Eine ältere Frau sitzt im Rollstuhl, sie ist alleine.

Im Frankfurter Seniorenheim Bettinahof sollen schlimme Zustände geherrscht haben - zum einen für das Personal, das verzweifelt Hilfe sucht, zum anderen für die Bewohnerinnen und Bewohner. Eine von ihnen sei deswegen gestorben, sind sich deren Kinder sicher.

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Berichte über Missstände in Frankfurter Pflegeheim

hessenschau vom 30.04.2022
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Sabine Naumann sagt, man habe ihre Mutter sehenden Auges vertrocknen lassen. "Zu Tode gepflegt", wie sie es nennt, im Altenheim Bettinahof im Frankfurter Stadtteil Riedberg. "Im Grunde genommen zieht sich bei mir die Verantwortung von der kleinen Pflegekraft bis zum Heimleiter nach oben hin durch", sagt Naumann. "In meinen Augen haben die tatsächlich alle versagt."

15 Monate ist es nun her, dass ihre Mutter, Hannelore Naumann, im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Sabine Naumann hatte sich zuvor mehrmals über die Zustände im Bettinahof bei dessen Leitung beschwert.

Zum Beispiel darüber, dass die Seniorin ganze Nächte sitzend auf einem Sofa verbracht habe, ihre Füße trotz Wassereinlagerungen nicht gewickelt worden seien oder sie nicht ausreichend geduscht wurde.

Trotz Diabetes keine ausreichende Flüssigkeitsversorgung

Nun macht Sabine Naumann ihre Vorwürfe öffentlich, sie hat Strafanzeige wegen "aktiver Vernachlässigung Schutzbefohlener" bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt eingereicht. Denn, so lautet ihr schwerwiegendster Vorwurf: Trotz ihrer Diabetes habe Hannelore Naumann keine ausreichende Flüssigkeitsversorgung, keine Infusionen bekommen.

Mit einem stark erhöhten Blutzuckerwert wurde sie im Dezember 2020 als Notfall in ein Krankenhaus gebracht und starb vier Wochen später. Gemeinsam mit ihrem Bruder Frank will Sabine Naumann nun für eine lückenlose Aufklärung des Todes ihrer Mutter kämpfen.

Bei der Aufarbeitung des Todesfalls dürften auch die Zustände beim Pflegepersonal des Bettinahofs eine Rolle spielen. Das Personal selbst hat sich in seiner Not an den hr gewendet. "Es ist sonst keine Hilfe zu erwarten", schrieb eine Pflegekraft im Namen mehrerer Kolleginnen und Kollegen.

Mitarbeitende dokumentieren Missstände

Die Mitarbeitenden beklagen per Mail unzumutbare Arbeitsbedingungen und skandalöse Zustände, die sich dort im vergangenen Jahr abgespielt haben sollen und die sie nun mit drastischen Fotos dokumentieren.

Zu sehen sind Seniorinnen und Senioren, die völlig durchnässt in ihren Fäkalien in Betten liegen. Den Angaben zufolge sollen sie den ganzen Tag so verbracht haben. Die Menschen seien zum Teil weder versorgt noch gewaschen oder geduscht worden. Und Pflegematerial wie Windeln und Kleidung stehe nicht zur Verfügung. Alles in Kombination mit einem Arbeitsklima, das nicht erträglich sei.

"Wohl der Bewohner aufs Spiel gesetzt"

"Es wird alles schlimmer und wir werden nach und nach den Arbeitsplatz aufgeben müssen oder werden rausgemobbt", schrieb die Pflegekraft. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter habe demnach den Bettinahof verlassen oder sei gekündigt worden - und wurde dann "durch fragwürdiges neues Personal ersetzt".

Und weiter: "Einrichtungs- und Pflegedienstleitung haben das Wohl der Bewohner aufs Spiel gesetzt. Jeder der es wagte, Kritik oder Probleme anzusprechen, wurde gnadenlos fertig gemacht."

Betreiber: "Sofort reagiert"

"Natürlich wissen wir von diesen Beschwerden im letzten Jahr, auf die wir sofort reagiert haben", teilte die Korian Deutschland AG mit, die den Bettinahof und bundesweit rund 250 Heime betreibt.

Mitte 2021 sei mit den zuständigen Behörden ein Maßnahmenplan erstellt worden, der seitdem "kontinuierlich abgearbeitet" worden sei. Prozesse seien neu aufgesetzt, neue Strukturen geschaffen und Veränderungen im Leitungsteam vorgenommen worden. Konkreter werden die Angaben nicht.

Viel verbessert habe sich im Bettinahof trotzdem nicht, sagte eine Pflegekraft dazu am Telefon. Bei einer Prüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) im November vergangenen Jahres habe es schon keine Beanstandungen von Seiten der Behörden mehr gegeben, hält Korian dagegen: "Auch die beiden Prüfungen in diesem Jahr waren hervorragend, dem Bettinahof wurde beste Pflegequalität bescheinigt."

Regierungspräsidium sieht keine Probleme

Das Regierungspräsidium (RP) Gießen als Obere Betreuungs- und Pflegeaufsicht sieht aktuell auch keine Probleme. Das Heim werde engmaschig und unangekündigt kontrolliert, teilte das RP auf Anfrage mit. Neun Anlass- und Kontrollprüfungen durch die Betreuungs- und Pflegeaufsicht haben demnach stattgefunden, seitdem die Beschwerden aufkamen. Zwei weitere Prüfungen erfolgten demnach durch den Medizinischen Dienst Hessen.

Hätten sich dabei Beschwerdepunkte bestätigt, sei gemäß der gesetzlichen Vorgaben eine entsprechende Beratung beziehungsweise Mängelberatung passiert. Mit Korian seien zudem Maßnahmen zur Mängelbeseitigung, insbesondere zur Verbesserung der Personalsituation, vereinbart worden.

Auch deren Umsetzung "wurde durch entsprechende Kontrollprüfungen überwacht." In den Prüfungen hat das Regierungspräsidium "eine deutliche Verbesserung der Betreuung und Pflege der Bewohnenden festgestellt".

Staatsanwaltschaft ermittelt

Wäre die Betreuung und Pflege während des Aufenthaltes ihrer Mutter im Bettinahof ausreichend gewesen, würde Hannelore Naumann noch leben, da sind sich ihre Kinder sicher. Das durch ihre Anzeige eröffnete Ermittlungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen, teilte die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit.

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