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Schwarz-Grün will Hürden für Kita-Erzieher senken

Vorlesestunde in der Kita. (picture alliance/dpa)

Kindertagesstätten fehlen Erzieherinnen und Erzieher. Mancherorts müssen sogar Kitas schließen und Öffnungszeiten reduziert werden. Die Landesregierung will nun die Anforderungen für Erzieher ändern. Opposition und die Gewerkschaft sprechen von Augenwischerei.

Dass eine Piloten-Ausbildung eine Kita in Bedrängnis bringen kann, das erlebt derzeit der Johanniskindergarten im Frankfurter Stadtteil Bornheim. Weil ein Kollege doch lieber Pilot werden möchte und eine andere Kollegin zudem kündigte, kann die Kita den gesetzlich vorgeschriebenen Betreuungsschlüssel nicht mehr erfüllen und muss ihre Schließzeiten ändern.

Heißt: insgesamt eine Stunde weniger Betreuungszeit am Tag, was für viele Eltern zu einem großen Problem werden kann.

"Der Markt ist leer gefegt"

"Wenn man Vollzeit arbeitet, bräuchte man eigentlich einen Kita-Platz, der mindestens neun Stunden am Tag auf ist", sagt Elke Schulmeyer, eine der Co-Kitaleiterinnen. "Das können wir nicht leisten, das heißt, die Menschen müssen ihre Arbeit reduzieren."

Der Frankfurter Kita fehlen aktuell rund fünf Vollzeitkräfte, auch wegen der besonderen Anforderungen der fünf Inklusionskinder. Seit Monaten versuchen Kita-Leiterin Elke Schulmeyer und ihre Co-Leiterin Verena Schader über alle Kanäle Mitarbeiter zu finden, doch Fehlanzeige. "Der Markt ist leer gefegt", so Schader.

Wünschen sich bessere Rahmenbedingungen für ihre Arbeit: Kitaleiterinnen Verena Schader (links) und Elke Schulmeyer

Regierung will Anforderungen für Erzieher ändern

Der aktuelle Ausnahmezustand in Bornheim ist in vielen hessischen Kitas der Normalzustand. Laut einer Bertelsmann-Studie aus dem Oktober fehlen in Hessen in diesem Jahr rund 10.700 Erzieher. Die Regierungsfraktionen von CDU und Grüne wollen dieses Problem nun angehen.

Sie haben am Montag einen Gesetzentwurf eingebracht, um das Hessische Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch (HKJGB) zu ändern. Im HKJGB ist festgelegt, welche Anforderungen Bewerber erfüllen müssen, um in Kitas als Fachkraft arbeiten oder sogar eine Einrichtung leiten zu dürfen. Diesen so genannten Fachkraftkatalog will Schwarz-Grün jetzt erweitern, mit den folgenden drei Maßnahmen:

  • 1.) Bisher können Personen mit fachfremder Ausbildung schon als Fachkraft in Kitas arbeiten. Ihre Ausbildung muss allerdings ein bestimmtes Niveau haben, genau genommen Stufe 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR). Außerdem müssen sie sich innerhalb von zwei Jahren frühpädagogisch weiterbilden. Künftig soll bereits das Niveau DQR 4 genügen, plus Weiterbildung. Allerdings darf dieses fachfremde Personal nicht unbegrenzt eingesetzt werden. Bislang gilt eine Grenze von 15 Prozent Anteil am Fachpersonal; der Gesetzentwurf will diese Grenze auf 25 Prozent anheben.
  • 2.) Auch Studienabbrecher sollen künftig die Chance bekommen, in Kitas als Fachkraft mitzuarbeiten, sofern sie über ein "pädagogisches Kompetenzprofil" verfügen. Dafür müssen sie "einschlägiges Wissen und einschlägige Praxiserfahrung in mindestens zweijährigem Umfang" nachweisen, so der Plan von Schwarz-Grün. Ob ein Bewerber die Anforderungen erfüllt, entscheidet das Hessische Sozialministerium im Einzelfall.
  • 3.) Das HKJGB regelt ebenfalls, wer eine Kitagruppe oder eine Einrichtung leiten darf. Dazu zählten bislang neben staatlich anerkannten Erzieherinnen zum Beispiel auch Diplom-Sozialpädagogen oder Grundschullehrkräfte. Künftig sollen auch andere Studienabschlüsse gültig sein, allerdings müssen die Bewerber "einschlägiges Wissen" im Bereich Pädagogik erworben haben. Der Gesetzentwurf sieht 95 erworbene Creditpoints als ausreichend an. Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, entscheidet auch hier im Einzelfall das Sozialministerium.

