Glosse War was? Tourismustipps für Hessen (für die Zeit nach der Klima-Apokalypse)
Schreck in Kassel: Ein Sandteufel fegt an der Orangerie vorbei. Gewöhnen wir uns schon mal dran, denn solche Extremwetterphänomene passieren immer häufiger. Höchste Zeit also für Klimakatastrophen-Tourismustipps für Hessen.
Hessen, das Bundesland, in dem immer was los ist. An dieser Stelle wirft unser Kolumnist Stephan Reich mit seiner Glosse "War was?" jeden Freitag einen ganz eigenen Blick auf die Nachricht der Woche. Nehmen Sie diesen Blick bitte auf keinen Fall ernst.
Vor der Orangerie in Kassel ist eine kleine Windhose samt Sandsturm über die Terrasse eines Cafés gezogen, Schirme stürzten um, das Essen wurde ungenießbar, die Besucher waren geschockt. Verrückt. Aber leider auch die Wahrheit, denn aufgrund des Klimawandels werden extreme Wetterphänomene auch im schönen Hessen immer häufiger. Damit Sie für das nächste Extremwetterereignis gewappnet sind und nicht auf der Orangerieterrasse oder sonstwo kalt erwischt werden, hier ein paar Tipps für Touristen und Ausflügler in Hessen – für die Zeit nach der Klimakatastrophe.
Das Grüne-Soße-Festival in Frankfurt (wegen Dürre ohne Grüne Soße)
Mjam, Grüne Soße. Das allseits beliebte Frankfurter Leib-und-Magen-Gericht wird bereits seit 2019 mit einem eigenen Festival bedacht, bei dem eine Jury die leckerste Grüne Soße der Stadt prämiert. Schade also, dass die sieben Kräuter, die man zur Herstellung benötigt, in einer immer unwirtlicher werdenden Welt in Zukunft nicht mehr wachsen werden. Als Zutaten in die Bresche springen müssen dann zunächst wahrscheinlich widerstandsfähigere Pflanzen, z.B. Kartoffeln, Zwiebeln, Kohl, Löwenzahn, Efeu, Gras, verbranntes Gras, Moos, Totholz, Erde, Sand, Staub und Steine, bis dann irgendwann gar nichts mehr auf dem Mad-Max-artigen Wüstenplaneten wächst, in den wir die Erde aktuell verwandeln. Aber keine Sorge: Nur noch ein paar Jahre mehr und die Klimaapokalypse dürfte derart dystopisch sein, dass ein Soilent-Grün-Festival absolut denkbar scheint. Guten Appetit.
Der Rüdesheimer Weihnachtsmarkt der Nationen (bei saurem Regen)
Der Rüdesheimer Weihnachtsmarkt der Nationen ist im Dezember ein echtes Muss. Schnee wird es zwar bald nicht mehr geben, aber wer sagt denn, dass man das festlich-weihnachtliche Ambiente nicht auch bei 40 Grad im Schatten und saurem Regen genießen kann? Gut, die Tasse mit dem Glühwein schmilzt ihnen im sauren Regen in der Hand. Und die Hand gleich mit. Und alles andere eigentlich auch. Aber keine Sorge, der saure Regen ist nur temporär, bald wird er von Lavaregen abgelöst, anschließend von Ascheregen, dann Nieselregen aus flüssigem Methan, wie es ihn beispielsweise auf dem lebensfeindlichen Saturnmond Titan gibt.
Also stellen Sie sich unter und genießen Sie Speis und Trank von einer der Buden, die nicht von einem brennenden Tornado, einer Heuschreckenplage oder den ständigen Kugelblitzen erwischt wurde. 17 Nationen von sechs Kontinenten bieten dort aktuell noch ihre Waren an, aber so viele Nationen wird es in der Zukunft freilich nicht mehr geben, und auch die Kontinente wachsen ja wieder zusammen, wenn die Ozeane erst einmal verdampft sind. Aber das soll erstmal nicht Ihr Problem sein, wenn Sie eine der überregionalen Spezialitäten genießen, die die paar übriggeblieben Wüstenstämme aus der gondwanischen Aschesteppe oder der pangäanischen Schwefelwüste mitgebracht haben, z.B. gerösteter Tumbleweed oder gebranntes Nichts.
Ausflug in den Bergpark Wilhelmshöhe (an den die Flut nicht hinreichte)
Dass der Bergpark Wilhelmshöhe der größte Bergpark Europas ist, kommt nun einer ganzen Region zugute. Durch die Klimakriegs-Unruhen erinnert der Herkules mittlerweile zwar an die Freiheitsstatuen-Ruine aus "Planet der Affen"; der Erleichterung, es als einer der wenigen nach dem Schmelzen der Polkappen vor der Klimaflut auf den Berg geschafft zu haben, tut das aber keinen Abbruch. Und der Blick runter auf die Nordsee ist natürlich toll.
Klar, die Trinkwasserversorgung lässt zu wünschen übrig, gehen die Wasserspiele an, gibt es an den Fontänen Mord und Totschlag. Und die Klimamutanten, die die Löwenburg besetzt haben, um von dort aus ihre Raubzüge zu starten, sind schon auch lästig. Aber das muss Sie gar nicht mehr interessieren, denn da hinten am Horizont segelt ja schon Kevin Costner herbei, der Sie auf seinem Boot mitnimmt, um nach Dryland zu schippern und, nein, Moment, das ist ja der Plot von Waterworld, Sie haben wegen der 55 Grad im Schatten einen Hitzschlag und halluzinieren …
Die Grube Messel
Als erstes deutsches Naturdenkmal wurde 1995 die Grube Messel in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen, mehrere zehntausend Dinosaurier-Fossilien wurden hier bereits geborgen. In Zeiten der Klimakrise bietet die Grube Messel darüber hinaus auch einen Blick in die Zukunft, der angenehm demütig macht. Werden in 50 Millionen Jahren auch unsere versteinerten Knochen in einer Art Grube Messel gefunden werden?
Werden die Archäologen einer Alienspezies oder Wissenschaftler einer sich zur dominanten Rasse des Planeten entwickelten Tierart (mein Tipp: Heuschrecken) im Jahre 50.000.002.022 an den Fossilien ablesen können, dass Sie den Müll nicht getrennt haben? Mit Plastiktüte anstatt Stoffbeutel einkaufen gegangen sind? Dieses eine Mal mit dem Auto zum Briefkasten unten an der Ecke fuhren, obwohl sie die 150 Meter auch locker hätten laufen können? Wer weiß. Sie haben genug Zeit, darüber nachzudenken, nachdem Sie von der Schlammlawine erwischt wurden und feststecken.
Nachtschwimmen im Badesee (tagsüber, weil jetzt immer Nacht ist)
Tja, da denkt man, an den heimischen Badesee reicht die Klimakatastrophe nicht heran, und dann das: Durch die Erderwärmung ist der Permafrost geschmolzen und das hat gleich mehrere Vulkane freigelegt, die natürlich allesamt ausgebrochen sind und so viel Ruß in die Atmosphäre gepumpt haben, dass durch die Partikel in der Luft nun für die nächsten 250.000 Jahre eine finstre, staubige, giftige, lebensfeindliche Nacht auf der Erde ist. Aber wer wird sich denn von dem unangenehmen Gedanken, sich mitten im sechsten Massenaussterben zu befinden, gleich die Laune verderben lassen, hust, hust, und nur, weil die Dinosaurier, hust, auf diese Weise, husthust, ausgestorben sind, hust keuch, heißt das ja nicht, dass hust hust hust hust hust…