Politische Aufarbeitung der rassistischen Morde Darum geht es jetzt im Hanau-Untersuchungsausschuss

Fast zwei Jahre liegen die neun rassistischen Morde von Hanau zurück, nun tagt der Untersuchungsausschuss des Landtags zum ersten Mal nicht mehr geheim. Um was es geht, was zu erwarten ist - und was nicht.
Begleitet von einer Mahnwache sind im Landtag in Wiesbaden am Freitag die Mitglieder des Hanau-Untersuchungsausschusses zusammengekommen. Erstmals sind Zeugen geladen, dürfen Beobachter dabei sein. Ein 43 Jahre alter Mann hatte am 19. Februar 2020 in der Stadt neun Menschen erschossen, danach vermutlich seine Mutter und dann sich selbst.
Über seine Motive haben die Ermittler keinen Zweifel: Der paranoide Täter hatte ein laut Bundeskriminalamt "eindeutig rassistisches Weltbild", er hinterließ ein Manifest mit Vernichtungsphantasien. Im Ausschuss, der Mitte Juli mit der Arbeit begann, geht es vor allem um die sicherheitspolitische Dimension des Falls.
Wen die Parlamentarier jetzt anhören
Experten, Einsatzleiter, Innenminister Peter Beuth (CDU) selbst - sie werden später geladen. Am Anfang kommen ganz bewusst Angehörige der Ermordeten zu Wort. Das beruht auf dem Wunsch der Opferfamilien selbst. Als Erste hat Vaska Zladeva das Wort, eine Cousine des getöteten Kaloyan Velkov. "Ich hoffe, bald kommt alles raus", sagte sie dem hr über ihre Erwartungen. Nach ihr treten am Freitag ein Bruder und die Verlobte des getöteten Fatih Saraçoğlu vor die Abgeordneten.
Was von den Aussagen der Angehörigen zu erwarten ist
Es sind eigentlich die Angehörigen, die Fragen an die Politik haben. Formell sind sie aber die Befragten. In der "Initiative 19. Februar Hanau" haben sie sich vorbereitet. Empörung über Polizei und Innenministerium äußern sie seit Monaten. Ob die Aussagen neue Aspekte offenbaren, bleibt abzuwarten. In jedem Fall werden die Politiker unmittelbar mit den leidvollen Erfahrungen der Hinterbliebenen konfrontiert. Diese erwarten nach eigenen Angaben Aufklärung, Unterstützung - und auch personelle Konsequenzen für eine "Kette des Versagens". Mehr als eine Ermittlung infolge der Vorwürfe hat die Staatsanwaltschaft allerdings eingestellt oder von vornherein abgelehnt.
Welchen Dingen der Ausschuss auf den Grund gehen soll
Zehn kritische Fragen stehen im Antrag zur Einsetzung des Ausschusses von SPD, FDP und Linkspartei. Haben Landesregierung und Sicherheitsbehörden Fehler gemacht? Darum dreht sich alles.
- Hätte der Anschlag verhindert werden können? Der Täter war schon vor den Morden auffällig, nicht zuletzt durch paranoide Strafanzeigen, die er sogar an die Bundesanwaltschaft richtete. Seine rassistische Internetseite ging Tage vor den Morden online. Aufs Radar der Sicherheitsbehörden geriet er nicht, besaß sogar einen Waffenschein.
- Welche Pannen unterliefen beim Einsatz? Beim technisch veralteten 110-Notruf in Hanau kamen viele der gleichzeitigen Anrufer nicht durch - wie sich später herausstellte auch nicht Vili Viorel Păun, der den Attentäter verfolgt haben dürfte und erschossen wurde. Angehörige bemängeln, dass medizinische Hilfe zu spät gekommen sei. Der Notausgang des Tatorts Arena-Bar war verschlossen: Wussten Behörden, dass dies so üblich war? Untersucht wird auch, warum die Polizei erst spät das Elternhaus des Attentäters stürmte, in dem er offenbar seine Mutter und dann sich selbst erschoss.
- Zu welchen Versäumnissen kam es nach dem Anschlag? Über den Umgang mit den Hinterbliebenen und sogar den Toten gibt es viele Klagen. Eine Familie habe sich die Todesnachricht am Folgetag selbst auf der Polizeistation abholen müssen, eine andere sei im Auto sitzend von SEK-Beamten mit Sturmgewehren bedroht worden. Obduktionen seien würdelos und ohne Wissen der Verwandten durchgezogen worden.
- Unternimmt das Land zu wenig gegen Rassismus und rechten Terror? Diesen grundsätzliche Vorwurf machen Kritiker aus den Reihen der Opposition der Regierung seit dem Kasseler NSU-Mord an Halit Yozgat. Auch die "Initiative 19. Februar Hanau" erhebt ihn. Das gilt auch für die Kritik, Innenminister Beuth trage zu wenig zur Aufklärung bei, vertusche sogar.