Neues Gesetz soll am 1. August in Kraft treten

Kurzum: Der Gesetzentwurf definiert neu, wer als Fachkraft gilt. Durch die Gesetzesänderung könnten künftig zum Beispiel auch ausgebildete Logopäden oder Ergotherapeutinnen, die zwar schon jetzt in den Kitas arbeiten aber nicht fest angestellt sind, als Fachpersonal zählen. Sie würden dann auch auf den Fachkraft-Kind-Schlüssel in den Kitas angerechnet und, so die Hoffnung, weniger Einrichtungen müssten (übergangsweise) schließen oder die Öffnungszeiten reduzieren.

"Im Dialog mit allen relevanten Akteuren haben wir eine Lösung entwickelt, die kurzfristig greifen kann und langfristig wirkt", sagt Claudia Ravensburg, sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Wenn alles nach Plan läuft, soll das Gesetz am 1. August in Kraft treten.

Das Gesetz führe zu einer verlässlichen Betreuung, sagt auch Kathrin Anders, Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion für frühkindliche Bildung. "Im Moment fehlt Personal an allen Ecken und Enden und wir müssen mehr Personal in die Kitas bringen, damit wir den Rechtsanspruch erfüllen können und damit jedes Kind auch eine Kita besuchen kann", so Anders.

Städte- und Gemeindebund: "Schritt in richtige Richtung"

Da viele Kommunen Träger öffentlicher Kitas sind, war der Hessische Städte- und Gemeindebund (HSGB) in den Prozess zur Gesetzesänderung involviert. Die Maßnahmen seien "ein kleiner Schritt in die richtige Richtung und wird befürwortet", heißt es auf hr-Anfrage.

Es bleibe aber fraglich, ob der Fachkräftemangel damit langfristig gelöst werden könne. Eine qualitativ schlechtere Betreuung befürchtet der HSGB nicht. "Schon während der Corona-Zeit durften Nicht-Fachkräfte mit eingesetzt werden, was sich bewährt hat."

Kritik von der Opposition und Gewerkschaft

Bei der Opposition im Hessischen Landtag stoßen die schwarz-grünen Pläne auf Kritik. "Statt mehr Erzieher auszubilden, werden Fachfremde reingeholt, das ist keine gute Lösung", so Christiane Böhm, Sprecherin für Familien- und Kinderpolitik der Links-Fraktion.

Eine Absenkung der Qualitätsstandards kritisiert auch die AfD. "Die Bezeichnung multiprofessionell ist eine grandiose Wortschöpfung, um mangelnde Kenntnisse im Fachbereich selbst zu kaschieren", so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Volker Richter.

Auch die FDP findet, es werde ein falscher Schwerpunkt gesetzt. "Insbesondere in Anbetracht der wachsenden Herausforderungen muss eine hohe Qualität in der frühkindlichen Bildung sichergestellt werden", so Fraktionschef René Rock.

Kritik kommt auch der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Auf dem Papier hat eine Einrichtung dann mehr Fachkräfte als vorher, an der Situation vor Ort ändert sich aber gar nichts", so GEW Hessen-Vorsitzender Thilo Hartmann. Das sei eine Milchmädchenrechnung.

Kitaleiterinnen wünschen sich bessere Rahmenbedingungen

Auch für die Leiterinnen des Frankfurter Johanniskindergarten, Verena Schader und Elke Schulmeyer, sind noch viele Fragen nicht geklärt. Sie fragen sich: Arbeiten künftig Ergo- oder Logopädische Therapeuten auf Augenhöhe mit den Erzieherinnen und Erziehern? Was dürfen diese Personen mit den Kindern machen? Und wie ist das mit der Bezahlung? "Natürlich ist einer unserer Aufträge die Betreuung, aber nicht nur Betreuung sondern auch Bildung und Begleitung in der Persönlichkeitsentwicklung", so Schader.

Der Entwurf lasse zudem außer Acht lasse, dass der Erzieherberuf nicht so angesehen sei wie andere Berufe. "Es ist auch die Frage, wie man sich mit dem Gehalt eine Wohnung in Frankfurt leisten kann", so Schader.

Von der Landesregierung wünschen sich die Kita-Leiterinnen mehr Unterstützung für bessere Rahmenbedingungen ihrer Arbeit: eine vergütete Ausbildung, bessere Betreuungsschlüssel und kleinere Gruppen - für weniger Konflikte, weniger Stress und für eine Arbeit, die einen nicht krank macht. 

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