Der angeklagte syrische Arzt Alaa M. vor dem Frankfurter Oberlandesgericht.

Weil er Kritiker des syrischen Regimes systematisch gefoltert und umgebracht haben soll, steht Alaa M. in Frankfurt vor Gericht. Am ersten Prozesstag kam der mutmaßliche Folter-Arzt auch selbst zu Wort.

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Prozess in Frankfurt gegen syrischen Arzt

hs
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Auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt sitzt am Mittwochmorgen der syrische Arzt Alaa M., die Kapuze seines Anoraks hat er tief ins Gesicht gezogen, solange die Kameras im Saal noch zugelassen sind. Es sind viele Kameras da. Der Fall des mutmaßlichen Folter-Arztes erregt weithin Aufsehen - hier beginnt ein Prozess von internationalem Interesse.

Er soll gefoltert und getötet haben

Während des Bürgerkriegs in Syrien soll der heute 36-Jährige in einem Militärkrankenhaus und in einem Gefängnis des syrischen Geheimdienstes Kritiker des Assad-Regimes gefoltert und getötet haben. Die Anklage lautet auf Mord, Folter in 18 Fällen, schwere und gefährliche Körperverletzung, schwere Freiheitsberaubung sowie Freiheitsberaubung mit Todesfolge.

Was sich hinter diesen anonymen Fällen verbirgt, führen die beiden Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft beim Verlesen der Anklageschrift noch einmal aus: Unter anderem soll M. Häftlinge gefesselt und mit verbundenen Augen aufgehängt haben, bevor er sie misshandelte.

Die Bundesanwaltschaft legt dem Arzt eine lange Liste mutmaßlicher Foltertaten zur Last. Alaa M. soll zum Beispiel Knochenbrüche ohne ausreichende Narkose operiert haben. "Die medizinische Behandlung diente nicht dem Zweck der Heilung", sind die Anklagevertreterinnen überzeugt. Vielmehr habe sie dazu gedient, Informationen zu erhalten.

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„Die medizinische Behandlung diente nicht dem Zweck der Heilung. Sie diente dazu, Informationen zu erhalten.“ Aus der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft Aus der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft
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Einem 14 oder 15 Jahre alten Jungen soll Alaa M. die Genitalien mit Alkohol übergossen und angezündet haben. "Damit nahm M. den Verlust der Zeugungsfähigkeit billigend in Kauf", tragen die Bundesanwältinnen vor: "Im Anschluss prahlte er damit, eine neue Foltermethode erfunden zu haben." Einem anderen Gefangenen soll M. die Hand mit brennbarer Flüssigkeit übergossen und angezündet haben.

Bei den Gräueltaten, die dem syrischen Arzt vorgeworfen werden, habe es sich um "systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung" gehandelt, sagt Oberstaatsanwältin Anna Zabeck am ersten Prozesstag. Sie seien eingebettet gewesen in das Bestreben der syrischen Regierung, die oppositionelle Bewegung im Land niederzuschlagen.

Alaa M. sagt, er sei nie beim Militär gewesen

Alaa M. selbst hat im Ermittlungsverfahren alle Vorwürfe abgestritten - auch jetzt, während die Anklage verlesen wird, schüttelt er den Kopf. Dem Anwalt der Nebenklage, der ihm gegenüber sitzt, beantwortet er keine Fragen. Zum Prozessauftakt spricht M. ausschließlich über sich selbst und seinen Lebenslauf. Beim Militär sei er nie gewesen, er habe sich freigekauft, sagt der 36-Jährige.

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„Er wirkte wie ein Musterschüler, der gut vorbereitet in eine Prüfung kommt, sich dafür ordentlich angezogen hat und möglichst mit Bestnote rausgehen möchte.“ hr-Gerichtsreporterin Heike Borufka hr-Gerichtsreporterin Heike Borufka
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Akribisch und in nüchternem Tonfall geht M. seinen beruflichen Werdegang durch - "wie ein Musterschüler, der gut vorbereitet in eine Prüfung kommt", sagt hr-Gerichtsreporterin Heike Borufka, die ihn im Gerichtssaal beobachtet hat. Am Ende schließt Alaa M. seine Ausführungen mit dem Satz: "Gegen 20 Uhr wurde ich am Arbeitsplatz verhaftet - bis heute bin ich in Untersuchungshaft."

