Kisten stehen auf dem Hof der Firma Maus in Gernsheim, aus dem die keimbelasteten Lebensmittel stammten.

Im Fall der krankmachenden Gurken aus Gernsheim ist sich die gesamte Opposition im Landtag einig: Verbraucherschutzministerin Hinz habe viel zu wenig aus dem Skandal um Wilke-Wurst gelernt. Die Grünen-Politikerin sieht nicht den geringsten Anlass zu Selbstkritik.

Hessischer Landtag, letzte Sitzung der Plenarwoche - und in der Aktuellen Stunde zum Thema "Vom Wurstskandal bis zur Gammelgurke" richtete sich die geballte Kritik der Opposition allein auf Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne). Und das unisono, was nicht so oft vorkommt. Es drehte sich um den Fall des Gemüsebetriebs Maus in Gernsheim (Groß-Gerau).

Nach dem Verzehr von mit gefährlichen Listerien belasteten Gurkenscheiben waren mehrere Menschen erkrankt. Einer starb, laut Klinik waren die vor allem für geschwächte Menschen gefährlichen Keime nicht die Hauptursache.

Auf den dramatischen Vorfall habe die Grünen-Politikerin Hinz "ungeheuerlich" reagiert, befand die FDP nun. Eine "desolate Praxis" bescheinigte die AfD der Ministerin. Die Linksfraktion urteilte: "Das Maß der Verfehlungen ist voll." Und die SPD sprach von Fahrlässigkeit, gab Hinz die "Note 6".

Ministerin: Ab Verantwortung des Landes "alles gut gelaufen"

Die Gescholtene selbst hätte nach eigener Meinung dagegen mindestens eine glatte 2 für ihr Krisenmanagement verdient. "Ab dem Zeitpunkt, an dem das Land die Verantwortung hatte, ist alles gut gelaufen", sagte Hinz.

Sie blieb damit bei ihrer bisherigen Verteidigungsstrategie. Ihre Gegner im Landtag machten klar, dass die Angelegenheit für sie damit nicht erledigt sein wird.

Rattenkot und Schimmel

Strafrechtlich ist die Staatsanwaltschaft auf der Suche nach der Antwort, wer schuld ist. Sie hat vor allem den Betrieb im Visier. Er hatte bis zur Schließung Mitte März auch mehrere Krankenhäuser zur Verpflegung von Patienten mit seinen Produkten versorgte. Als längst Menschen erkrankt waren, fiel auf: Die hygienischen Zustände auf dem Hof waren verheerend - Rattenkot und Schimmel inklusive.

Auch in der Kreisverwaltung in Groß-Gerau laufen Untersuchungen, nachdem Landrat und Gesundheitsdezernent schon schwere Pannen im eigenen Veterinäramt eingeräumt haben. Denn obwohl die Kontrolleure mindestens halbjährlich hätten prüfen müssen, geschah während der Corona-Pandemie zwei Jahre gar nichts.

Und das, obwohl kurz zuvor der Skandal um Wilke Wurst aus Twistetal (Waldeck-Frankenberg) gezeigt hatte: Hygienemängel in Lebensmitteln können tödlich sein. Damals hatten Kontrolleure ekligste Zustände nicht wahrgenommen oder nicht weitergeleitet.

FDP: "Schwarze Schafe können sich sicher fühlen"

Hinz habe aus dem Wilke-Fall nicht ausreichend Lehren gezogen, sagte die FDP-Abgeordnete Wiebke Knell. Die Grüne übernehme auch diesmal keine Verantwortung für "eklatante Misstände" und den landesweiten Ausfall fast jeder zweiten Pflichtkontrolle.

Neben mehr Zuständigkeiten des Landes bei der Überwachung forderte Knell vor allem, eine auf Lebens- und Futtermittel spezialisierte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft zu schaffen. "In Hessen können sich schwarze Schafe zu sicher fühlen", sagte Knell.

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Knut John (SPD): "Es geht doch darum, was im Vorfeld passiert ist"

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Zentralbehörde, Hygiene-Ampel

Das Land führt die Aufsicht, Landkreise und kreisfreien Städte mit ihren Veterinärämtern sind für die Überwachung von Lebensmittelbetrieben verantwortlich. Linken-Politikerin Heidemarie Scheuch-Paschkewitz forderte: Da das offenkundig nicht funktioniere und Ministerin Hinz "das Chaos nicht in den Griff bekommt", müsse eine unabhängige Landesanstalt für Lebensmittelüberwachung mit Außenstellen her. Das habe auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen vorgeschlagen,

Die AfD lehnte ihren Vorschlag an Forderungen der Organisation Foodwatch an. Ihr Abgeordneter Gerhard Schenk plädierte für eine Hygiene-Ampel oder eine Art TÜV-Plakette. Aber auch er äußerte Zweifel, dass Hinz für eine Reform die Richtige sei: "Uns scheint, Sie sind mit der Lösung dieser Problemstellung überfordert."

Zum selben Urteil gelangte der SPD-Abgeordnete Knut John. Die von Hinz nach dem Wilke-Skandal eingerichtete Taskforce habe tatsächlich rasch und gut reagiert. Aber die Fehler seien eben zuvor geschehen, weil es auf mehreren Feldern unprofessionell zugehe.

"Das ist schon ein Stück weit Fahrlässigkeit", sagte John dazu, dass selbst bei Risikobetrieben nur knapp drei von vier vorgeschriebenen Kontrollen auch wirklich stattfänden. "Liefern Sie endlich, das darf nicht noch einmal passieren", forderte er von Hinz.

Liegt die Hauptverantwortung anderswo?

Dass sie längst geliefert habe - das ist ein zentrales Argument der Ministerin. Innerhalb weniger Tage nach Bekanntwerden des Risikos habe ihre Taskforce den Betrieb ausfindig und sogar ohne abschließende Laborbefunde dicht gemacht.

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Priska Hinz (Grüne): "Der Zustand des Betriebs war inakzeptabel"

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Unter anderem seien die Aufsicht über die Veterinärämter strenger, das Personal dieser Aufsicht aufgestockt und verpflichtende Hygieneschulungen vorbereitet worden. Und mit dem viel größeren Ausmaß des Wurst-Skandals, so ihre Experten, sei der Gammelgurken-Fall ohnehin nicht vergleichbar.

Vertreterinnen der schwarz-grünen Koalition sprangen Hinz in der Debatte bei. "Das nicht-ordentliche Arbeiten des Betriebs ist das eigentliche Problem", sagte die Abgeordnete Lena Arnold (CDU). Der SPD-Vorwurf, die Ministerin habe sogar bewusst den Verlust von Menschenleben in Kauf genommen, sei "falsch und unanständig".

Von "falschen Unterstellungen" sprach auch Vanessa Gronemann (Grüne). Auch sie sah die Verantwortung beim Betrieb und dem Landkreis, aber nicht bei ihrer Parteikollegin Hinz.