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Hanau-U-Ausschuss: Streit mit Generalbundesanwalt

Bei einer Gedenkfeier nach dem rassistischen Anschlag in Hanau trauern Menschen an der Bar in Hanau-Kesselstadt um die Opfer.

369 Aktenordner und 68 Gigabyte Videos liegen dem Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau schon vor. Aber mit dem Generalbundesanwalt gibt es Streit um weiteres Material. Schon bald treffen beide Seiten persönlich aufeinander.

Wären die Morde von Hanau zu verhindern gewesen, bei denen ein 43-Jähriger neun Menschen aus rassistischen Motiven erschoss? War ein Notausgang dicht, versagte das Notrufsystem? Gab es Pannen beim Einsatz, war der Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen skandalös? Seit einem Jahr geht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag den vielen Fragen nach.

175.000 Blatt Papier in 369 Ordnern liegen den Abgeordneten vor, dazu sieben DvD mit rund 160 Gigabyte Daten – knapp die Hälfte davon als Video. Auch an Zahlen machte der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) am Montag in einer Zwischenbilanz klar: "Das ist kein gewöhnlicher Ausschuss."

Doch so enorm der Umfang des zu sichtenden Materials auch ist: Weiß kämpft nach eigenen Angaben um noch mehr. Das wollen er und die anderen Ausschussmitglieder möglichst am 4. Juli klären. Dann ist Generalbundesanwalt (GBA) Peter Frank als Zeuge geladen.

"Das ärgert uns massiv"

Der Chef der federführenden Ermittlungsbehörde hält dem parlamentarischen Gremium nach dessen Meinung zu viel Material vor. Ohne Einigung könne man die Herausgabe des Materials auch beim Bundesverwaltungsgericht einklagen, sagte der Ausschussvorsitzende Weiß. Er setze aber auf Verständigung: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der GBA Lust hat, sich von uns verklagen zu lassen."

"Erörterungsbedarf" mit dem Generalbundesanwalt gibt es laut Weiß in vier Punkten:

  • Da seien zu viele Schwärzungen in Akten. Die von den Ermittlern geltend gemachten Persönlichkeitsrechte von Opfern akzeptiere man selbstverständlich. Aber sogar die für den Tatablauf wichtigen Todeszeitpunkte seien unleserlich gemacht.
  • Außerdem werde die Vorführung einer Videosequenz im Ausschuss wegen der Einstufung des Materials durch den GBA verhindert.
  • Von zwei Videos wusste der Ausschuss gar nichts. "Das ärgert uns massiv", sagte Weiß. So weist ein aus einem Polizeihubschrauber gedrehtes Wärmebild-Video nach Meinung von Kritikern auf eklatante Einsatzfehler hin. Gezeigt hatte die geleakten Bilder das Investigativ-Projekt Forensic Architecture bei einer Ausstellung des Frankfurter Kunstvereins.
  • Bei der Ausstellung wurden auch Aufnahmen einer Überwachungskamera vom Tatort Arena Bar kurz vor den Morden gezeigt. Auch das Video will der Ausschuss haben.
Rekonstruierter Blick eines Polizeihubschraubers von oben in der Dunkelheit.

Um Transparenz bemüht

Generalbundesanwalt Frank wird am 4. Juli in geheimer Sitzung aussagen, als letzter von sieben geladenen Zeugen an diesem Tag. Bisher wurden 20 Zeugen sowie sechs Sachverständige befragt. Weiß bat um Verständnis, dass sich die Abläufe zum Teil so lange hinziehen. Neben der Vielzahl an Zeugen und Sachverständigen – 105 könnten es am Ende gewesen sein – spielten auch laufende Ermittlungsverfahren eine Rolle.

Wegen der Erwartungen der Angehörigen und der Öffentlichkeit sei der Druck auf den Untersuchungsausschuss enorm. Gerade deshalb bemühe er sich um ein "besonderes Maß an Transparenz", sagte Weiß. Man habe bewusst den Angehörigen großen Raum gegeben. Der Ausschuss hatte sich darauf verständigt, zunächst jeweils eine Person aus dem Umfeld jedes Opfers zu Wort kommen zu lassen. Die Angehörigen sagten in den ersten öffentlichen Sitzungen des Ausschusses aus.

Weiß zeigte sich zuversichtlich, dass die Abgeordneten wie vorgesehen ihre Arbeit noch in der laufenden Legislaturperiode abschließen – möglichst sogar vor der Sommerpause 2023. Im Herbst des kommenden Jahres sind Landtagswahlen in Hessen, im Januar 2024 tritt das neugewählte Parlament zusammen.

CDU: Anschlag war nicht zu verhindern

Die Kritik am Umgang des Generalbundesanwaltes mit den Bedürfnissen des Hanau-Ausschusses ist parteiübergreifend. Und alle wären gerne schon weiter. Es könne und dürfe "zum jetzigen Zeitpunkt noch kein fundiertes Zwischenfazit gezogen werden", warnte Dirk Gaw, der für die AfD im Untersuchungsausschuss sitzt. Das sei erst nach Auswertung aller Fakten möglich, vorschnelles Urteilen beeinflusse zudem die weiteren Zeugen und Experten.

Die CDU wagte sich trotzdem weiter hervor. Zugunsten der schwarz-grünen Landesregierung befand ihr Ausschuss-Obmann Michael Müller: "Schon jetzt steht fest, dass hessische Polizei- und Ermittlungsbehörden diesen schlimmen Anschlag nicht hätten verhindern können." Wo es noch offene Fragen gebe – beim möglicherweise geschlossenen Notausgang am Tatort Arena-Bar und der Waffenbesitzkarte des Täters – sei nicht das Land gefragt, sondern die Stadt und der Landkreis.

Einen erkennbar anderen Akzent setzte der Koalitionspartner. Der Umgang mit den Angehörigen der Opfer sei in der Tatnacht und unmittelbar danach "weder angemessen noch sachgerecht gewesen", hielt Grünen-Obfrau Vanessa Gronemann in ihrer Zwischenbilanz fest. Dass es zu solchen "gravierenden Fehlern" nicht noch einmal kommt, wollen die Grünen "mit Nachdruck" verfolgen.

SPD spricht von "Fehlerkette"

Nach Meinung von SPD-Obfrau Heike Hofmann hat sich eine ganze "Fehlerkette" offenbart. Sie machte eine "Überforderung von Einsatzkräften und Behörden aus, ausgelöst von Personalmangel. Unter anderem der Umgang mit Opfern, Überlebenden und Angehörigen müsse besser, das Waffenrecht verschärft und die Zusammenarbeit von Behörden ausgebaut werden.

Dass der Umgang der Behörden mit dem Anschlag "von gravierenden Mängel geprägt war", ist nach Meinung von Linken-Obfrau Saadet Sönmez längst klar geworden. Und was im Ausschuss an Aufklärung geleistet wurde, sei überwiegend den Überlebenden und ihren Angehörigen sowie zivilgesellschaftlichem Engagement wie dem der "Initiative 19. Februar" zu verdanken.

Zurückhaltender äußerte sich die FDP. "Ein Behördenversagen ist bislang nicht zu erkennen", sagte ihr Obmann Jörg-Uwe Hahn. Der Verfassungsschutz müsse besser aufgestellt werden, um Gewaltankündigungen von Rechtsextremisten im Internet zu entdecken. Insgesamt stehe die vertiefte Sacharbeit im Ausschuss aber erst am Anfang.

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