Portrait Tarek Al-Wazir

"So eine Situation gab es noch nie": In der Gaskrise ruft Hessens Wirtschaftsminister allgemein zum Energiesparen auf. Al-Wazir rechnet damit, dass ein ökologisch bedenkliches Auslaufmodell in die Verlängerung gehen muss.

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Alle sollen noch mehr Gas einsparen

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Zurzeit sei noch genug Gas für alle da, versicherte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), als er sich am Donnerstag zur Versorgungslage in Hessen äußerte. Kern seiner Botschaft war jedoch, was er danach mit Blick auf die nächste Heizperiode sagte: "Die Lage ist ernst. So eine Situation gab es noch nie."

Al-Wazirs Parteifreund Robert Habeck hatte als Bundeswirtschaftsminister wenige Stunden zuvor die sogenannte Alarmstufe und damit die zweite von drei Stufen des deutschen Notfallplans Gas ausgerufen. Denn im Winter droht das Erdgas knapp zu werden, weil Russland als eine Folge seines Angriffskriegs in der Ukraine weniger davon nach Deutschland liefert.

Die Entscheidung sei richtig, sagte Al-Wazir. Ob private Verbraucher, Unternehmen oder Kommunen: Er rief alle Gasverbraucher in Hessen auf, schon jetzt so viel wie möglich zu sparen, damit die deutschen Gasspeicher auf das für die Heizperiode nötige Maß gefüllt werden könnten. Zu 40 Prozent sollten sie im Februar noch gefüllt sein - das Ziel könnte verfehlt werden.

Minister: "Das kann niemals richtig sein"

Kommt es zum Worst-Case-Szenario, müsste in einer dritten Stufe des Notfallplans der Staat festlegen, wer noch mit Gas versorgt wird - und wer vorerst nicht mehr. "Eine solche Entscheidung kann niemals richtig sein", sagte der Minister.

Noch kann das nach Al-Wazirs Einschätzung verhindert werden. Der Anteil russischen Erdgases für Hessen habe vor dem Ukraine-Krieg bei mehr als 50 Prozent gelegen. Er sei aber bereits gesunken. Der Minister hält es zudem für möglich, den Gasverbrauch um rund ein Fünftel zu senken.

Ums Speichern kümmern sich andere

Die Alarmstufe zwei gilt nun, weil Russland seine Erdgaslieferung an Deutschland gedrosselt hat - vermutlich als Antwort auf westliche Sanktionen. Die Gasspeicher waren schon zuvor nicht ausreichend und wie gewohnt gefüllt worden, deshalb der drohende Mangel.

Das Land Hessen selbst kann direkt gegen die Misere wenig tun, außer in eigenen Einrichtungen auch zu sparen. Es hat keinen gesetzlichen Auftrag zur Gasbeschaffung. Das große unterirdische Erdgaslager in Stockstadt (Groß-Gerau) etwa wird privat betrieben. Die dortigen Speicher des Unternehmens MND Gas Storage Germany reichen, um im Winter insgesamt rund 400.000 Haushalte zu versorgen.

"Unschönes Szenario"

Viele Unternehmen hätten sich bei der Landesregierung gemeldet, berichtete der Wirtschaftsminister. Denn sie befürchten, bei einer Verschärfung der Lage kein Gas mehr zu bekommen. Alle betonten, wie wichtig gerade ihr Betrieb sei. Hintergrund: Wird Gas rationiert, trifft es zuerst Großverbraucher aus der Wirtschaft, die als nicht systemrelevant betrachtet werden.

"Das Szenario ist nicht schön", sagte Al-Wazir. Wem das Gas abgedreht wird, darüber entscheidet die Bundesnetzagentur. Da es kein Register über Gasgroßverbraucher gebe, stehe man mit ihr im Austausch. Dann eine Rangliste nach Bedeutung festzulegen, sei angesichts der Komplexität von Produktionsketten und wirtschaftlichen Folgen schwer.

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Energiesparen - auch ohne Handwerker

Die Landesenergieagentur (LEA) gibt im Internet Tipps, wie Verbraucher jetzt sparen könnten. Laut Wirtschaftsminister Al-Wazir steht dabei auch im Fokus, was in Eigenleistung möglich ist. Schließlich sei es oft schwer, Handwerker zu bekommen.

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Dann eben Heizöl fürs Gewächshaus

Ein Schwerpunkt der Arbeit des Ministeriums liegt derzeit in der Energieberatung von Unternehmen. Al-Wazir zeigte sich zuversichtlich, weil Sparanstrengungen ja schon liefen. "Ich bin sicher, dass alle Hallenbad-Betreiber längst überlegen, mit wie viel Grad sie in den Winter gehen“, sagte der Grünen-Politiker als Beispiel.

In einigen hessischen Bädern wurde die Wassertemperatur schon im Frühjahr gesenkt. Häufig könne in großen Heizwerken oder in Gärtnereien für das Beheizen von Gewächshäusern leicht von Gas auch auf Heizöl umgestellt werden, sagte Al-Wazir.

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Reaktionen aus Hessen auf Notfallplan Gas

Anlagen des Energiekonzerns Wintershall
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Alternativen haben ihre Grenzen

Tatsächlich läuft in Hessens Wirtschaft längst fieberhaft die Suche nach Gas-Alternativen. So lässt der Frankfurter Energieversorger Mainova ein Kohlekraftwerk sowie ein Müllheizkraftwerk laufen, um unabhängiger zu werden.

Ähnlich versucht es die chemische Industrie, die mit einem Verbrauchsanteil von 12 Prozent einer der größten Gasabnehmer in Hessen ist. Der Industriepark Frankfurt-Höchst etwa reaktiviert ein Kohlekraftwerk.

Andere setzen vermehrt auf Biomasse oder Wasserstoff, wie Alessa in Frankfurt und Evonik in Hanau. Zu solchen Bemühungen sagt jedoch Gregor Disson, Geschäftsführer beim Verband der Chemischen Industrie Hessen: "Das ist keine Größenordnung, die uns in dieser Situation rettet."

Auslaufmodell soll noch länger ran

Auch auf die Kraftwerkslandschaft in Hessen dürften sich die Gasknappheit und die Suche nach Ersatz laut Minister Al-Wazir entscheidend auswirken. Und das notgedrungen zuungunsten der Umwelt. In Kürze soll grundsätzlich und bundesweit geregelt werden, dass vorübergehend wieder mehr auf Stromgewinnung aus Kohle gesetzt wird, damit dafür das knappe Gas nicht gebraucht wird.

Für ein Auslaufmodell wie den mit Steinkohle betriebenen Block 5 des Staudinger-Kraftwerks in Großkrotzenburg (Main-Kinzig) würde das bedeuten: Es wird entgegen anderer Pläne über das kommende Frühjahr hinaus Strom liefern.

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