Seit wenigen Wochen kann sich das Land mit einer eigenen Raumfahrtstrategie schmücken. Verantwortlich dafür zeichnet Johann-Dietrich Wörner. Im Interview spricht der ehemalige ESA-Generalsekretär über Sinn und Nutzen von "Hessen in Space".

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Hessen hat eine Raumfahrtstrategie

Johann-Dietrich Wörner schaut in dei Kamera, hinter ihm eine Projektion einer Weltkugel im dunkeln All, die sich um seinen Kopf "legt".
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"Hessen in Space" - klingt wie der Titel eines drittklassigen Science-Fiction-Films, doch tatsächlich verbirgt sich dahinter die nagelneue Raumfahrtstrategie des Landes Hessen. Das Papier wurde vor kurzem bei einer eigens anberaumten Kabinettssitzung in den Räumen des Satellitenzentrums Eumetsat in Darmstadt von der Landesregierung verabschiedet.

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sieht darin eine Investition in die "Zukunftsfähigkeit des Landes", Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) glaubt an "bedeutendes wirtschaftliches Potenzial". Was hinter der Strategie steckt und warum Hessen seiner Meinung sie unbedingt braucht, erläutert der Raumfahrtkoordinator des Landes und ehemalige Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur ESA, Johann-Dietrich Wörner.

hessenschau.de: Herr Wörner, warum braucht Hessen eine Raumfahrtstrategie? Sollte sich die Politik nicht lieber mit den irdischen Problemen beschäftigen, statt in die Sterne zu schauen?

Johann-Dietrich Wörner: Es ist ja keine Strategie für den Weltraum, sondern für uns Menschen hier auf der Erde. In der Raumfahrt geht es heute nicht mehr so sehr um Prestige und Pioniere, wie wir es noch aus dem Kalten Krieg kennen. Raumfahrt ist heute Tagesgeschäft und wird von jeder und jedem jeden Tag genutzt.

hessenschau.de: Wo nutze ich denn die Raumfahrt?

Wörner: Auch Sie nutzen sicher regelmäßig irgendein Gerät zur Navigation, die Daten dafür kommen aus dem Weltall. Auch die Wettervorhersage und die Telekommunikation über alle Grenzen hinweg wären ohne Raumfahrt nicht möglich. Zudem kann Raumfahrt etwa Verwaltungen und Behörden bei der Bewältigung von Naturkatastrophen oder Krisen wie etwa dem Klimawandel helfen.

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„Forschung baut in vielen Bereichen auf Raumfahrt auf. Deswegen ist Raumfahrt wichtig für den irdischen Alltag.“
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hessenschau.de: Wie das?

Wörner: Aktuell läuft etwa ein Projekt, um herauszufinden, wie wir dem Borkenkäfer zu Leibe rücken können, der unsere Wälder zerstört. Da spielen Satellitenbeobachtungen eine große Rolle. Oder denken Sie an die Hochwasserkatastrophen der letzten Zeit, etwa im Ahrtal. Da kann die Raumfahrt tatsächlich die Informationen liefern, um auf eine solche Situation vorbereitet zu sein und dann auch ganz gezielt Gegenmaßnahmen einleiten zu können, wie etwa Rückhaltebecken zu öffnen oder betroffene Regionen zu evakuieren.

Überhaupt baut Forschung in vielen Bereichen, auch in der Medizin, auf Raumfahrt auf. Deswegen ist Raumfahrt wichtig für unseren irdischen Alltag.

hessenschau.de: Aber all das, was Sie nennen, gibt es ja bereits. Deswegen noch einmal die Frage: Warum brauchen wir auch noch eine hessische Raumfahrtstrategie?

Wörner: Sie haben Recht, das alles gibt es schon. Dennoch ist es sinnvoll, diese Dinge auch auf politischer Ebene zu koordinieren. Wir haben Hessen im Vorfeld in alle Himmelrichtungen durchkämmt und geschaut, was für Raumfahrtaktivitäten vorhanden sind - und es sind einige. In erster Linie sind da natürlich die großen Organisationen, wie etwa die Wettersatellitenorganisation Eumetsat, das Kontrollzentrum Esoc in Darmstadt oder die Deutsche Flugsicherung in Langen. Aber auch viele kleine oder mittelständische Unternehmen tragen mit ihrer Arbeit und ihren Produkten zur Raumfahrt bei.  

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Zur Person

Johann-Dietrich Wörner ist 1954 in Kassel geboren und studierte später Bauingenieurswesen in Berlin und an der TU Darmstadt. Von 1990 bis 1995 lehrte und forschte er dort als Professor, 1995 wurde er zum Präsidenten der Universität, damals noch Technische Hochschule, gewählt.
Von 2007 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), bevor er Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur ESA wurde. Seit 1. August 2021 ist Wörner der erste Raumfahrtkoordinator des Landes Hessen.

