AfD-Hochburg in Hessen Warum in Cornberg so viele extrem rechts wählen

Ein Dorf und ein Ergebnis der Bundestagswahl, das Fragen aufwirft: In Cornberg erzielte die AfD ihr bestes Resultat in Hessen. Wie gehen Bürger und Politiker damit um? Ein Ortsbesuch.

Ein Ortsschild von Cornberg zeigt bei einer Foto-Montage mit der Spitze auf das Parteilogo der AfD.
Die Gemeinde Cornberg im Kreis Hersfeld-Rotenburg ist die AfD-Hochburg in Hessen. In keiner anderen Kommune in Hessen wählten bei der Bundestagswahl prozentual mehr Menschen die Alternative für Deutschland. Bild © Jörn Perske (hessenschau.de) , Bildcollage hessenschau.de
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Bild © Jörn Perske (hessenschau.de) | zur Audio-Einzelseite
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Die Ergebnisse der Bundestagswahl haben offenbar so manchem in Cornberg (Hersfeld-Rotenburg) die Sprache verschlagen. Darüber mit den Medien reden, möchten zunächst nur wenige Passanten. Die kleine Kommune zwischen Bebra und Eschwege in Nordhessen ist in den Schlagzeilen der Wahl-Nachlese. Denn Cornberg ist die AfD-Hochburg in Hessen. Zum wiederholten Mal.

Die "Alternative für Deutschland" holte in dem Ort am vergangenen Sonntag 35,5 Prozent der Erststimmen und 33,4 Prozent der Zweitstimmen - Spitzenwerte für die Partei. Und diese Zahlen hinterlassen Spuren in der Gemeinde. Wer sich dennoch auf der Straße äußert, nutzt die Gelegenheit oft auch, um Frust loszuwerden.

Neben einer Hessenkarte, in welche die Gemeinde Cornberg mit einem Pin eingezeichnet ist finden sich Werte in zwei Tabellen mit den Überschriften "Erststimmen" und "Zweitstimmen". Die gesamte Grafik ist mit "AfD-Hochburg in Hessen Cornberg (Hersfeld-Rotenburg)" überschrieben.
Bild © hessenschau.de

"Die würden unser Land zerstören"

So wie Sven Fichtner. Der 43-Jährige lebt in Cornberg und ist auch dort geboren. Auf das AfD-Wahlergebnis angesprochen, sagt er: "Ich kann nicht nachvollziehen, wie man eine rechtspopulistische Partei wählen kann. Das ist gefährlich." Er meint: Die wenigsten AfD-Wähler hätten sich ernsthaft mit den Forderungen der Partei befasst. "Die würden unser Land zerstören."

Auch Passantin Gisela Kipshagen ist erschrocken: "Ich begreife das nicht, was in deren Köpfen hier vorgeht. Das bereitet mir große Sorgen."

Wolfgang Ullmann, der ebenfalls auf den Straßen der nur 1.300 Einwohner zählenden Gemeinde unterwegs ist, will nicht pauschal die Rassismus-Keule schwingen und die AfD-Wähler in die rechtsextreme Ecke stellen: "Ich glaube weniger, dass die Menschen hier sonderlich große Vorurteile gegen Ausländer haben."

Cornberg
Gisela Kipshagen ist erschrocken über das AfD-Wahlergebnis in Cornberg. Bild © Jörn Perske (hessenschau.de)

Bürger im Regen

Ullmann beobachtet: "Viele Menschen in Cornberg fühlen sich abgehängt. Die Leute sind unzufrieden." Das sagt auch Gerhard Schenk. Er ist Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Hersfeld-Rotenburg, Landtagsmitglied und Direktkandidat im Wahlkreis, zu dem auch Cornberg gehört. Schenk beschreibt es bildhaft: "Die AfD spricht in erster Linie die Bürger an, die von den aufziehenden dunklen Wolken über unserem Land bedroht sind oder bereits im Regen stehen."

Cornberg
Wolfgang Ullmann sieht eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik als Ursache für das hohe AfD-Wahlergebnis. Bild © Leander Löwe (hessenschau.de)

Und diese Unzufriedenheit spiegelt sich in der Wahlentscheidung wider - trotz der Tatsache, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem eingestuft wird.

Es ist nicht der erste Wahlerfolg der AfD in Cornberg: Schon bei der Europawahl im vergangenen Sommer erzielte die AfD dort mit 30,4 Prozent ein Top-Ergebnis. Sie war die einzige Kommune in Hessen, in der sie stärkste Kraft wurde. Auch bei der Landtagswahl 2023 holte die AfD in Cornberg über 30 Prozent.

Balkendiagramm. Die Grafik ist mit "Entwicklung der Wahlergebnisse Cornberg (Hersfeld-Rotenburg" überschrieben.
Die AfD hat in Cornberg zuletzt hohe Wahlergebnisse erzielt. Bild © hessenschau.de

Bürgermeisterin schweigt weitgehend

Was sagt die Kommunalpolitik zu diesen Entwicklungen? Die parteilose Bürgermeisterin Katja Gonzalez Contreras äußert sich kaum noch dazu. Sie lehnt Anfragen ab und sagt, sie habe den Eindruck, dass ohnehin nur ein negatives Bild von Cornberg in den Medien gezeichnet werde.

