Uralte Technik, wenig Personal: Ein Staatsanwalt und ein Polizist haben im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Hanau-Attentat bestätigt, wie schlecht der Polizei-Notruf aufgestellt war. Aber schlecht und strafbar sind in dem Fall nicht dasselbe.

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Beamte bestätigen schlechten Notruf in Hanau

Großaufnahme eines Aktenordners auf welchem steht: "#say their names" und "Hanau-Untersuchungsausschuss".
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Sieben Monate lang befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Landtags nun schon öffentlich mit den Fragen: Wären das rassistische Attentat von Hanau und der Tod von neun Menschen mit Migrationshintergrund zu verhindern gewesen? Oder hätten nicht wenigstens einige gerettet werden können, wenn Polizei und staatliche Stellen ihre Sache besser gemacht hätten?

Um die psychische Erkrankung des Täters ging es bereits, um sein völkisches Weltbild und die Tatsache, dass er legal Waffen besitzen durfte. Am Montag drehten sich Aussagen eines früheren Dienstgruppenleiters und eines Staatsanwaltes um den Notruf der Hanauer Polizei.

Was die Beamten sagten, bestätigte Vorwürfe von Opfer-Familien, die auch diesmal auf den Zuschauerplätzen dabei waren: Derart schlecht hätte ein Polizei-Notruf im Jahr 2020 nicht aufgestellt sein müssen. Das Fazit jedoch, dass der Staatsanwalt daraus auch diesmal zog, führte zu verzweifeltem Unverständnis unter den Hinterbliebenen.

Miese Zustände, aber keine Pflichtwidrigkeit

Der Vertreter der Ermittlungs- und Anklagebehörde verteidigte, was schon vor ziemlich genau einem Jahr zu Kritik geführt hatte: dass die Staatsanwaltschaft Hanau nicht gegen die Polizei ermitteln wollte, obwohl der Notruf nur zwei freie Leitungen ohne Umleitung auf eine andere Dienststelle hatte. Und obwohl zeitweise nur eine Beamtin am Apparat saß.

Ein Zyniker sei er nicht, beteuerte der Staatsanwalt, auch wenn ihm das in diesem Fall von Kritikern vorgeworfen werde. Der Mann wandte sich an die Familienangehörigen im Saal, er nannte alle Opfer nacheinander beim Namen, um seine Anteilnahme zu betonen. Aber er wiederholte auch seinen juristischen Befund: Es gebe nun einmal keine Anhaltspunkte für pflichtwidriges Verhalten.

Das Problem der "hypothetischen Kausalität"

Und auch keine Anhaltspunkte dafür, dass mit Vili Viorel Păun eines der Opfer noch leben könnte, wenn der Notruf auf dem Stand der Zeit gewesen wäre. Das aber glaubt Păuns Familie: Der Sohn, der den Täter verfolgte und von ihm erschossen wurde, hatte nachweislich mehrfach beim Notruf angerufen. Aber er kam nicht durch.

Hätte ein Notruf-Polizist den tapferen Mann nicht doch warnen und ihn stoppen können? Der Staatsanwalt bezeichnete dies als "hypothetische Kausalität". Reine Spekulation also. Dagegen stellte er Aktenkundiges: Die Morde seien so "blitzschnell" binnen fünf Minuten an zwei Orten verübt worden, dass ein besserer Notruf kaum geholfen hätte. Zumal die Polizei nach wenigen Minuten am Ort des Geschehens gewesen sei.

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Nach Streit: Generalbundesanwalt schickt Videos

Der Streit zwischen dem Untersuchungsausschuss und dem Generalbundesanwalt um große Mengen an Video-Material ist beigelegt. Zehn Terabyte Videodaten seien frei verfügbar, teilte der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) mit. Karlsruhe habe auch ein Video aus einem Polizeihubschrauber geschickt, es aber als vertraulich eingestuft. Das Video belegt nach Meinung von Kritikern schwere Polizei-Fehler. Dissens gebe es noch wegen bereits vorliegender Akten, die teils geschwärzt seien.

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Umzugsplan verhindert Modernisierung

Gewiss war sich der Staatsanwalt in der Beschreibung der Zustände bei der Polizei: Der Notruf war technisch so veraltet, dass schon jahrelang intern darüber geklagt wurde. Da ein Umzug in ein neues Polizeipräsidium anstand, wurde kein Geld mehr in eine verbesserte Zwischenlösung investiert. Nur, dass sich der Umzug dann um viele Jahre verzögerte.

Die Missstände bestätigte auch der als Zeuge geladene frühere Dienstgruppenleiter. Für den völlig veralteten Notruf-Arbeitsplatz gab es demnach statt eines eigenen Raums nur einen Tisch mitten im Trubel der Wache. Eine Anklopf-Funktion für Anrufer? Fehlanzeige. Dafür mussten die zwei zuständigen Notruf-Beamten auch Anrufe aus dem Umland annehmen.

Unterbesetzt und doch genug

Am Abend des Attentats ließ ein Polizist seine Kollegin notgedrungen auch noch allein, weil er selbst zum Einsatz raus musste. Außer ihr war nun nur noch ein Praktikant da. Damit war der Notruf eigentlich unterbesetzt. Aber auch das ist nach Meinung des Staatsanwalts nicht zu beanstanden, weil Ausnahmezustand herrschte: Hanauer Polizisten mussten nicht nur wegen des Attentats in den Einsatz, sondern auch wegen einer gleichzeitigen Bombenentschärfung in Neu-Isenburg.

Der Dienstgruppenleiter, der selbst in der Mordnacht nicht im Einsatz war, stellte klar: Auch seiner Meinung nach haben sich die Kollegen im Einsatz sehr gut geschlagen, waren ungewöhnlich schnell am Tatort. Außerdem hat die Polizei nach seiner Darstellung um die Mängel sehr wohl gewusst, aber keine Unterstützung erhalten: Schriftliche Bitten um Verstärkung oder Verteilung der Aufgaben auf andere Dienststellen seien abgelehnt worden - aus Kostengründen.