Je mehr Kinder, desto länger wartet sie."

Frauen kämen oft aus anderen Bundesländern zu Heß ins Frauenhaus nach Offenbach. Sie bräuchten aus Sicherheitsgründen räumlichen Abstand zum Gewalttäter und das hieße im Umkehrschluss auch: Abstand zum restlichen sozialen Umfeld. Oft müssten Frauen sich dadurch auch einen neuen Job suchen und würden erst einmal Hartz IV oder Sozialleistungen beziehen.

Die Wohnungssuche gestalte sich daher schwierig - gerade im Rhein-Main-Gebiet. Einige Wohnungsbaugesellschaften würden Frauen aus Frauenhäusern zwar Wohnungen bevorzugt vermitteln, aber bei Privatvermietungen sei das viel schwieriger.

Zu wenig Geld und zu wenige Plätze

Frauenhäuser finanzieren sich über kommunale Landesmittel, Gelder vom Bund und Spenden. "Wir kriegen viele Spenden, das ist super. Ohne die würde es gar nicht gehen. Aber unsere Energie noch mehr in die pädagogische Arbeit zu stecken, für die wir eigentlich auch bezahlt werden, das wäre natürlich super", erzählt Heß.

Das Offenbacher Frauenhaus arbeitet mit einem Personalschlüssel von 40 Prozent dessen, was der Paritätische Wohlfahrtsverband empfiehlt. Für mehr ist kein Geld da. Laut LAG verfügen rund 70 Prozent der Autonomen Frauenhäuser noch nicht einmal über die Hälfte der dort geforderten Personalstellen.

Nicht alle können Frauenhaus-Kosten zahlen

Für die Plätze fällt ein sogenannter Tagessatz an. Dieser deckt die Miete, Nebenkosten und die Hauswirtschaft im Frauenhaus und liegt zwischen 14 und 25 Euro pro Tag pro Person. Das bedeutet für eine Mutter mit zwei Kindern für eine Woche Frauenhaus-Aufenthalt Kosten von 294 bis 525 Euro. Frauen, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, bekommen dieses Geld gezahlt - etwa vom Jobcenter oder Sozialamt.

Aber nicht alle Frauen haben Anspruch auf Sozialleistungen. "Wenn ich selbstständig oder Studentin bin und mein Geld trotzdem nicht dafür ausreicht, diese Miete fürs Frauenhaus zu zahlen, dann falle ich raus", erzählt Heß. Wenn es mit der Eigenfinanzierung nicht klappe, werde versucht, die Frau in einem anderen Haus unterzubringen, das diese Kosten übernehmen kann.

Zudem sei die Betreuung anspruchsvoller geworden, erzählt Heß. Die Frauen kämen im Vergleich zu Vorjahren oft aus noch prekäreren Lagen, bräuchten oft noch mehr Unterstützung. Durch Corona sei es schwierig, in Kontakt mit den Ämtern zu kommen, gerade wenn Dolmetscherinnen gebraucht würden. Es seien mehr Aufgaben hinzugekommen bei weiterhin zu wenig Personal.

Väter als Sicherheitslücken im System

Die genauen Standorte von Frauenhäusern sind aus Sicherheitsgründen in der Regel anonym. Auch die Stadt, in der sie unterkommen, soll bei manchen Frauen geheim bleiben. Doch das Umgangsrecht von Vätern lässt das nicht zu.

Wenn ein Gewalttäter "nur" der Mutter des Kindes Gewalt angetan hat, hat er weiterhin Anrecht auf Umgang mit dem Kind. "Natürlich leiden auch die Kinder darunter, wenn sie die Gewalttätigkeit gegen ihre Mutter erleben. Dass das oft Traumata bei Kindern auslöst, wird nicht als hartes Argument dafür genommen, zumindest mal die ersten sechs Monate den Umgang auszusetzen", kritisiert Heß aus dem Frauenhaus Offenbach. Ihrer Ansicht nach ist das Umgangsrecht eine große Sicherheitslücke für die Frauen.

Anwältin: Kindeswohl wichtiger als Schutz der Mutter

Auch Christina Clemm sieht im Umgangsrecht bei häuslicher Gewalt ein riesiges Problem. Sie ist seit 25 Jahren Anwältin für Opfer von Gewalt. Es gebe so gut wie keine Möglichkeit, das Umgangsrecht auszuschließen, erzählt sie. Das gehe manchmal für kurze Zeit, aber in der Regel nicht.

Das Recht zerfalle da in zwei Bereiche, die zu wenig zusammen gesehen würden. Der eine sei das Strafrecht, durch das ein gewalttätiger Beschuldigter verfolgt würde und womöglich eine Strafe bekäme. Der andere sei das Familienrecht, in dem es unter anderem um den Umgang ginge.

"Hier hat sich in den letzten Jahren eine Doktrin durchgesetzt, dass es stets dem Kindeswohl entspreche, wenn das Kind zu beiden Elternteilen Kontakt habe", sagt sie. Diese Entwicklung sei massiver Lobbyarbeit von sogenannten Väterrechtsvereinen geschuldet, die die Rechte gewaltbetroffener Mütter ignorieren würden, so Clemm.

Selbst wenn das Kind selbst nicht direkt geschlagen worden sei, sei auch die Gewalt gegen die Mutter für das Kind schädlich. Bei Umgängen sei der Schutz, die Anonymität und das Wissen um die Stadt, in der die Mutter wohne, gefährdet.

"Es wird nicht gesehen, dass es bei den Übergaben des Kindes stets offene Stellen gibt, durch die der Täter doch erfährt, wo die Frau ist und sie verfolgen kann", so die Anwältin. Dem Kind könne zudem nicht auferlegt werden, nicht erzählen zu dürfen, wo es wohnt oder die Schule liegt. Clemm kritisiert, dass das Wohl des Kindes über das Wohl der Mutter gestellt würde. Für sie ein Widerspruch zur Istanbul-Konvention.

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Hilfe bei Gewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen und Mädchen - hier finden Sie Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige:

Bei akuter Gefährdung: Polizeinotruf 110

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 08000 116 016 rund um die Uhr, kostenfrei, anonym, barrierefrei erreichbar - auch online. Der Anruf und die Nummer erscheinen nicht auf der Telefonabrechnung. Die Beratung erfolgt vertraulich und auf Wunsch anonym. Eine Beratung ist in 18 Fremdsprachen möglich.

Die Beraterinnen leisten psychosoziale Erstberatung sowie Krisenintervention und vermitteln auf Wunsch an Unterstützungseinrichtungen vor Ort weiter, etwa an eine Frauenberatungsstelle oder ein Frauenhaus in der Nähe. Darüber hinaus können sich auch Menschen aus dem sozialen Umfeld der Gewaltbetroffenen an das Hilfetelefon wenden.

Weitere Informationen zu Hilfsangeboten bei Gewalt gegen Frauen und Mädchen finden sich auf der Internetseite des hessischen Sozialministeriums.

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