Abzeichen mit Schriftzug "Justiz Hessen"

Politisches Nachspiel der Freilassung von sechs mutmaßlich schweren Straftätern in Frankfurt: Die Landtagsopposition weist der Regierung die Verantwortung zu, weil der Justiz schon lange Personal fehle. Dem neuen Minister ist das zu grob geurteilt.

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Diskussionen im Landtag nach Freilassung von Häftlingen

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In der Affäre um sechs aus der U-Haft freigelassene mutmaßliche Straftäter in Frankfurt hat Justizminister Roman Poseck (CDU) heftige Vorwürfe der Opposition gegen die Landesregierung zurückgewiesen. Er sprach am Donnerstag im Landtag in Wiesbaden von einem "ärgerlichen Vorgang". Die eigentlichen Ursachen machte er aber in einer "Gemenge-Lage" und vor allem innerhalb des zuständigen Landgerichts aus.

Den Vorfall machte die SPD im Landtag zum Thema, weil er unerhört sei und das Vertrauen in die Justiz schwer erschüttere: Anfang Juli hatte das Landgericht die sechs Männer aus der Untersuchungshaft entlassen, weil sie zwischen neun Monaten und gut einem Jahr in Untersuchungshaft saßen, ohne dass der Prozess begann.

Konnte die Regierung nichts wissen?

Das Landgericht war nach eigenen Angaben wegen "erheblicher struktureller Überforderung" zur rechtzeitigen Prozesseröffnung nicht in der Lage. Den Beschuldigten wurden schwere Straftaten wie versuchter Totschlag, schwerer Raub und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Laut Justizminister Poseck konnte die Landesregierung aber gar nicht wissen, dass die zuständige Kammer ihre Überlastung schon früher angezeigt hatte.

Mit der Prüfung der beklagten Überlastung sei nämlich zurecht das Präsidium des Gericht befasst gewesen. Es habe die Überlastung schließlich auch bejaht - aber mit einiger Verzögerung. Da war die Entlassung der Häftlinge gerade verfügt worden. Poseck schob nach: Das Landgericht habe zwar nicht zuletzt wegen großer Verfahren sehr viel Arbeit, es habe aber in diesem Jahr auch "gute Unterstützung" des Landes bei Neueinstellungen erfahren. Die Belastung für die Richter sei im Schnitt auch geringer als im hessischen Durchschnitt.

SPD-Fraktionschef: "Das waren keine Falschparker"

SPD-Fraktionschef Günter Rudolph aber befand: Die Landesregierung sei politisch verantwortlich. Denn die Personalnot in der hessischen Justiz sei ihr seit Jahren bekannt. Wegen ihrer Untätigkeit habe es dazu kommen können, dass solche Menschen nun "fröhlichen Mutes aus dem Gefängnistor wieder herausgehen konnten". Und er fügte hinzu: "Die haben ja nicht falsch geparkt."

Warnungen des Richterbunds seien ebenso ignoriert worden wie Initiativen der Opposition. Die Freilassung ist laut Rudolph symptomatisch für den Zustand der Justiz in Hessen. Deren Ansehen und Arbeit leide unter anderem auch unter dem Korruptionsskandal an der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und der überfälligen Einführung der elektronischen Akte.

Linke: "Bekommen es nicht gebacken"

"Sie stehen vor einem Scherbenhaufen ihrer gescheiterten Politik“, sagte SPD-Politiker Rudolph und bekam Unterstützung von den anderen Oppositionsfraktionen. Die Überlastung der Gerichte sei lange bekannt, sagte Ulrich Wilken von der Linken. Angesichts der Unschuldsvermutung seien die Freilassungen unvermeidlich. Man könne Menschen nicht länger festhalten, "bloß weil wir es nicht gebacken bekommen, dass zeitnahe ein Prozess zustande kommt".

Die Überlastung der Justiz sei nur eine von vielen Baustellen, sagte Marion Schardt-Sauer, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Dies habe dazu geführt, "dass Hessens Justiz in der Abstiegszone gelandet ist, obwohl sie einst in vielen Bereichen Spitze war". "Hier kapituliert gerade der Rechtsstaat", meinte der AfD-Abgeordnete Gerhard Schenk. Und er beklagte, vom Minister noch immer keine Auskunft über einen möglichen Migrationshintergrund der Freigelassenen bekommen zu haben.

Reaktion auf Schuldzuweisung

Mit ihrer Schuldzuweisung an die schwarz-grüne Koalition zog die FDP die Kritik der Grünen auf sich. Deren rechtspolitische Sprecherin Hildegard Förster-Heldmann sagt: Bis 2014 seien Stellen abgebaut worden, auch unter Beteiligung eines FDP-Justizministers. Zusätzliche Stellen gebe es erst, seit die Grünen mitregierten.

In der Debatte hielten die Kritiker Justizminister Poseck mehr als einmal ein Zitat vom Januar dieses Jahres vor, als er noch Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt war: "Es wäre eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats, würde es tatsächlich zur Aufhebung von Haftbefehlen wegen Verfahrensverzögerungen kommen", hatte Poseck damals gesagt. Wie er und die CDU sich allerdings nun äußerten, das sei eine Beschönigung und Bagatellisierung, fand SPD-Fraktionschef Rudolph.

Poseck kann nicht zaubern

Poseck fand das zu undifferenziert. Er wies in der Debatte wie der CDU-Rechtsexperte Christian Heinz darauf hin, dass es solche Freilassungen auch in anderen Bundesländer gebe. Heinz erwähnte die drei mutmaßlichen Mörder, die wegen Überlastung der Bremer Justiz freikamen.

Solche Fälle seien auch nicht ganz auszuschließen, sagte der Justizminister. Er werde aber alles tun, damit dies nicht passiere. "Ich kann nicht zaubern", sagte er zu Forderungen nach schnellem zusätzlichem Personal, kündigte jedoch für die kommenden zwei Jahren eine "signifikante Zahl" neuer Stellen ein.

Vor allem bei Staatsanwälten und Richtern soll sich demnach etwas tun, aber auch bei den Serviceeinheiten der Justiz. Nach einer nach der Freilassung bereits erfolgten kurzfristigen Verstärkung des Landgerichts Frankfurt solle dort "vermutlich noch in diesem Monat" eine neue Strafkammer gebildet werden. Ähnlich sei es für Kassel geplant.

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