Hessische Klinik: Approbation wurde anerkannt

Dieser Arbeitsplatz, von dem der Angeklagte da spricht, lag in Hessen: 2015 war Alaa M. nach Deutschland gekommen und war hier jahrelang als Assistenzarzt tätig: zunächst am Uniklinikum Göttingen, dann von 2018 bis 2019 in der Orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau (Werra-Meißner). Anschließend wechselte M. an eine Rehaklinik nach Bad Wildungen (Waldeck-Frankenberg), wo er schließlich festgenommen wurde.

Dass ein Arzt, dem Folter, Körperverletzung und Mord vorgeworfen werden, unbehelligt in deutschen Krankenhäusern arbeitet, scheint unglaublich. Doch Alaa M. konnte bei seinen Arbeitgebern offenbar immer eine gültige Approbation vorweisen. Das hat die Klinik in Hessisch Lichtenau auch auf hr-Anfrage mitgeteilt.

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„Sollten die Vorwürfe zutreffen und vom Gericht bestätigt werden, wäre das bestürzend und verabscheuungswürdig.“ Orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau Orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau
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"Die deutsche Approbation als Arzt lag vor, zudem hatten die Dokumente eine Anerkennung der Landesärztekammer erhalten", schreibt die Klinik. Die Unterlagen aus Syrien seien von einem dafür qualifizierten Übersetzer beglaubigt worden. Daher habe man keinen Anlass für Beanstandungen gesehen.

Mit Blick auf die Gräueltaten, die ihrem ehemaligen Mitarbeiter vorgeworfen werden, schreibt die Klinik: "Sollten die Vorwürfe zutreffen und vom Gericht bestätigt werden, wäre das bestürzend und verabscheuungswürdig."

Aktivisten erinnern an verschleppte Regimekritiker

Draußen vor dem Frankfurter OLG haben syrische Aktivisten an diesem Mittwoch Plakate aufgereiht. Darauf sind die Gesichter vermisster syrischer Regimekritiker zu sehen und ein kurzer Text, der erläutert: Dieser Mensch wurde verhaftet und verschleppt, sein Schicksal ist bis heute ungewiss.

Drei Männer halten gemalte Portrait-Tafeln in die Kamera. Zudem stehen auf dem Bürgersteig daneben an eine Hauswand gelehnt weitere Portraits der Opfer von dem Anschlag in Hanau. Im Hintergund ist ein Mann mit der Presse im Gespräch.

Dass M. in Deutschland vor Gericht steht, obwohl seine mutmaßlichen Taten in Syrien begangen wurden, ist eine Besonderheit. Möglich macht es das sogenannte Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. "Deutschland wird hier nicht im eigenen Interesse tätig, sondern im Interesse der ganzen Staatengemeinschaft", erklärt OLG-Sprecherin Gundula Fehns-Böer.

Menschenrechtler: Wichtige Aufarbeitung

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International teilt zum Prozessbeginn gegen Alaa M. mit, das Verfahren sei ein wichtiger Schritt für die Aufarbeitung der Massenverbrechen in Syrien. Es werfe erstmals einen detaillierten Blick auf die Funktion der Militärkrankenhäuser im syrischen Unrechtsapparat.

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„Deutschland wird hier nicht im eigenen Interesse tätig, sondern im Interesse der ganzen Staatengemeinschaft.“ OLG-Sprecherin Gundula Fehns-Böer OLG-Sprecherin Gundula Fehns-Böer
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Außerdem zeige der Prozess gegen den syrischen Arzt, dass nicht nur Soldaten und Mitarbeiter des Geheimdienstes, sondern jede Person nach dem Weltrechtsprinzip zur Rechenschaft gezogen werden könne. Aktuell könnten nur dank dieses Prinzips Verbrechen des syrischen Regimes zumindest teilweise aufgearbeitet und Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Aufwendiges Verfahren erwartet

Insgesamt 14 Verhandlungstage sind für den Prozess angesetzt. Das Gericht rechnet mit einem aufwendigen Verfahren. Als nächstes will sich Alaa M. zu den Vorwürfen gegen ihn äußern. Seine drei Verteidiger rechnen damit, dass allein dafür zwei Tage nötig sein werden.

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