Dass bei der AfD die Fetzen fliegen, ist nichts Besonderes. Nun soll der Gießener Bundestagsabgeordnete Schulz seine Parteifreundin Harder-Kühnel sogar körperlich angegangen sein. Der mutmaßliche Rempler beschäftigt nach der Bundespartei wohl auch die Justiz.

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AfD-Bundestagsabgeordneter soll Fraktionskollegin angerempelt haben

Bildkombination: links Portrait Uwe Schulz, rechts Portrait Mariana Harder-Kühnel
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Das Papier, auf dem Paragraph 4 der Satzung der hessischen AfD gedruckt wurde, muss besonders geduldig sein. Jedes Mitglied habe "einen menschlich respektvollen Umgang innerhalb der Partei" zu pflegen, heißt es da. Eine Beschwörung des Selbstverständlichen. Den vielfach erbittert ausgetragenen Streit der vergangenen Jahre mit all den öffentlichen Abrechnungen, Austritten und auch Gerichtsverfahren hat sie nicht verhindern können.

Die neueste Episode in der langen Serie innerparteilicher Auseinandersetzungen hat eine besondere, handgreifliche Dimension. Deshalb hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schulz aus Polheim (Gießen) angekündigt, seine Fraktionskollegin Mariana Harder-Kühnel aus Gelnhausen (Main-Kinzig) wegen Verleumdung und Anstiftung zur Verleumdung zu verklagen.

"Ich will das jetzt vor Gericht durchfechten", sagte der 61-Jährige dem hr und bestätigte Berichte von Stern und Gießener Allgemeinen. An diesem Donnerstag werde sein Anwalt die Anzeige erstatten. Es ist die Reaktion auf eine Abmahnung, die Schulz bereits im Dezember vom AfD-Bundesvorstand erhalten hat. Der Politiker soll die 48-Jährige nicht nur verbal angegangen sein.

Parteispitze sieht Wiederholungsgefahr

Für die Führung der Bundespartei steht fest, was Schulz bestreitet: Am Ende des Landesparteitags im Oktober des vergangenen Jahres in Gießen habe er Harder-Kühnel "zunächst absichtlich einen Stoß mit der Schulter" verpasst, um dann "mit aggressiver und einschüchternder Körperhaltung" die Charakterisierung abzugeben: "Du bist eine scheiß Narzisstin" und "Du bist der letzte Dreck".

Die Abmahnung für den Schubser und die Wortwahl ist eine Art gelbe Karte ohne direkte Folgen, ein Ausschluss stand demnach noch nicht zur Debatte. "Aufgrund Ihrer Uneinsichtigkeit besteht eine konkrete Wiederholungsgefahr", heißt es allerdings warnend an Schulz.

Feind, Todfeind, Parteifreund

Der AfD-Bundesvorstand schenkt den Aussagen Harder-Kühnels und zweier Belastungszeugen Glauben. Beide wollen auch den Rempler gesehen und als absichtlich wahrgenommen haben. "Hoppla! Da scheint es wohl einen Konflikt zwischen Kollegen zu geben!", hat eine von ihnen damals laut Gedächtnisprotokoll gedacht.

Diese Schlussfolgerung mutet angesichts der langen Vorgeschichte des Konflikts geradezu drollig an. Getreu der Steigerung "Feind, Todfeind, Parteifreund" sind sich Schulz und Harder-Kühnel schon seit Jahren in tiefer Abneigung verbunden – und ein Geheimnis ist das in der Partei nicht. Wie so oft bei Konflikten in der AfD spielen neben der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Lagern nicht zuletzt Machtansprüche und persönliche Abneigungen eine Rolle.

Zwei Lager und viel Persönliches

Schulz, Ex-Telekom-Manager und früher einmal Stadtverordneter der Pohlheimer CDU, gehört wie seine Gegnerin seit 2017 für die AfD dem Bundestag an. Zwei Jahre zuvor unterschrieb er die Erfurter Resolution, die als Gründungsmanifest des inzwischen offiziell aufgelösten völkisch-nationalistischen "Flügels" der AfD gilt. Dennoch rechnen ihn die noch verbliebenen Flügel-Gegner in der Partei zu ihrem "bürgerlich-konservativen" Lager.

Dagegen gilt Harder-Kühnel als loyale Gefolgsfrau des 2022 wiedergewählten Co-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla, der auch Chef der AfD-Bundestagsfraktion ist und vom völkisch-nationalistischen Lager unterstützt wird.

Schulz: "Typisch Mariana"

Im Jahr zuvor hatte sich Chrupalla gemeinsam mit Alice Weidel schon durchgesetzt, als die AfD das Spitzenduo für die Bundestagswahl nominierte. Gegen ihn zog dabei mit der als vergleichsweise gemäßigt geltenden Bundestagsabgeordneten Joana Cotar aus Langgöns (Gießen) eine langjährige Wegbegleiterin von Schulz den Kürzeren. Sie unterstützte den bereits Anfang 2022 ausgetretenen Ex-AfD-Chefs Jörg Meuthen und hat die Partei vor kurzem mit lautem Krach ebenfalls verlassen.