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hessenschau.de: Und worin genau besteht jetzt die Aufgabe des Landes?

Wörner: Damit die Bürgerinnen und Bürger auch merken, welche Potenziale wir hier in Hessen haben, müssen wir die Dinge zusammenführen. Wir wollen dazu die verschiedenen Parteien, seien es private oder öffentliche, an einen Tisch bringen, damit sie im besten Fall voneinander lernen und profitieren können. Die Landesregierung kann hierbei unterstützen, indem sie solche Prozesse anstößt und strukturiert, etwa durch Cluster- und Netzwerkinitiativen, die wir auch für die hessische Raumfahrt anstreben.

hessenschau.de: Inwiefern kann das Land davon profitieren?

Wörner: Wir wollen Synergien schaffen, Akteure vernetzen und vor allem die Sichtbarkeit steigern. Natürlich wollen wir das Potenzial, das im hessischen Raumfahrt-Netzwerk steckt, dann auch politisch nutzen.

Wir haben uns deswegen mit allen Ministerien zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, wie in Zukunft die Raumfahrt noch besser zum Wohle der Menschen in Hessen eingesetzt werden kann - etwa im Bereich der Landwirtschaft, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch Arbeitsplätze können so geschaffen werden.

hessenschau.de: In ihrer Strategie geizen Sie nicht mit Ausdrücken wie Innovation, Digitalisierung, Synergie oder Wertschöpfungskette. Allesamt schmückende Begriffe, die aber sehr unkonkret sind. Werden Sie doch mal etwas konkreter, bitte.

Wörner: Eine Strategie ist ja kein konkretes Programm. Sie soll erst einmal die Ziele festlegen. Dann werden wir gemeinsam mit den einzelnen Akteuren, anderen Bundesländern und auch der Bundesregierung überlegen, wie wir diese Dinge entweder auf Landesebene, national oder auch im europäischen Rahmen über die ESA oder die EU weiter voranbringen.

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„Ich bin nicht der Auffassung, dass es hilfreich wäre, wenn Hessen eigene Weltraum-Missionen durchführt.“
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hessenschau.de: Das Strategie-Papier heißt "Hessen in Space". Der Name erzeugt bei mir Bilder von Astronauten und Satelliten, auf deren Helmen und Hüllen der hessische Löwe prangt. Das haben Sie aber offenbar nicht gemeint. Oder doch?

Wörner: Nein, das ist nicht geplant. Ich bin auch nicht der Auffassung, dass es hilfreich wäre, wenn Hessen eigene Weltraum-Missionen durchführt. Meine Auffassung ist, dass der Staat sich zunehmend aus diesen Bereichen zurückziehen sollte. Die Luftfahrt etwa braucht auch keine Luftfahrtagentur mehr für den täglichen Betrieb. Zudem haben wir in Deutschland ja bereits Institutionen, wie etwa das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt oder auf europäischer Ebene die ESA und die EU.

hessenschau.de: Das ist viel Theorie. Gibt es wirklich noch keine praktischen Vorhaben, die Sie angehen möchten?

Wörner: Wir wollen im Rahmen der Strategie auf jeden Fall in Schulen präsent sein. Dort wollen wir den Kindern und Jugendlichen die Raumfahrt näher bringen und sie dafür begeistern.

hessenschau.de: Und die Raumfahrer von morgen rekrutieren?

Wörner: Es geht dabei nicht darum, aus Schülerinnen und Schülern Raumfahrtingenieure oder Astronauten zu machen. Aber wir wissen, dass Raumfahrt Menschen fasziniert, und Faszination ist etwas, das man an Schulen hervorragend vermitteln kann. Wenn etwa ein Matthias Maurer von der ISS zurückkehrt und auf der Erde landet, dann ist das ein faszinierender Moment.

Wenn junge Menschen fasziniert sind, dann sind sie meist auch inspiriert, und aus Inspiration erwächst dann Motivation. Motivation zum Lernen, aber auch zur Verwirklichung eigener Träume. Deswegen sind Schulen und auch Hochschulen für uns ein wichtiger Adressat.

hessenschau.de: Was wird das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kosten?

Wörner: Es gibt kein festes Budget. Es soll auch nicht nach dem Prinzip ablaufen, dass ich sage: "Hey, hier ist ein Budget, meldet euch mal alle!" Das wäre Raumfahrt von gestern und nicht von heute. In erster Linie wollen wir ja nur die verschiedenen Akteure zusammenbringen. Sollten in einzelnen Fällen dann doch Unterstützungsmittel nötig sein, dann werde ich diese bei der Landesregierung beantragen.

Das Gespräch führte Julian Moering.

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