Vor Jahren hat der AfD-Politiker Höcke in einem Buch Auskunft über sein rechtsextremes Weltbild gegeben. Nun will Hessens Antisemitismusbeauftragter Becker es als "jugendgefährdend" einstufen lassen. Einen unerwünschten Werbeeffekt befürchtet er nicht.

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Antisemitismusbeauftragter: "Klarmachen, wie das Buch einzuordnen ist"

Portraits Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker (l.) und AfD-Politiker Björn Höcke (r.)
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Im Jahr 2018 kam Björn Höckes Buch "Nie zweimal in denselben Fluss“ auf den Markt. Zu den ersten Lesern gehörte der Bundesverfassungsschutz. In einem Gutachten, das Anfang 2019 bekannt wurde, wird das als Interview angelegte Werk ausführlich herangezogen: als Beleg dafür, dass Höckes damals noch offiziell bestehender AfD-"Flügel" ein Fall für die nachrichtendienstliche Überwachung ist.

Verkauft werden durfte der Band des AfD-Landeschefs und Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag trotzdem all die Zeit uneingeschränkt. Am Donnerstag, mehr als vier Jahre nach dem Erscheinen, befasst sich die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzJk) in Bonn mit der Frage: Sollte der Band nicht wenigstens auf den Index der jugendgefährdenden Medien gesetzt werden?

Das liegt an einem Leser aus Hessen. Uwe Becker (CDU), Antisemitismusbeauftragter der schwarz-grünen Landesregierung, hat das Verfahren mit einem Hinweis in Gang gebracht. Und zwar nach eigenen Angaben bereits nach seiner Erstlektüre im Jahr 2020.

"Ungeist des Neofaschismus"

Als "Ansammlung von Verschwörungstheorien, Antisemitismus und rechtsextremistischem Gedankengut" gehört das Buch nach Meinung Beckers nicht in die Hände junger Menschen. "Dieses Buch atmet vom Anfang bis zum Ende den Ungeist des Neofaschismus aus und trägt zur Vergiftung unseres gesellschaftlichen Klimas bei."

So will es der Antisemitismusbeauftragte am Donnerstag auch in dem Verfahren vor der zuständigen Prüfstelle für jugendgefährdende Medien vortragen. Es läuft dort ähnlich wie vor Gericht: Neben Becker werden Urheber und Inhaber der Nutzungsrechte angehört. Ein Gremium, in dem Vertreter von Jugendhilfe, Kunst, Literatur, Religion oder auch Buchhandel sitzen, entscheidet am Ende.

Pikant an der Auseinandersetzung Beckers mit Höcke: Als Oberstudienrat hat der AfD-Politiker noch eine alte Beziehung zu Hessen. Er blieb formell Beamter des Landes, nachdem er 2014 von einem Gymnasium in Bad Sooden-Allendorf (Werra-Meißner) in die Politik wechselte. Seine Pflichten ruhten von da an, aber das Beamtenrecht schützte ihn vor Maßnahmen trotz rechtsextremer Äußerungen. Die Landesregierung will alles tun, dass Höcke nicht in den Schuldienst zurückkehrt.

Kein vereinfachtes Verfahren

Konkrete Angaben über das Höcke-Verfahren machte die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz auf Anfrage nicht. Auch Höcke selbst will sich im Vorfeld nicht äußern, wie ein Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Erfurt mitteilte. Die AfD in Thüringen wird vom Landesamt für Verfassungsschutz als "erwiesen extremistisch" eingestuft.

Auch ob am Donnerstag eine Entscheidung fällt, ließ die Bundeszentrale offen. Klar ist, dass sie nicht mit einem vereinfachten Verfahren rechnet. In einem solchen Fall hätte das kleinere Dreier-Gremium der Prüfstelle entschieden. Über "Nie zweimal in denselben Fluss“ befindet aber das größere, zwölfköpfige Gremium der Prüfstelle.

Die Angst vor dem Abstieg der weißen Europäer

In dem umstrittenen Gesprächsband spricht Höcke unter anderem über ein "großangelegtes Remigrationsprojekt" für "hier nicht integrierbare Migranten",  bei dem sich "menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden". Der AfD-Politiker, der den immer einflussreicher gewordenen Parteiflügel anführt, predigt Männlichkeit und Härte.

Letztere sei nötig, "wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen". In den USA seien Weiße und Schwarze leider in einer Masse aufgegangen. "Diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren."

Die FAZ sprach im Zusammenhang mit dem Buch von einem "Spiel mit Grausamkeit" und "Abgründen der ethnischen Säuberung", das Wochenmagazin Zeit von "nationalromantischer Bekenntnisliteratur", in der sich Höcke zum "nationalen Erlöser" erhebe. Der AfD-Politiker knüpft in seinen gedruckten Ideen an die Ursprünge des völkischen Denkens an, wie es sich in der Zeit der Romantik als eine radikale Antwort auf die Zumutungen der Moderne verbreitete.

Auch moderne, judenfeindliche Verschwörungstheorien bringt er nach Meinung Beckers bewusst ins Spiel, wenn er von "Hochfinanz" und "Hintermännern" spricht. Hessens Antisemitismusbeauftragten treibt die Sorge an, gerade die suggestive Form des Interviews könne mit solchen Ideen "junge Menschen verstören und sie auf neofaschistische Irrwege führen".

Einordnung contra ungewollter Werbung

Warum es von seinem Hinweis bis zum Indizierungs-Termin zwei Jahre gedauert hat, weiß Becker nicht, wie er dem hr sagte. Die Bundeszentrale ließ die Frage unbeantwortet. Den Einwand, das Buch sei vielleicht kaum in den Regalen von Kindern und Jugendlichen gelandet, weist Becker zurück. Auch den, dass das Buch durch das Verfahren womöglich nur neue, verkaufsfördernde Aufmerksamkeit erhalte.

Die Frage stelle sich zwar immer. "Der wichtigere Schritt ist aber eine Einordnung des Buches für diejenigen, die es in Betracht ziehen", sagte Becker. Deswegen sei es so wichtig, das Buch auf den Index zu stellen.

Folgt die Prüfstelle Beckers Ansicht, werden Verkauf, Verbreitung und Bewerbung von Höckes Buch nach dem Jugendschutzgesetz spürbar eingeschränkt. Es dürfte jungen Menschen weder verkauft noch zugänglich gemacht werden. Der Versandhandel zum Beispiel wäre untersagt. Verlag und Händler müssten Käufer über die Indizierung informieren.

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