Christine Lambrecht (l.) und Nancy Faeser am Kabinettstisch.

Berlin oder doch wieder Wiesbaden? Ob Bundesinnenministerin Faeser Spitzenkandidatin bei der Hessen-Wahl 2023 wird, wollte die Partei in der Schwebe halten. Nun hat die zweite hessische SPD-Frau im Ampel-Kabinett die Erklärungsnot verschärft.

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Nancy Faeser weist Wechselgerüchte zurück

hessenschau vom 23.05.2022
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Hat sich Nancy Faeser gerade unwiderruflich festgelegt: Will die SPD-Landeschefin tatsächlich als Bundesinnenministerin bis zum Ende der Legislaturperiode in Berlin bleiben? Wird sie also bei der Landtagswahl 2023 doch nicht antreten, um Hessens erste Ministerpräsidentin werden? Sie, die große Hoffnung nach mehr als zwei Jahrzehnten CDU-Herrschaft? Am Montag herrschte Klarheit.

Allerdings, genau genommen, lediglich beim Landesverband der Grünen. Sie regieren in Hessen mit der CDU und haben wie auch Christdemokraten und SPD selbst ein Auge auf dem Ministerpräsidentenposten geworfen. "Faeser legt sich fest: Sie will nicht als hessische Ministerpräsidentin kandidieren“ - so legten die Grünen genüsslich aus, was die 51 Jahre alte SPD-Politikerin in einem Interview der Bild am Sonntag gesagt hatte.

Deutlicher als je zuvor schien Faeser in dem Interview Spekulationen zurückzuweisen, sie plane bald wieder ihren Ausstieg aus der Bundespolitik, um in Hessen Spitzenkandidatin zu werden. "Ich habe das nicht vor“, sagte sie zu einem Weggang aus Berlin. Und Faeser fügte hinzu: Als Sportministerin, die sie auch ist, freue sie sich schon auf einen Höhepunkt im Jahr 2024: die Fußball-EM in Deutschland.

"Auf geht's, Nancy"

Pläne und Vorhaben kann man allerdings ändern. Am Montag bei einem Besuch im Wiesbadener Bundeskriminalamt musste Faeser erneut Wechselgerüchte zurückweisen, klang aber schon wieder unverbindlicher. "Ich bin mit voller Kraft Innenministerin", beteuerte die SPD-Politikerin unter anderem. Aus der Landespartei kam auch kein klares "Sie-wird-doch-nicht-unsere-Spitzenkandidatin". Es hieß lediglich: Die Vorsitzende habe alles gesagt. Am bisherigen Zeitplan soll sich nichts ändern, über die Spitzenkandidatur also in ein paar Monaten entschieden werden.

Dabei ist es erst gut zwei Wochen her, dass Faeser auf dem Landesparteitag in Marburg mit 94,3 Prozent als Chefin der Hessen-SPD wiedergewählt worden ist. Unter Jubelrufen ("Auf geht’s, Nancy!") sagte sie dort: "Mein Herz ist in Hessen!" Das war für alle, die dabei waren, das Signal: Diese Frau greift nach der Spitzenkandidatur. Der damit verbundene Verdacht, mit gewachsener Bekanntheit als Ministerin Schwung für den Absprung in die hessische Staatskanzlei holen zu wollen: Für Faeser ist er nicht neu.

In große Erklärungsnot hat sie aber erst das aktuellste Interview einer Parteifreundin und Kabinettskollegin gebracht. "Ich setze darauf, dass Nancy Faeser im nächsten Jahr nicht nur Spitzenkandidatin der SPD in Hessen wird, sondern auch erste Ministerpräsidentin in Hessen", sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht gegenüber t-online.

Abgesprochen war offenbar nicht, was die 56-Jährige aus Viernheim (Bergstraße) da sagte. Und es hat eine Faeser-Debatte losgetreten - nach der schon wochenlang andauernden Lambrecht-Debatte.

