Foto einer Gruppe von Menschen auf einer Party. Eine Person trägt einen roten Geweih-Haarreif. Auf dem Bild eine kleine, farbige Grafik mit dem Schriftzug "war was?".

Wegen Inflation und Sparzwang feiern immer weniger Betriebe Weihnachtsfeiern. Mit dramatischen Folgen. Es kommt kaum noch zu witzigen Peinlichkeiten im Kollegenkreis.

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Gastronomie verbucht weniger Weihnachtsfeiern

Ein gedeckter Weihnachtstisch in einem Restaurant.
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Hessen, das Bundesland, in dem immer was los ist. An dieser Stelle wirft unser Kolumnist Stephan Reich mit seiner Glosse "War was?" jeden Freitag einen ganz eigenen Blick auf die Nachricht der Woche. Nehmen Sie diesen Blick bitte auf keinen Fall ernst.

Es ist ein trauriges Bild, das sich in der Gaststätte Zum Adler bietet. Gernhardt Feiern, 52-jähriger Personaler in einem mittelständischen Unternehmen, steht an der Theke und guckt bedröppelt in seinen Obstler. Er ist alleine gekommen, sein Arbeitgeber verzichtet dieses Jahr auf die Weihnachtsfeier. "Normalerweise würde ich jetzt einen anzüglichen Spruch oder einen ganz schlimm unangebrachten Witz machen, aber das bringt ja gar nichts, wenn nicht Kollegen um mich herumstehen, bei denen ich dann meinen Ruf weg habe", ärgert sich Feiern. "Alleine einen kompletten Aussetzer haben, macht doch gar keinen Spaß."

So wie Feiern geht es vielen Angestellten in Hessen in diesem Jahr. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage sehen sich viele Unternehmen gezwungen, die Weihnachtsfeier ausfallen zu lassen. Ein Desaster für die Gastronomie – aber auch für die Betriebe selbst, denen nun die obligatorischen Weihnachtsfeier-Peinlichkeiten fehlen. Die aber sind aus diversen Gründen wichtig für die Unternehmen.

60-prozentiger Rückgang beim Besoffen-dem-Chef-die-Meinung-Geigen

"Wir verzeichnen einen 60-prozentigen Rückgang in Sachen Besoffen-dem-Chef-die-Meinung-Geigen", sagt beispielsweise Dr. teq. uil. Clara Schnaps vom Statistischen Bundesamt, die sich mit dem Phänomen beschäftigt. "Das kann für die Betriebe ungesund sein, weil Auf-der-Weihnachtsfeier-besoffen-dem-Chef-die-Meinung-Geigen in der Vergangenheit oft für eine Stärkung des Zusammenhalts innerhalb der Belegschaft gesorgt hat", so Schnaps. Auch würden zahlreiche unwichtige Posten unbesetzt bleiben, wenn nach verunglücktem Besoffen-dem-Chef-die-Meinung-Geigen niemand mehr auf sie abgeschoben werde.

Klar am wichtigsten ist aber der menschliche Faktor. Wenn niemand mehr betrunken mit Silvia aus dem Rechnungswesen oder Peter aus der IT knutsche, gingen der Belegschaft wichtige Anekdoten verloren, die man sich an der Kaffeemaschine oder beim Feierabendbierchen wieder und wieder erzählen könne. "Das ist ein gemeinsamer Pool an Weihnachtsfeier-Legenden, auf den man sich als Belegschaft berufen kann", so Schnaps. "Das schafft eine Art sozialen Kitt."

Rekordtief beim klassischen Ins-Taxi-Kotzen

Das sieht auch Feiern so. "Damals, als ich unten ohne auf dem Buffet einen Handstand gemacht und dann mit dem Hintern in die Schale mit dem Kartoffelsalat gefallen und da einfach sitzen geblieben bin und mein nächstes Bier da getrunken habe, da reden die Leute immer noch von", erinnert er sich selig und wischt sich dann ein Tränchen aus dem Augenwinkel.

Feierns Unmut wird dabei von den Zahlen gestützt. So hätten die Fälle von betrunken runtergezogenen Hosen ein Rekordtief erreicht, so Schnaps. Derzeit ebenso selten gemeldet:

  • Unangebracht enges Tanzen mit dem oder der Vorgesetzten
  • Sich mit dem DJ anlegen, weil er den Pur-Hitmix nicht spielt
  • Jemanden anbaggern, dessen Partner der direkte Vorgesetzte ist
  • Und auch das klassische Ins-Taxi-Kotzen

Einen am Sambuca verbrannten Mund habe es in diesem Jahr hessenweit überhaupt noch nicht gegeben, so Schnaps. "Das ist alarmierend. Wir sehen einen deutlichen Rückgang in allen relevanten Bereichen."

"Vielleicht ja nächstes Jahr wieder"

Das hat übrigens auch Folgen für den Nachwuchs in den Betrieben. "Für Praktikanten und Auszubildende ist so ein Weihnachtsfeier-Exzess ein echtes Stahlbad. Sie lernen dort fürs Leben, wichtige Dinge wie Zusammenhalt, Loyalität, Schamgefühl, Fremdgehen und die Antwort darauf, nach wie vielen Kurzen man temporär blind wird", so Schnaps. "Sich das im Alltag zu erarbeiten, ist zwar nicht unmöglich, aber es dauert."

Feiern hat diese Lektionen schon lange gelernt, ihm als Weihnachtsfeier-Veteran fehlen eher die kleinen Dinge. Hörbar über den faulen Kollegen am Nebentisch abledern. Den bedauernswerten Volontär abfüllen. Die Bowle mit drei Flaschen Strohrum veredeln. Mit Silvia aus dem Rechnungswesen knutschen. "Vielleicht ja nächstes Jahr wieder", sagt er. "Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, da wartet ein Taxi, in das ich kotzen muss."

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