Foto: Blick aus dem Fenster eines Zuges mit einer Hand im Bildzentrum, die ein 9-Euro-Ticket hält. Auf dem Bild eine kleine, farbige Grafik mit dem Schriftzug "war was?".

Auch hessische Bahnreisende können dank des 9-Euro-Tickets nun günstig das ganze Wochenende im Zug verbringen. Diese 5 Wutausbrüche, die mit dem Ticket ganz leicht erreichbar sind, sollten Sie sich nicht entgehen lassen, findet unser Kolumnist.

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9-Euro-Ticket startet

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Portrait von Stephan Reich. Daneben steht "Glosse"

Stephan Reich
Redaktion hessenschau.de

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Hessen, das Bundesland, in dem immer was los ist. An dieser Stelle wirft unser Kolumnist Stephan Reich mit seiner Glosse "War was?" jeden Freitag einen ganz eigenen Blick auf die Nachricht der Woche, den man auf keinen Fall ernst nehmen sollte.

Neun Euro für ein Ticket? Let's go. Diese fünf Wutausbrüche lassen sich ganz einfach erreichen:

1. Der Kegelklub

Es bedarf ein wenig Glück, aber steigen Sie irgendwo zwischen Darmstadt und Kassel, Fulda und Limburg in den richtigen Zug ein, kommen Sie in den Genuss eines Kegelklubs auf Reisen. Etwa 263.394 betrunkene Kegelvereine sind jedes Wochenende auf Hessens Schienen unterwegs (grobe Schätzung), einen in freier Wildbahn zu erleben, ist ein echtes Highlight. Also lehnen Sie sich zurück und genießen Sie die bierzeltige Herrenwitz-Atmosphäre, die nur eine Gruppe mittelalter alkoholisierter Männer auf engem Raum verbreiten kann. Wie schön: Den paar Grunzgeräuschen, die dem Bier-und-Frikadellenatem ihres Gegenübers beigemischt sind, entnehmen Sie, dass der Kegelklub genau dasselbe Reiseziel hat wie Sie.

Die Freude darüber währt aber nur kurz, denn die Pfütze unklarer Herkunft, die sich unter den Sitzen Ihren Füßen nähert, erfordert Ihre ganze Aufmerksamkeit. Immerhin: Das saure Aufstoßen Ihres Nebenmannes mit der Apfelkornflasche in der Hand, das stetig ein wenig lauter und nachdrücklicher wird, wird recht schnell vom auf voller Lautstärke laufenden Ballermann-Hitmix aus der Boombox übertönt. Sie haben Ihren Wutausbruch erreicht, wenn an der nächsten Station ein Junggesellenabschied ins völlig überfüllte Abteil einfällt.

2. Die Signalstörung

Sie ist neben der Weichenstörung, der etwas vagen Verzögerung im Betriebsablauf und der eher mysteriösen Stellwerksstörung der Klassiker der DB-Verspätungsgründe. Angekündigt wird sie, wie immer, mit einer unverständlich und viel zu leise dahingenuschelten Lautsprecherdurchsage, während der Zug irgendwo zwischen Edermünde-Grifte und Felsberg-Wolfershausen stehen bleibt. Danach passiert nicht mehr viel. Beziehungsweise gar nichts. Überhaupt nichts mehr. Erst Minuten. Dann Stunden. Dann Tage? Vielleicht, die Zeit scheint in diesem Zug langsamer zu vergehen als draußen. Keine weitere Ansage. Keine Information. Sie haben auch nichts mehr zu trinken. Und sitzen auf der Sonnenseite, die Hitze wird unerträglich. Ihr Gegenüber zieht nun seine Schuhe aus und isst ein Käsebrot. Die Uhren laufen rückwärts. Draußen wird es dunkel.