Die Verteidigungsministerin ist laut ZDF-Politbarometer aktuell besonders unbeliebte Ministerin im Kabinett Scholz - und sie gilt als angezählt. Die Affäre um einen Helikopterflug ihres Sohnes ist nur ein Grund. Sie steht unter anderem wegen stockender Waffenlieferungen unter Druck. Gegenüber Journalisten des Spiegel stachen Gegner aus Ministerium und Truppe gerade erst vermeintliche Belege für skandalöse Lustlosigkeit und Unwissenheit Lambrechts im Amt durch. "Null-Bock-Ministerin" hieß es danach.

Pikant: Lambrecht hatte ursprünglich das Innenressort angestrebt. Das erhielt dann mit Faeser die andere SPD-Frau aus Hessen im Kabinett.

Ausnahme von der Ärgere-Dich-Nicht-Regel?

Wegen unterstellter hessischer Ambitionen musste sich Faeser schon zuvor den Vorwurf gefallen lassen, "Ministerin auf Abruf" zu sein. Aber nur vereinzelt. Nun schlägt die Kritik durch - ausgelöst von einer Parteikollegin, die selbst von Kritikern als "Selbstverteidigungsministerin" verspottet wird.

Auf die Frage, wie sehr sie sich deshalb über Lambrecht ärgere, sagte Faeser am Montag in Wiesbaden: "Ich ärgere mich in der Regel nie über Kolleginnen und Kollegen." Ob Lambrecht, wie manche vermuten, eine Ausnahme von der Regel ist: Das blieb damit offen.

Tatsächlich ist die Empörung im Faeser-Lager enorm, auch wenn sie aus Parteiräson nicht öffentlich artikuliert wird. Lambrecht habe doch nun wirklich mit ihrem Amt genug zu tun, sagte ein Genosse in Wiesbaden. "Zu allem anderen sollte sie da besser schweigen."

Kein bisschen Applaus

Lambrecht war vor ihrer Berufung zur Justizministerin im Jahr 2019 in der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an führenden Stellen in der Hessen-SPD aktiv: ein Jahrzehnt lang als Vize-Vorsitzende des Bezirks Hessen-Süd und ebenso lang im Landesvorstand.

Mehr als 20 Jahre lang, bis 2021, war sie Bundestagsabgeordnete. Anfangs gelang ihr das zweimal mit Direktmandat für den Wahlkreis Bergstraße, die letzten vier Male über die hessische SPD-Landesliste.

Dass die 56-Jährige trotz dieser Laufbahn im Gegensatz zur unangefochtenen Landeschefin Faeser nicht mehr viel Rückhalt in der Hessen-SPD hat, sagt keiner laut. Muss auch niemand. Akustisch wurde das zuletzt beim Parteitag Anfang Mai auf andere Art offenkundig: Als Kanzler Scholz die angeschlagene Ministerin in einer Video-Botschaft für "großartige Arbeit" lobte, verweigerten die versammelten Mitglieder selbst den üblichen Höflichkeitsapplaus.

Geschlossenheit gehört eigentlich seit einigen Jahren zum Markenkern der Hessen-SPD. Im vertraulichen Gespräch wird über Lambrecht aber gerne einmal kurz geätzt. Tenor: Die Verteidigungsministerin sei alles andere als eine solidarische Genossin, eher eine politische Ich-AG.

Noch weniger Restsympathie

Weitgehend verscherzt hat sich Lambrecht noch vorhandene Rest-Sympathien mit ihrer Rolle rückwärts nach der Bundestagswahl 2021. Mitten im Umfragetief der SPD ein Jahr zuvor hatte sie erklärt, nach der Wahl aus der Politik aussteigen zu wollen. Als ein Scholz-Erfolg plötzlich in Reichweite rückte, brannte sie nach eigenen Angaben wieder für den Job - und wurde Bundesverteidigungsministerin.

Beim Verteilen der Kabinettsposten ging dann manch anderer leer aus. Michael Roth zählt dazu, Ex-Staatsminister im Auswärtigen Amt aus Heringen (Werra-Meißner).

"Das hat hier keiner vergessen", heißt es aus der Landespartei zu Lambrechts Wendemanöver in eigener Sache. Mit der schlagzeilenträchtigen Prognose über Faesers Zukunft ist für die Hessen-SPD nun eine weitere unvergessliche Erinnerung dazugekommen.