Wer den Hanau-Ausschuss wollte …
Der Initiative von SPD, FDP und Linke im Landtag schloss sich auch die schwarz-grüne Koalition an. Die CDU nimmt ihren Innenminister aber in Schutz, kann keine politische Fehler entdecken. Dass nun die öffentliche Aufklärung endlich beginne, liegt laut der Linken-Abgeordneten Saadet Sönmez aber vor allem am "beharrlichen Engagement" der Angehörigen der Opfer und Überlebenden sowie ihrer Unterstützer.
… und wer ihn nicht wollte
Die AfD. Sie stimmte als einzige Fraktion dagegen, sprach von "parteipolitisch motiviertem Linkspopulismus". Die Tat eines psychisch Kranken werde missbraucht, um "Polizei und Ordnungsbehörden im Nachhinein in Misskredit zu bringen".
Wie der Ausschuss arbeitet
Zusammengesetzt ist das Gremium wie der Landtag. Die CDU stellt fünf Mitglieder, Grüne und SPD drei und die AfD zwei. FDP und Linke haben je einen Vertreter. Weil das noch junge hessische Untersuchungsausschuss-Gesetz ausdrücklich Rotation zwischen den Lagern vorsieht, wurde mit Marius Weiß (SPD) erstmals seit 40 Jahren ein Oppositionspolitiker U-Ausschuss-Vorsitzender. Am Anfang stand der Untersuchungsauftrag, am Ende folgt in der Regel ein Schlussbericht. Über ihn wird häufig keine Einigkeit erzielt. So dürfte es auch diesmal ausgehen.

Wie häufig Untersuchungsausschüsse sind …
Der Hanau-Ausschuss ist der 40. hessische Untersuchungsausschuss seit dem ersten im Jahr 1949. Ob die Sprengung der JVA Weiterstadt durch linksextreme RAF-Terroristen, der CDU-Spendenskandal oder die vergleichsweise skurrile Affäre um die private Nutzung eines Dienstpferdes durch einen Polizeipräsidenten: Nie zuvor ging es um eine so furchtbare Tat mit so vielen Opfern wie in Hanau.
… und wie oft rechtsextreme Gewalt eine Rolle spielte
Immer öfter. In den drei jüngsten U-Ausschüssen ging oder geht es um rassistisch-rechtsextremistisch motivierte Morde: im 2019 abgeschlossenen NSU-Ausschuss, im aktuell laufenden Lübcke-Ausschuss und eben im Hanau-Ausschuss. Vorher muss man bis ins Jahre 1968/69 zurückblicken, als der paramilitärische "Ordnungsdienst" der damals im Landtag vertretenen rechtsextremen NPD in mehreren Städten Hessens gewaltsam auf Gegner losging.
Wie es weiter geht
Zum Beginn im Sommer äußerte der Ausschussvorsitzende Weiß die Hoffnung, Ende 2022 könne die Arbeit abgeschlossen sein. Das hängt unter anderem vom Verlauf der Corona-Pandemie ab - aber vor allem davon, wie einig sich Opposition und Regierungsfraktionen zumindest in Verfahrensfragen bleiben. Zunächst einmal werden in den folgenden Sitzungen am 17. und 20. Dezember sowie am 21. Januar jeweils drei Angehörige von weiteren Opfern gehört.
Und warum atmosphärische Störungen drohen
Bislang arbeitete der Hanau-Ausschuss hinter verschlossenen Türen auffallend friedlich, wie man hört. Wenn die Angehörigen der Opfer von Hanau erscheinen, sollte sich das erst recht nicht ändern. Das schließt nicht aus, dass es einmal härter zwischen dem Regierungslager und seinen Gegnern zur Sache geht. Im Gegenteil, wie sich gerade bei einem Eklat im Lübcke-Ausschuss gezeigt hat. Schließlich wollen die Gegner von Innenminister Beuth ihm schwerwiegendes Versagen nachweisen. Und 2023 wird in Hessen der Landtag neu gewählt.
Die Opfer des rassistischen Anschlags
Diese neun Menschen wurden vor fast zwei Jahren in Hanau erschossen: Gökhan Gültekin (37), Sedat Gürbüz (29), Said Nesar Hashemi (21), Mercedes Kierpacz (35), Hamza Kenan Kurtović (22), Vili Viorel Păun (22), Fatih Saraçoğlu (34), Ferhat Unver (23) und Kaloyan Velkov (33). Anschließend soll der Täter auch seine 72 Jahre alte bettlägerige Mutter getötet haben. Mehrere Menschen verletzte der Täter außerdem, manche schwer.
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