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Wahlkreisreform sorgt für Ärger im Main-Kinzig-Kreis

hs

In manchen hessischen Wahlkreisen wohnen mittlerweile viel weniger Wähler als in anderen. Das darf laut Verfassung nicht sein. Deshalb hat der Landtag eine Reform beschlossen, die vermutlich nicht die letzte bleiben wird.

In Hessen werden angesichts der Bevölkerungsentwicklung einige Landtagswahlkreise neu zugeschnitten. Der Landtag in Wiesbaden hat am späten Donnerstagabend einen entsprechenden Gesetzentwurf mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierungskoalition und der oppositionellen FDP verabschiedet. Sie hatten den Entwurf auch gemeinsam eingebracht.

Bei der voraussichtlich im Herbst 2023 stattfindenden Landtagswahl werden die Änderungen greifen. Zahlreiche Gemeinden werden den jeweiligen Nachbarwahlkreisen zugeordnet. Es bleibt aber bei der Zahl von 55 Landtagswahlkreisen in Hessen und ihrer bisherigen regionalen Zuordnung.

"Das ist eine kleine Anpassung bei weitgehender Beibehaltung der Wahlkreisgrenzen", lobte Grünen-Abgeordnete Eva Goldbach die Regelung. "So wenig wie möglich, so viel wie nötig" – das war nach Angaben von Christian Heinz, rechtspolitischer Sprecher der CDU, auch die Maxime bei der Änderung. Man habe es nicht allen kommunalen Interessen recht machen können, weil das Interesse des ganzen Bundeslandes ausschlaggebend gewesen sei.

Verfahren dauerte Jahre

Es habe für die Reform auch andere, rechtskonforme Modelle gegeben. Die Gegenvorschläge unterschlügen aber, dass diese nur über Verschiebungen gehe: Was einem Wahlkreis zugeschlagen werde, müsse anderswo weggenommen werden.

Wenn Heinz von einem "sehr, sehr guten Ende eines sehr, sehr langen Prozesses" sprach, meinte er ein rund zwei Jahre dauerndes Verfahren. Noch vor dem Beginn der Corona-Pandemie hatte eine Wahlkreiskommission ihre Arbeit aufgenommen. Ihr gehörten neben Politikern auch die Spitzen des Verwaltungsgerichtshofs und des Statistischen Landesamtes sowie der Landeswahlleiter an.

Änderung war rechtlich notwendig

Hintergrund: Die Bevölkerungszahl in drei nord-osthessischen Landtagswahlkreisen weicht um mehr als 25 Prozent von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise ab: Sie sind nach der Zahl der Wähler zu klein geworden. Bliebe es so, verletzte das den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl: Jede Wählerstimme muss in etwa das gleiche Gewicht haben.

Der Staatsgerichtshof hatte deshalb geurteilt, die Wahlkreise müssten angepasst werden. Die Abgeordneten des Landtags werden zur Hälfte in den 55 hessischen Wahlkreisen über Direktmandate gewählt, zur anderen Hälfte über Landeslisten.

Getragen wurde die beschlossene Reform auch von der FDP, obwohl die Fraktion eigentlich ganz andere Vorstellung hatte. Sie war schon einmal mit einem Anlauf gescheitert, die Zahl der Wahlkreise von 55 auf nur noch 45 zu verringern. Das sollte dem Ziel dienen, den auf derzeit 137 Sitze stark angewachsenen Landtag wieder auf die einstige Größe von 110 Sitzen zu bringen.

FDP stimmt zu, SPD und Linke enthalten sich

Nun sagte ihr rechtspolitischer Sprecher Jörg-Uwe Hahn: Es sei schnell klar geworden, dass mit Schwarz-Grün eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise nicht zu machen sei. Aber: "Für uns ist das oberste Kriterium Rechtssicherheit. Und dieses Gesetz ist verfassungsgemäß."

Die SPD machte vor allem wegen der Regelung für Kassel nicht mit. "Es hätte vernünftigere Lösungen gegeben", sagte ihr Fraktionschef Günter Rudolph. Er fügte aber hinzu: Die getroffene Regelung sei verfassungskonform und werde für die Parteien nicht wahlentscheidend sein. Die Linke stimmte ebenfalls nicht zu und enthielt sich: Ihr sind auch im Reformmodell die Abweichungen von der Durchschnittsgröße in einigen Wahlkreisen noch zu stark, wie ihr Abgeordneter Hermann Schaus sagte.

AfD gibt Gesetz eine "Vier minus"

Als einzige kategorische Gegnerin der neuen Regelung hatte die AfD einen Alternativvorschlag vorgelegt – und blitzte ab. In Schulnoten habe das neue Gesetz allenfalls eine Vier minus verdient und lande damit "fast unter dem Strich", sagte ihr Abgeordneter Klaus Gagel. Die Kritik von Bürgermeistern, Landräten und Kommunalparlamenten sei ignoriert worden. Und noch immer seien einige Abweichungen im Vergleich der Wahlkreise zu stark.

Wegen der demographischen Entwicklung – Zuwachs in Ballungsregionen bei gleichzeitiger Landflucht – prognostizierten mehrere Redner: Diese Reform werde vermutlich nicht lange ausreichen, um verfassungskonforme Wahlen zu garantieren. Grünen-Politikerin Goldbach war nicht so sicher: Es deute sich ein gegenläufiger Trend an - im lange stark von Bevölkerungsrückgang betroffenen Vogelsberg etwa.

Main-Kinzig-Kreis wollte mehr Veränderung

Main-Kinzig-Landrat Thorsten Stolz (SPD) hatte im Vorfeld vergeblich gefordert, schon jetzt mehr Veränderungen zu wagen - in Form eines zusätzlichen Wahlkreises für seinen Landkreis. "Wir machen aus drei Landtagswahlkreisen insgesamt vier", lautete der Vorschlag, den Stolz vor der Abstimmung im hr wiederholte. Das sei wegen des anhaltenden Bevölkerungszuwachses in seiner Region gerechtfertigt und nötig. In ihrem abgelehnten Entwurf griff die AfD das auf.

Gleichzeitig wäre es bei der Schaffung eines weiteren Main-Kinzig-Wahlkreises aber bei der Vorgabe von landesweit 55 Wahlkreisen geblieben, wie der Verfassungsrechtler Martin Will von der EBS Universität Wiesbaden betont. Man könne eben nicht einfach einen Wahlkreis dazunehmen, ein anderer müsse dann gestrichen werden. Der Professor weiter: "Das ist das eigentliche Problem: Welcher Wahlkreis sollte dann aufgehoben werden?"

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