"Opportunismus und das Dauermobbing im Kampf um Posten und Mandate“ nannte Cotar neben der Verschiebung nach Rechtsaußen als einen Grund für den Austritt. Schulz will bleiben, klingt aber ähnlich wie Cotar in ihrer Generalabrechnung, wenn er über seine Intimfeindin Harder-Kühnel spricht. "Sie will hier die Vorherrschaft in Hessen an sich reißen. Und da stehe ich ihr im Weg", sagt er. Nach Cotar solle er an der Reihe sein.

Das sei auch der Grund für die Rempel-Anschuldigungen. Schulz stellt die Sache so dar: Harder-Kühnel habe sich ("typisch Mariana") für das Abschlussfoto auf die Parteitagsbühne gedrängt, obwohl sie da nicht hingehört habe. "Sie tut einen Scheiß für die Partei und macht alles nur für sich selbst, habe ich ihr dann gesagt." Einen Stoß? Habe es nie gegeben.

Machtkampf verloren?

In dem Machtkampf will Schulz anders als Cotar noch Stand halten. Manche in der Partei glauben, er hat ihn wie Cotar schon verloren. "Sein Einfluss schwindet, aber er kann nicht loslassen", sagt einer aus dem Landesverband, der es gut mit Harder-Kühnel meint. Die Lesart ihrer Unterstützer: Es gehe nicht um Lagerkämpfe. Hier werde ein Alphatier auf dem absteigenden Ast immer weniger mit dem Aufstieg einer selbstbewussten Frau fertig.

Schulz führt seit langem unumstritten den AfD-Kreisverband in Gießen an. Der hat inzwischen die meisten Mitglieder in Hessen und gerade einige Kandidaten neu auf aussichtsreiche Plätze für die Landtagswahl im kommenden Herbst platziert. Hier wie im Landesverband und in der Bundestagsfraktion arbeitete er einvernehmlich mit Cotar zusammen. Von einem "schmerzlichen Abschied" sprach Schulz, als sie ging.

In Bundestagsfraktion und Bundespartei spielt Harder-Kühnel längst die deutlich wichtigere Rolle als ihr Widersacher. Die Rechtsanwältin wurde 2018 überregional bekannt, als die AfD sie ins – erfolglose – Rennen um das Amt einer Bundestags-Vizepräsidentin schickte. Und sie ist stellvertretende Parteivorsitzende.

Harder-Kühnel: "Unerklärlich"

Dass sie selbst Anlass zu einem Abnutzungskrieg gegeben habe oder ihn führe, bestreitet Harder-Kühnel kategorisch. Sie spricht von einer "seit Jahren für viele Parteikollegen und mich unerklärlichen abgrundtiefen Feindschaft" des Kollegen gegen sie. Schulz lasse keine Gelegenheit aus, sie "hinter meinem Rücken schlecht zu machen und zu beleidigen". Eine von der Landespartei angebotene Schlichtung habe er schon vor Jahren abgelehnt. Außerdem seien ja auch andere Opfer seiner Ausbrüche geworden.

Tatsächlich zeichnet die AfD-Parteispitze von Schulz in ihrer Abmahnung das Bild eines Mannes mit äußerst kurzer Zündschnur. "Krebsgeschwür der Partei", "Nachtsäufer" – so und schlimmer soll sich der Bundestagsabgeordnete direkt oder bei Dritten über Parteikolleginnen und -kollegen geäußert haben. Auch gegenüber Journalisten hatte er sich laut Abmahnungstext wiederholt nicht im Griff, habe Lokalredakteure in Mails schon mal als "Drecksau" oder "Arschloch" tituliert.

Das sei entweder aus dem Kontext gerissen oder nicht wahr, verteidigt sich Schulz. Den Schulter-Check gegen Harder-Kühnel bestreitet er nicht nur mit dem Hinweis, dass solche Attacken für ihn generell nicht in Frage kämen. "Bei ihr würde ich das ohnehin nie tun. Sie würde sich auf den Boden legen und schreien, nur um so etwas für sich zu nutzen."

Schon mal ein Rempler-Vorwurf

Es ist nicht das erste Mal, dass Harder-Kühnel sich über eine körperliche Attacke eines Parteifreundes beklagt. Auf einem früheren Landesparteitag soll bereits ein anderer AfD-Mann die Politikerin absichtlich so von hinten gestoßen haben, dass sie fast gestürzt wäre. Mutmaßliches Motiv: Der wütende Parteifreund habe Harder-Kühnel die Mitschuld für seinen schlechten Listenplatz bei der vorausgegangenen Landtagswahl gegeben.

In seiner Causa führt Schulz den Vorfall an, um an der Glaubwürdigkeit seiner Gegnerin zu rütteln. Aus deren Umfeld heißt es, man habe die Sache seinerzeit begraben, weil der Beschuldigte ohnehin den Landesverband gewechselt habe.

In einer schlichtenden Mail an die Beteiligten wies AfD-Landeschef Robert Lambrou damals auf eine uneindeutige Beweislage hin. Für einen Satz, den er auch schrieb, ist vielleicht Platz in der nächste Fassung der Parteisatzung: "Wenn man sich nicht mag, ist es besser, Abstand voneinander zu halten."

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