Wie lange sitzen Sie nun schon hier? Irgendwann kommt ein Schaffner vorbei, auf Ihre Frage, ob der Anschluss noch zu erreichen sei, beginnt er hysterisch zu lachen. Sie spüren einen Hexenschuss herannahen. Ihrem Gegenüber ist ein Bart gewachsen, glauben Sie. Sie sehen auf Ihre Armbanduhr, aber sie fließt Ihnen vom Handgelenk wie in einem Dali-Gemälde. Draußen geht die Sonne wieder auf. Der Lautsprecher raschelt. Sie erreichen Ihren Wutausbruch, als Sie leise hören: "Sehr geehrte Fahrgäste, wegen einer Verzögerung im Betriebsablauf verzögert sich unsere Weiterfahrt um wenige …"

3. Das Internet

Sie sind eine Weile unterwegs? Dann lehnen Sie sich zurück, genießen Sie die Zeit und schalten ab, indem Sie zum Beispiel einen Film schauen. Internet gibt es in den Regionalbahnen zwar nicht, aber dank der flächendeckenden naja fast überall naja eigentlich abseits der Städte oft gar nicht existenten Netzabdeckung können Sie Ihre gefühlte Fahrtzeit mit ein wenig Entertainment verkürzen. In der Mediathek Ihres Vertrauens finden Sie einen spannenden Film, darin geht es in weiten Teilen, wenn Sie das richtig verstehen, um ein sich drehendes Lade-Symbol vor einem Standbild.

Selbiges Symbol wird Ihnen auf sämtlichen Internetseiten angezeigt, die Sie anschließend ansteuern, nachdem Sie den eher langweiligen Film entnervt abgebrochen haben. Nach einer Weile wird Ihnen klar: Auf Ihrem Handy tut sich gar nichts, mit Ausnahme des Akkus, der sich rasend schnell entlädt. Sie erreichen Ihren Wutausbruch, als Sie dem Schaffner kurz vor Limburg das 9-Euro-Ticket vorzeigen wollen, Ihr Handy aber keinen Saft mehr hat.

4. Der Toilettengang

Klar, den halben Liter Schokomilch vom Bahnhofskiosk muss man nicht exen, schon gar nicht, wenn man einen aggressiv-sauren Unterton schmeckt. Aber nun ist es zu spät und die Milch will - auf welcher Seite, ist noch nicht ganz klar - wieder raus. Endlich macht es sich bezahlt, dass der einzige Sitzplatz, den Sie noch finden konnten, direkt am Klo war. Weniger gut, dass die Toilette nach drei Tagen 9-Euro-Ticket aussieht wie das örtliche Klärwerk nach einem schweren Gewitter. Schon beim Anblick der Armaturen fangen Sie sich einen hartnäckigen Keim ein, der Seifenspender wurde das letzte Mal in den Neunzigern gefüllt, und was aus dem Wasserhahn kommt, hat mehr Ähnlichkeit mit der Bahnhofskiosk-Schokomilch als mit Wasser. Alles egal, denken Sie, es muss schließlich schnell gehen, aber dann merken Sie, dass die Tür nicht mehr schließt. Sie erreichen Ihren Wutausbruch auf dem Weg durchs Abteil zur nächsten Toilette, die aber natürlich besetzt ist.

5. 9-Euro-Selbstversuch-Journalisten

Schon der Einstieg in die Bahn wird Ihnen erschwert, weil Sie kaum an den Kamerateams vorbeikommen. Endlich im Abteil angekommen, sind sämtliche Plätze schon an Journalisten vergeben, die für Ihre Medien live vom 9-Euro-Ticket-Wochenende berichten. Nachdem Sie drei Zeitungen, einem TV-Sender, einem Bahn-Blogger, einer internationalen Nachrichtenagentur und acht Online-Medien mit abnehmender Geduld dasselbe erzählt haben ("Ja, ist doch toll. Nahverkehr sollte immer günstig sein."), kommt es zum ersten Handgemenge, als Sie einem hr-Kolumnisten aus Frankfurt begegnen, der Sie fragt, was Sie vom 9-Euro-Ticket halten. Er würde gerade eine Glosse schreiben.

Im hinteren Teil des Wagens kommt es derweil zu Tumulten, weil die löchrige Netzabdeckung sehr wichtige Liveblogeinträge unmöglich macht. Von den vielen Interviews haben Sie Mikrofonreste im Mund, die Sie gerne runterspülen wollen, aber zu dem Mann mit dem Servicewägelchen kommen Sie gar nicht, weil dieser die Journalisten zurückdrängen muss, indem er schließlich seine Bier- und Piccolo-Vorräte in das Abteil wirft und den Zug dann panisch verlässt. Sie erreichen Ihren Wutausbruch, als Sie jemand auf die Schulter tippt und fragt, ob Sie Zeit für ein, zwei Fragen hätten. Es gehe um einen Liveblog, und was Sie wohl vom 9-Euro-Ticket hielten?

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