Gonzalez Contreras betont jedoch, dass ihre Erklärung für den AfD-Wahlerfolg unverändert bleibe: Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und der allgemeinen Situation. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass Menschen aus rund zwei Dutzend Nationen in Cornberg friedlich zusammenleben.

Wenige Stimmen mit großen Auswirkungen

Doch muss man auch die absoluten Zahlen im Blick behalten: Cornberg ist ein kleiner Ort. 837 Menschen gingen bei der Bundestagswahl zur Wahl. Die AfD gewann mit 275 Stimmen. Die CDU erhielt als zweitstärkste Kraft 190 Stimmen.

Und Cornberg ist kein Einzelphänomen mehr. Die AfD sieht sich mittlerweile als "Volkspartei" und holte bundesweit das zweitbeste Wahlergebnis aller Parteien. In Hessen landete sie hinter CDU und SPD auf Platz drei.

Robert Lambrou, Co-Landessprecher der AfD Hessen, bewertet das Ergebnis so: "Das starke Wahlergebnis ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bürger im Land einen echten Politikwechsel wollen, gerade im Bereich der Migrations-, Wirtschafts- und Energiepolitik."

In 21 Kommunen lag die AfD bei Zweitstimmen vorn

In 21 hessischen Gemeinden erreichte die AfD die meisten Zweitstimmen, wie der Blick auf die Wahlergebnisse zeigt. Besonders stark war sie in Birstein (Main-Kinzig) mit 31,4 Prozent und Hirzenhain (Wetterau) mit 30,2 Prozent. Alles ländlich geprägte Regionen - ähnlich wie Cornberg. An solchen Orten hat die AfD besonders gut abgeschnitten, wie eine der Wahlanalysen des hr ergab.

Der in Cornberg lebende Wolfgang Ullmann nennt konkrete Gründe für das Gefühl der Abgehängtheit in der Gemeinde: kein Bahnhof, wenig Busverkehr, kein Arzt, nur ein "Medibus" zur Gesundheitsversorgung und kaum Einkaufsmöglichkeiten. Die schwache Infrastruktur sei ein großes Problem.

AfD-Politiker Schenk deutet das Ergebnis so: "In Regionen, die wirtschaftlich durch politische Fehlentscheidungen abgehängt werden und eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit aufweisen, wenden sich Bürger zunehmend der AfD zu."

Weitere Themen, die für Frust sorgten, seien die hohen Energiepreise, die Grundsteuerreform und das Heizungsgesetz. Dies alles treffe kleine und mittlere Einkommensbezieher besonders hart.

CDU-Wahlkreisgewinner will Vertrauen gewinnen

Wilhelm Gebhard hat das Direktmandat für die CDU im Wahlkreis gewonnen, der auch Cornberg abdeckt. Er beobachtet, dass sich die Unzufriedenheit der Menschen in der Gemeinde weiter verfestigt habe. "Das ist nicht zufriedenstellend. Aber ich gehöre nicht zu denen, die jetzt mit dem Finger auf die Leute dort zeigen."

Die Menschen in Cornberg seien aufgrund der schlechten Infrastruktur unzufriedener mit ihrer Lebenssituation als andere Menschen im ländlichen Raum. Da habe es dann die AfD leichter, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Er bedauere es, dass das Vertrauen in die etablierten Parteien so deutlich gesunken sei.

Aber Gebhard will kämpfen und versuchen, zur Lösung der Probleme der Menschen beizutragen. "Wir müssen uns um die Wirtschaft und Finanzen kümmern, etwas gegen die Ängste vor dem Jobverlust tun, die Migrationspolitik und Gesundheitsversorgung verbessern."

Vize-Dekan: Nicht alles Rechtsradikale

Michael Zehender, stellvertretender Dekan im Kirchenkreis Hersfeld-Rotenburg, beobachtet den Wahlausgang mit Sorge. Der Frust über die zerbrochene Ampel-Koalition habe die AfD-Wähler an die Wahlurnen getrieben.

"Angst und Unsicherheit treiben die Menschen um. Sie haben das Vertrauen in die Parteien der demokratischen Mitte verloren. Sie glauben nicht, dass diese noch mal das Ruder herumreißen."

Dennoch warnt Zehender davor, alle AfD-Wähler pauschal zu verurteilen. Er glaube nicht, "dass das alles Rechtsradikale sind". Er hofft, dass die Enttäuschten wieder Vertrauen fassen und die Parteien der Mitte besser mit den Bürgern ins Gespräch kommen. "Denn das gesellschaftliche Klima bereitet mir große Sorgen."

Redaktion: Mitarbeit: Leander Löwe, Till Möller

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de