Das Justizzentrum Frankfurt mit Generalstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht

Als Polizisten den unter Korruptionsverdacht stehenden Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander B. erneut festnehmen wollten, wohnte er bei seiner Verlobten. Pikant: Sie war bis dahin ebenfalls eine Ermittlerin bei der Generalstaatsanwaltschaft.

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Korruptionsverdacht gegen Oberstaatsanwalt

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Der an Überraschungen nicht arme Fall des unter Korruptionsverdacht stehenden Oberstaatsanwalts Alexander B. ist um eine Facette reicher. Nach hr-Recherchen hat B. eine Beziehung mit einer Kollegin bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Also bei genau jener Behörde, bei der er als Leiter der Zentralstelle für Medizinstrafrecht im großen Stil Schmiergeld für die Vergabe von Gutachten genommen haben soll.

Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bestätigte dies inzwischen. Die Oberstaatsanwältin wurde von der Generalstaatsanwaltschaft an eine andere Behörde versetzt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen Alexander B. wegen gewerbsmäßiger und fortgesetzter schwerer Bestechlichkeit in 101 Fällen.

Von der Beziehung mit der Kollegin erfuhren die Ermittler erst, nachdem sie B. Ende Januar erneut verhaften wollten. Dieser Schritt war aus Sicht der Staatsanwaltschaft nötig geworden, weil wegen der Schwere der Vorwürfe damit zu rechnen war, dass B. sich einer Strafe durch Flucht entziehen könnte.

Verlobte gilt nicht als Beschuldigte

Darüber heißt es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom 31. Januar: Anlässlich der Vollstreckung des Haftbefehls "stellte sich am Freitag, den 28. Januar 2022, heraus, dass der Beschuldigte nicht in der von ihm den Ermittlungsbehörden im Rahmen der Meldeauflage angegebenen Wohnung lebte".

Die Staatsanwaltschaft bestätigte nun auf Anfrage, "dass der Beschuldigte Alexander B. zum Zeitpunkt seiner erneuten Festnahme am 28. Januar 2022 bei einer Kollegin wohnte". Weiter berichtete die Staatsanwaltschaft über diese Kollegin: "Deren Wohnung wurde am 28. Januar 2022 durchsucht. Nach dieser Durchsuchung hat sich die Kollegin auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen." Die Durchsuchung habe ihm und nicht ihr gegolten. Sie werde nicht als Beschuldigte geführt, heißt es auf Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft weiter.

Nach hr-Informationen handelt es sich bei der Frau um eine Oberstaatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft. Bei einer Zeugenbefragung wenige Tage nach B.s Verhaftung offenbarte sie den Beamten, dass sie mit dem Beschuldigten verlobt sei. Sie machte aufgrund dieser Verbindung von ihrem Recht Gebrauch, den Ermittlern keine weiteren Fragen zu dem Fall zu beantworten.

In andere Dienststelle abgeordnet

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Verdächtiger Alexander B wohnte bei Kollegin

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Als ihr bisheriger Dienstherr teilte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt auf hr-Anfrage mit, sie habe keine Kenntnis davon, dass sich die Beziehung der beiden auf ihre Arbeit als Oberstaatsanwältin ausgewirkt habe. "Gründe für die Einleitung eines dienstaufsichtsrechtlichen Verfahrens in diesem Zusammenhang sind hier nicht bekannt geworden", so Hessens höchstrangige Strafverfolgungsbehörde.

B. steht im Verdacht, zur Ermittlung von Betrug durch Ärzte überteuerte Gutachten bei Firmen in Auftrag gegeben zu haben. Im Gegenzug soll er von den Firmen regelmäßig Schmiergeld erhalten haben. Die Kosten für die Gutachten trug in den meisten Fällen das Land Hessen.

Wie hoch der Schaden insgesamt ist, den er verursacht hat, kann die Staatsanwaltschaft Frankfurt noch nicht beziffern. Doch allein durch die B. zur Last gelegten Taten, die noch nicht verjährt sind, soll dem Staat ein Schaden von mehr als 550.000 Euro entstanden sein. Das betrifft den Zeitraum von 2015 bis 2020.

Größte Justizaffäre der vergangenen Jahre

Ende 2021 deckte der hr auf, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen einen weiteren Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs ermittelt. Es geht dabei ebenfalls um aufgeblähte Gutachten bei Ermittlungen gegen Ärzte.

Der unter Verdacht stehende Beamte wurde Ende des Jahres vom Dienst suspendiert. Insgesamt wird gegen neun Beschuldigte ermittelt. Der Korruptionsfall um Oberstaatsanwalt Alexander B. gilt als größte Justizaffäre der vergangenen Jahre.

Landtagsabgeordnete fordern Aufklärung

In einer für diesen Montag angesetzten Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag fordert die Opposition von Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) vollständige Aufklärung über die Affäre. "Die auch von der Justizministerin gerne vertretene Theorie, Herr B. habe in seinem kriminellen Tun ganz alleine gehandelt, muss inzwischen als widerlegt gelten", sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD, Gerald Kummer. "Das bekannte Muster, dass immer neue Ausmaße des Skandals erst durch Medienveröffentlichungen bekannt werden, muss ein Ende haben", fordert Marion Schardt-Sauer von der FDP.

Im Fokus steht dabei auch die Arbeit der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Warum wurde er von der gegen ihn angeordneten U-Haft anderthalb Jahre lang verschont, obwohl davon auszugehen war, dass er Beweismittel beiseite schaffen konnte? Wer aus der hessischen Justiz hat B. bereits ein Jahr vor seiner ersten Festnahme im Sommer 2020 vor den Ermittlungen gewarnt? Und hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Geheimnisverrats aufgenommen? Auch um diese Fragen geht es in der Affäre.

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